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Albtraum Alltag: In Afghanistan nimmt die Zahl der Anschläge zu.

© WAKIL KOHSAR/AFP

US-Außenpolitik unter Trump: Was ein US-Abzug für Afghanistan bedeutet

Will US-Präsident Trump tatsächlich Truppen aus Afghanistan abziehen? Das hätte Folgen für das Land - und auch für Europa.

Seit zwei Jahren traut sich Michael Daxner nicht mehr nach Afghanistan. 16 Mal war er seit 2003 dort, doch die Sicherheitslage hat sich verändert. Verschlechtert. „Dieses Risiko will ich mir nicht mehr geben“, sagt der Konfliktforscher, der seit vielen Jahren unter anderem für die Freie Universität Berlin zu den gesellschaftlichen Entwicklungen in dem Land am Hindukusch forscht. Sein Eindruck: „Seit dem großen Abzug der Amerikaner 2014 hat sich die Sicherheitslage im Land dramatisch verschlechtert.“ Die Zahl der getöteten Zivilisten sei auf einen Höchststand gestiegen, der Einfluss der afghanischen Regierung in vielen Landesteilen gesunken. „Die Situation ist fatal.“

Ausgerechnet in dieser heiklen Lage gibt es jedoch Hinweise, US-Präsident Donald Trump wolle die Hälfte der 14.000 amerikanischen Streitkräfte aus Afghanistan abziehen. Die Vereinigten Staaten könnten „nicht weiter der Weltpolizist sein“ hatte Trump bei einem Truppenbesuch im Irak am Mittwoch verkündet und damit seine umstrittenen Abzugspläne aus Syrien verteidigt. Ein Abzug von US-Truppen auch aus Afghanistan stellte die Bundesregierung vor große Fragen. Wie weiter mit den 1100 Bundeswehrsoldaten im Norden Afghanistans? Und: Droht nun ein Erstarken der Taliban verbunden mit neuen Flüchtlingsbewegungen?

Taliban werden selbstbewusster

„Die Gefahr von neuen Flüchtlingsströmen ist möglich“, sagt Afghanistan-Experte Michael Daxner. Fluchtgründe seien neben der Unsicherheit vor allem Armut und Perspektivlosigkeit. Alle drei Faktoren würden sich für die Menschen in Afghanistan verschlechtern. Daxner fürchtet außerdem, dass sich ein radikalislamistischer Teil der Taliban durch Trumps Äußerungen bestärkt fühlen könnte. „Wenn ein militärisches oder politisches Vakuum entsteht, wird das bald wieder durch die Kräfte gefüllt werden, die vor Ort organisiert sind – in Syrien und Afghanistan also die Islamisten.“ Die jüngsten Anschläge seien deshalb bereits als direkte Antwort auf Trumps Ankündigung zu bewerten, so Daxner. Am Dienstag hatten Angreifer bei einer Attacke auf das Bauministerium und weitere Regierungsbüros in Kabul über 40 Menschen getötet. Es war einer der blutigsten Anschläge in diesem Jahr.

Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, beobachtet ebenfalls ein Erstarken der Taliban. „Bei den Menschen vor Ort stellt sich die Erkenntnis ein, dass sie von der Weltgemeinschaft allein gelassen werden“, sagte er dem Tagesspiegel. Die Ankündigung Trumps habe den Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban massiv geschadet. Nouripour rechnet mit einer wachsenden Zahl an Flüchtlingen. „Es werden sich noch mehr auf den Weg machen – und das kann man den Menschen nicht verdenken.“ Angesichts der restriktiven Flüchtlingspolitik der afghanischen Anrainerstaaten, vor allem Pakistan und dem Iran, vermutet Nouripour, dass viele Flüchtlinge auch nach Europa kommen könnten.

Iran und Pakistan schicken Flüchtlinge zurück

Tatsächlich fliehen dem aktuellen Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks zufolge zwar weiter 90 Prozent aller afghanischen Flüchtlinge in den Iran und nach Pakistan. Doch von den weit über zwei Millionen Menschen wurden in den vergangenen zwei Jahren viele in ihr Heimatland zurückgeschickt. Die Rückkehrer hätten größte Schwierigkeiten beim Wiederaufbau und seien in hohem Maß von Armut gefährdet, heißt es in dem Bericht. Hauptfluchtursache sei der anhaltende Konflikt zwischen den Taliban und der Regierung. Dem Bericht zufolge kontrollieren die Islamisten über 40 Prozent des Landes. Attacken auf Kabul und andere Städte seien intensiviert worden.

Selbst die für April angesetzte Präsidentschaftswahl verzögert sich wohl, wie am Donnerstag bekannt wurde. Dies geschehe aus Sorge um erneute Probleme wie bei der Parlamentswahl, sagte der Sprecher der Wahlkommission, Sabi Sadat, der Agentur AFP. Bei der Parlamentswahl im Oktober hatte es erhebliche organisatorische Probleme geben, das Wahlergebnis steht noch immer nicht fest.

Für die deutsche Entwicklungsarbeit am Hindukusch hat die Situation derweil noch keine Konsequenzen. Auf Anfrage hieß es, dass man die Lage in Afghanistan laufend überprüfe. „Da US-Präsident Trump keinen genauen Zeitplan für seinen Abzug genannt hat, sind für unsere Zusammenarbeit aber noch keine Rückschlüsse möglich“, sagte ein Sprecher.

"Im Notfall können sich die Europäer nicht selbst evakuieren"

Ob deutsche Soldaten weiter im Land bleiben, ist ebenfalls unklar. „Wenn die Vereinigten Staaten sich bis auf ein Restkontingent aus Afghanistan zurückziehen, gibt es auch für uns keinen Grund mehr, diesen Einsatz fortzusetzen“, hatte der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, am Mittwoch gefordert. Auch Omid Nouripour sieht den Einsatz auf der Kippe. „Die Europäer könnten sich im Notfall ja nicht einmal selbst evakuieren“, sagte er. Seine Parteifreundin und europapolitische Sprecherin Franziska Brantner ergänzte: „Es ist keine Strategie, amerikanische durch europäische Soldaten zu ersetzen.“ Sie hofft auf eine einheitliche Linie der EU-Länder: „Wir brauchen jetzt eine europäische Antwort und Strategie im Nahen und Mittleren Osten. Denn wenn nicht jetzt, wann dann?“

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