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Mehr als 90 Millionen Amerikaner haben in diesem Jahr Briefwahl beantragt.

© George Frey/AFP

Urteile des Supreme Court kurz vor der Wahl: Warum die Briefwahl in den USA so umstritten ist

Mehr als 80 Millionen Amerikaner haben bereits gewählt und doch fürchten die Demokraten, dass am Ende nicht alle Stimmen zählen.

Es sind zwei richtungsweisende Entscheidungen, die der Supreme Court der Vereinigten Staaten vor wenigen Tagen verkündet hat. Das Oberste Gericht wies einen Antrag der Republikaner ab, die Frist für die Einsendung von Briefwahlstimmen im umkämpften Staat Pennsylvania zu verkürzen. Zudem wurde ein Gerichtsurteil aus einem anderen entscheidenden Staat, North Carolina, bestätigt: Briefwahlstimmen, die mit entsprechendem Wahlstempel am Wahltag abgeschickt werden, sind auch dann gültig, wenn sie erst neun Tage später eintreffen. Diese Entscheidungen könnten am 3. November wichtig werden.

Mehr als 80 Millionen Amerikaner haben bereits gewählt

Mehr als 80 Millionen Amerikaner haben bereits ihre Stimme abgegeben, die Vereinigten Staaten steuern auf eine Rekordwahlbeteiligung zu. Und doch geht in den USA die Sorge um, dass viele der schon abgegebenen Stimmen am Ende vielleicht gar nicht zählen. Denn neben dem sogenannten „early voting“, der Stimmabgabe in Person vor dem eigentlichen Wahltag am 3. November, schicken viele Wählerinnen und Wähler ihre Stimme mit der Post, wählen also per Brief. Mehr als 90 Millionen Amerikaner haben nach Angaben des US Election Project die Briefwahl beantragt – es wären damit fast dreimal so viele wie 2016, da wählten 33 Millionen per Brief.

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Logistisch ist das eine große Herausforderung vor allem für die US-Post. In manchen Staaten kommt der Postal Service mit der Zustellung von Briefen einem Bericht der „Washington Post“ zufolge nicht mehr hinterher. Tatsächlich gibt es immer wieder Fälle von Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahl. Es wurden Fälle beispielsweise in New York und Ohio bekannt, in denen Tausende fehlerhafte Wahlzettel zugestellt wurden, teilweise wurden Wahlzettel beantragt, die lange Zeit brauchten, um überhaupt anzukommen. Das Wahlkampfteam von Joe Biden versucht deshalb Wählerinnen und Wähler dazu zu motivieren, persönlich vorab wählen zu gehen.

Die US-Post kommt zum Teil logistisch nicht mehr hinterher, weil so viele Amerikaner per Brief gewählt haben.
Die US-Post kommt zum Teil logistisch nicht mehr hinterher, weil so viele Amerikaner per Brief gewählt haben.

© Kevin Mohatt/Reuters

Ab wann die Stimmen ausgezählt werden, ist in den Bundesstaaten unterschiedlich geregelt

Da überdurchschnittlich viele Amerikanerinnen und Amerikaner in diesem Jahr per Brief wählen, könnte es zudem länger dauern, bis alle Stimmen ausgezählt sind. Die Regulierungen rund um die Wahl – unter anderem die Frage, ab wann die Briefwahlstimmen ausgezählt werden dürfen – sind in den Bundesstaaten unterschiedlich geregelt und ändern sich oft. Republikaner und Demokraten versuchen deshalb, die Regeln jeweils zu ihrem Vorteil zu verändern. Trump macht seit Monaten Stimmung gegen die Briefwahl – und nun auch gegen einen Auszählungsprozess, der über den 3. November hinausgeht. „Große Probleme und Diskrepanzen mit den Wahlbriefen überall in den USA. Müssen endgültiges Ergebnis am 3. November haben“, twitterte der Präsident am Montag, zuvor sprach er bereits von einem massiven Wahlbetrug bei der Briefwahl.

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Seine Vorwürfe sind jedoch haltlos, trotz der Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahl. FBI-Chef Christopher Wray sagte bei einer Anhörung im Senat im September: „Wir haben, historisch betrachtet, noch nie irgendeine Form koordinierter Wahlfälschung während einer großen Wahl gehabt, ob es Briefwahl oder eine andere Art der Abstimmung war.“ Dass Trump trotzdem Stimmung dagegen macht, liegt vor allem daran, dass vor allem Wählerinnen und Wähler der Demokraten per Brief abstimmen. Dass er nun aber auch infrage stellt, dass alle Stimmen ausgezählt werden – auch über den 3. November hinaus – vergrößert die Sorgen, dass es zu einer Klagewelle gegen später eingetroffene und gezählte Wahlzettel kommt.

Bei Zweifeln am Ergebnis müsste der Supreme Court aktiv werden

Im Zweifel müsste dann der Supreme Court aktiv werden. Irritation hatte in diesem Zusammenhang eine Äußerung des von Trump eingesetzten Supreme-Court-Richters Brett Kavanaugh ausgelöst. Am Montag lehnte der Supreme Court eine Fristverlängerung der Stimmabgabe für den Staat Wisconsin – anders als für Pennsylvania und North Carolina – ab. In der Begründung des Urteils schrieb Kavanaugh: „Die Staaten sollten Chaos und den Verdacht von Unregelmäßigkeit vermeiden wollen, was entstehen könnte, wenn Tausende von Briefwahlstimmen nach dem Wahltag eingehen und so das Ergebnis der Wahl potenziell drehen könnten.“

„Nichts ist verdächtiger als die Weigerung, Stimmen auszuzählen“

Seine Kollegin Elena Kagan widersprach: „Es gibt keine Ergebnisse, die ,gedreht‘ werden könnten, bis nicht alle gültigen Stimmen ausgezählt sind. Und nichts könnte ,verdächtiger‘ oder ,unregelmäßiger‘ sein als die Weigerung, Stimmen auszuzählen, wenn es am Wahltag 12 Uhr schlägt.“ Dass der Supreme Court – wie schon im Jahr 2000 bei der Entscheidung zwischen George W. Bush und Al Gore – unter Umständen in die Wahl eingreifen und entscheiden muss, fürchten die Demokraten. Seit der Ernennung von Trump-Kandidatin Amy Coney Barrett zur Verfassungsrichterin in der vergangenen Woche überwiegen die konservativen Stimmen am Gericht mit sechs zu drei. Bei der Entscheidung zugunsten der Fristverlängerungen in Pennsylvania und North Carolina hatte sich Barrett noch enthalten. Sie ließ mitteilen, dass sie sich nicht genügend in das Thema eingearbeitet habe.

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