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Crispr/Cas auf den Äckern. Die neue gentechnische Methode hat viel Potenzial, es nicht erforschen zu dürfen, ist auch moralisch fragwürdig.

© pa/obs/SWR

Urteil zur Gen-Schere: Was man sät

Das strenge EuGH-Urteil zur Crispr/Cas-Genschere war kein Urteil über Agrotechnik und Landwirtschaft der Zukunft. Darüber muss die Politik entscheiden. Möglichst kühn. Ein Essay.

Fehlurteil – nicht umsetzbar – verheerendes Signal – Europa wird den biotechnologischen Anschluss endgültig verlieren. Die Bewertungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs zu neuen gentechnischen Methoden sind vor allem von wissenschaftlicher Seite nahezu vernichtend ausgefallen. Haben doch die Richter für viele, selbst Gentechnikkritiker, überraschend entschieden, dass der Einsatz der sogenannten Genschere – die aktuell bekannteste hört auf das Kürzel Crispr/Cas – unter die bald 20 Jahre alte Freisetzungsrichtlinie der EU fallen solle, die strenge Vorgaben für die Verwendung gentechnischer Produkte macht. Nun also gilt das sehr strenge, aufwendige und teure Regelungsregime auch für die neue gentechnologische Wunderwaffe.

Die Hoffnungen der wissenschaftlichen Gemeinde, der Agrarindustrie, aber auch vieler Pflanzenzüchter, dass die Veränderungen einzelner Genabschnitte mittels Crispr/Cas um die hohen Hürden der EU-Richtlinie herumkommen könnten, wurden immer damit begründet, dass zumindest das Produkt bestimmter Anwendungen der präzisen Genveränderung von natürlichen Mutationen gar nicht unterscheidbar sei. Entsprechend könne man auch gar nicht kontrollieren, wie eine Mutation erfolgt sei: auf natürlichem Wege, mit Hilfe der Genschere oder durch bisher als Ausnahme von der Freisetzungsrichtlinie zugelassene Methoden. Für diese „Mutagenese“ genannten Methoden benutzen die Pflanzenzüchter aktuell im Übrigen Röntgenstrahlen oder Chemikalien. Das gilt EU-rechtlich als erlaubt, weil diese Techniken zum Zeitpunkt der Abfassung der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG als „bekannt“ galten. Blickt man darauf, dass die Konsequenz der Freisetzungsrichtlinie das nahezu vollständige Verschwinden der grünen Gentechnik in Europa zur Folge gehabt hat, liegt man kaum falsch mit der Prognose, dass Ähnliches nun auch der Mutagenese mittels Crispr/Cas blüht: Wissenschaftliche Innovation, aber auch milliardenschwere Investitionen werden aus Europa abgezogen oder nicht mehr eingesetzt. Wenn nicht ...

Halt, erst ein Schritt zurück: Was erwarteten eigentlich die Kritiker des Gerichtsurteils? Richtig liegen sie unseres Erachtens, wenn sie darauf verweisen, wie dürftig die Urteilsbegründung daher- kommt, wie wenig sich die Richter mit dem aktuellen Stand der Forschung auseinandersetzen und ohne Beweisführung behaupten, dass die Risiken der neuen Verfahren denen der alten Gentechnik vergleichbar seien. Was genau gefährlich sei, wird nicht ausgeführt. Für die steile These reicht eine effektheischende Berufung auf das sogenannte Vorsorgeprinzip, dessen kontroverse Deutung überhaupt nicht debattiert wird.

Das Vorsorgeprinzip ist jedenfalls nicht dazu geeignet, jedes auch nur theoretisch denkbare Risiko als Hinderungsgrund für Forschung und – in diesem Fall – Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) zu definieren. Man könnte es auch so formulieren: Das Vorsorgeprinzip kann gerade nicht jede Form von Risiko ausschließen, sondern soll seine Wirkung bei ernsthaft aufgeführten Gründen entfalten. Deren Nachweis bleibt das Gericht schuldig. So weit, so schlecht die Darstellung des „state of the art“.

Dennoch: Das Gericht hatte nicht zu klären, was es selbst möglicherweise für sinnvoll erachtet. Gerichtsurteile sind keine Wunschkonzerte. Vielmehr hatte der EuGH zu prüfen, ob die Freisetzungsrichtlinie den erkennbar von Wissenschaft und Bioindustrie erhofften Spielraum lässt (eine Hoffnung, die vom Generalanwalt des Gerichtshofs im Januar 2018 in seinem Vorentscheid geschürt wurde) – oder ob nicht. Ein juristisches Gutachten kam übrigens schon vor drei Jahren zu letzterem Ergebnis.

Das Misstrauen der Bevölkerung lässt sich nicht einfach beiseite wischen

Statt daher das Urteil als Fehlurteil oder Ausdruck politischer Justiz zu schelten, sollte man den Blick auf die richten, die es sehenden Auges zu diesem Urteil haben kommen lassen. Vornehm formuliert: der unionale Gesetzgeber, verständlich ausgedrückt: die Politik, und konkret: die, die sich in Brüssel zusammensetzen, um die Direktiven und Richtlinien zu schreiben, also die EU-Kommission, der Rat der Regierungen der Mitgliedsländer und das EU-Parlament. Allein auf eine Klärung durch die Rechtsprechung zu hoffen, wie in diesem Fall, löst eben noch nicht die Herausforderungen politischer Gestaltung. Man hat bislang wenig dafür getan, plausibel zu machen, dass die Genschere – jedenfalls bei bestimmten Anwendungen – enormes Potenzial besitzt, den seit vielen Jahren immer verzweifelter geführten Kampf gegen Bodenerosion, Übersäuerung der Flächen und gegen Schädlinge zu entscheiden, und hilfreich zu sein im Ringen für die Nahrungssicherheit der Menschheit. Nachhaltige Landwirtschaft braucht viele Akteure und Werkzeuge. Eines der im globalen Maßstab vielversprechendsten Werkzeuge überhaupt nicht unter Realbedingungen erforschen zu dürfen, ist moralisch fragwürdig. Es gibt eine Verantwortung für das Tun, aber auch für das Unterlassen.

Genau deshalb muss die Politik möglichst zügig Rechenschaft ablegen, wie sie weiter verfahren will: Natürlich hat Gesundheits- und Umweltschutz höchste Priorität. Aber wo sind die Belege, dass beides durch Crispr/Cas gefährdet ist?

Daher unsere Empfehlung: Aufgabe von Politik ist es, nun zu differenzieren. Mutagenese mittels Crispr/Cas kann nicht einfach über den Kamm der Gentechnik im klassischen Sinne geschoren werden. Die wurde aus zwei sich verstärkenden Gründen abgelehnt. Zum einen: Die Einbringung artfremder Gene lud geradezu dazu ein, hierin ein Gefährdungspotenzial zu sehen – dass „wir“ seit Jahrzehnten Fleisch essen von Tieren, die genverändertes Soja als Nahrung zu sich genommen haben, nehmen die meisten allerdings billigend oder unwissend in Kauf. Zum anderen: Die Agrarindustrie, insbesondere der für viele zum Inbegriff des Bösen mutierte amerikanische Monsanto-Konzern (seit Kurzem eine Bayer-Tochter) tat ihr übriges – mit ihren Strategien, Erzeuger oft ausbeuterisch von sich abhängig zu machen und wenig bis keine Sensibilität für Fragen der Nachhaltigkeit und Biodiversität zu entwickeln. Da versteifte sich intuitiv ein Großteil erst der deutschen, dann der europäischen Bevölkerung darauf, dieses großkapitalistische Gebaren behindern zu wollen, indem man wenigstens dessen eingesetzte Technik bekämpfte. Egal, wie der Stand der Forschung sich veränderte. Kenner der Landwirtschaftsszene sagen, dass die aufwendige Prüfung, die durch den EuGH gefordert wird, besten- oder schlechtestenfalls von den Großkonzernen gestemmt werden kann. Die kleinen und mittleren Unternehmen, oft Familienbetriebe, dürften auf der Strecke bleiben. Das von zivilgesellschaftlichen Gruppen bejubelte Urteil könnte daher zum paradoxen Effekt führen: Die Diversität in der Pflanzenzüchtung könnte gefährdet, die durch Agrokonzerne bewirkte Monokultur weiter zunehmen.

Umgekehrt können weder Politik noch Wissenschaft und erst recht nicht die Agroindustrie so tun, als ob das tiefe Misstrauen der Bevölkerung in die Gentechnik mit ein paar Aufklärungskampagnen wie ein Federstrich wegzuwischen sei. Natürlich ist es sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass mit Crispr/Cas auch fremdes Genmaterial in eine Pflanze eingebracht werden kann. Für diese Fälle sollte selbstverständlich die Freisetzungsrichtlinie Anwendung finden. Es sollte aber auch klar sein, dass, nüchtern betrachtet, Anwendungen, die naturidentisch wirken, etwas anderes sind als transgene Pflanzen. Hier wirkt die Genschere wie die Evolution, die im Übrigen, bildlich gesprochen, der größte Mutagenese-Produzent ist.

Die Menschen haben eine Sehnsucht nach unberührter Natur - aber was ist das schon?

Crispr/Cas auf den Äckern. Die neue gentechnische Methode hat viel Potenzial, es nicht erforschen zu dürfen, ist auch moralisch fragwürdig.
Crispr/Cas auf den Äckern. Die neue gentechnische Methode hat viel Potenzial, es nicht erforschen zu dürfen, ist auch moralisch fragwürdig.

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Und doch zeichnet sich die Genchirurgie durch einen Unterschied gegenüber der Evolution aus - und der sollte ernst genommen werden: Sie kann unvergleichlich schneller wirken als die uralte Dame. Eine hochdynamische Beschleunigung, auch innerhalb einer Art, wirft Sicherheits-, Nachhaltigkeits- und Biodiversitätsfragen auf. Nun ist es aber so, dass wir Menschen auch unabhängig von der Gentechnik tief in das eingreifen, was wir romantisch und vermutlich wider besseres Wissen Natur nennen und dabei an eine unberührte, wilde Landschaft denken – was ist schon unberührte Natur? Nicht umsonst wird das gegenwärtige erdgeschichtliche Zeitalter ganz unabhängig von der Gentechnik „Anthropozän“ genannt. Doch das ist kein Grund dafür, die Augen vor Risiken einer neuen Technologie, von Crispr/Cas, grundsätzlich zu verschließen.

Wir meinen daher, dass man nicht paternalistisch der Bevölkerung den Eindruck vermitteln sollte, dass die Genschere immer unproblematisch sei. Gerade angesichts des enormen Potenzials müssen Sicherheitsprüfungen nicht nur vorgenommen, sondern in vielen Fällen erst entwickelt werden. In Anbetracht des Umstands, dass sich auch unter Beachtung des Vorsorgeprinzips bisher keine stichhaltige Gefahr des Einsatzes der Genchirurgie in der Landwirtschaft ergeben hat – und bitte nicht die kürzlich veröffentlichten Risiken im Bereich der Gentechnik im Bereich der Medizin einfach auf die Pflanzen übertragen! –, gibt es sachlich gute Gründe, solche Sicherheitsprüfungen schlanker durchzuführen, als es die Freisetzungsrichtlinie für die klassische Gentechnik verlangt.

Drei Dinge sollte die Politik beachten. Erstens: Die aktuellen Debatten um das Urteil des EuGH bestätigen einmal mehr, dass es nicht darum gehen kann, eine Technologie als solche zu regulieren. Die entscheidende Frage ist die: In welchem Kontext und mit welchen Zielen soll die Technologie eingesetzt werden, und welche anderen Verfahren gibt es für die Herausforderungen in den jeweiligen Bereichen bereits? Hier gilt es nüchtern aber eben auch kohärent einzuordnen, abzuwägen und dann entsprechende politische Entscheidungen zu treffen.

Wenn man zweitens glaubwürdig zeigen möchte, dass die neuen molekularbiologischen Technologien nicht einfach alte Gentechnik sind, sondern in bestimmten Anwendungen ein enormes Potenzial besitzen – für die Länder in den heißen Regionen, zu denen offensichtlich, wenn man an die gegenwärtigen dramatischen Ernteausfälle denkt, nicht mehr nur der Süden, sondern auch weite Teile Deutschlands gehören –, dann muss man die Bevölkerung mitnehmen. Heute spricht man gerne vom partizipations- und transparenzorientierten Ansatz des Gesprächs zwischen Wissenschaft, Industrie und Bevölkerung. Transparenz und Partizipation erfordern gar nicht den Verzicht auf Interessen. Agrarunternehmen haben Interessen, aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen: Sie wollen im Gespräch bleiben, Spenden akquirieren und Mitarbeiter beschäftigen – alles völlig legitim.

Wir brauchen in der politischen Gestaltung eine neue Kühnheit

Zugleich sind diese Interessen jedoch nicht selten an asymmetrische Machtstrukturen gekoppelt, so dass Veranstaltungen oft ängstlich in abgeschotteten Umgebungen stattfinden. So kommt es zu Frontstellungen der altbekannten Interessensgruppen statt zu einem breiten und offen Diskurs. Wenn man von Seiten der Politik der Auffassung ist, dass es sich lohnt, das Projekt „neue molekularbiologische Technologien“ ernsthaft in die allgemeine Öffentlichkeit auf breiter Front hineinzutragen, dann muss man tatsächlich Mut fassen, neue Wegen zu gehen und nicht zuletzt auch Geld in die Hand nehmen.

Schließlich drittens: Die jüngere Betrachtung und Gestaltung der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft zeigt, dass viele Menschen spüren, dass sie komplexe wissenschaftliche Sachverhalte nicht mehr begreifen. Ob sie den beteiligten Institutionen Vertrauen schenken, machen sie davon abhängig, ob und wie diese Organisationen Glaubwürdigkeit vermitteln. Glaubwürdigkeit scheint – blickt man auf die klassische Gentechnik – das größte Problem zu sein. Vertrauen zu gewinnen, ist das eine, zerstörtes Vertrauen wiederherzustellen, das andere. Der grünen Gentechnik ist es bisher nicht gelungen. Dennoch sollte man es versuchen. Die beteiligten Akteure sollten überaus selbstkritisch vor dem Hintergrund der wenig ruhmreichen Geschichte zeigen, dass sie willig sind, mit einer Batterie an Maßnahmen Vertrauen zurückzugewinnen. Wir nennen nur: Fehlerkultur schaffen, Verhaltenskodizes erstellen, Ombudsstellen für interne und externe Beschwerden einrichten, Engagement in und für die Öffentlichkeit – und dies, man verzeihe das theologisch angehauchte Vokabular, im Geiste von Demut und Umkehrbereitschaft.

Das Urteil erinnert uns daran: Wir brauchen in der politischen Gestaltung eine neue Kühnheit und vielleicht auch mehr Mut zu größeren Narrativen und Visionen. Denn bei allem Abwägen der Vor- und Nachteile, eine Sache ist klar: Dringend von Nöten ist eine gemeinsame Idee, wie eine nachhaltige Landwirtschaft in Zukunft aussehen soll. Und da gibt es weder ein „weiter so“, noch wird Crispr/Cas den Welthunger beenden. Aber vielleicht schafft es das Urteil des EuGH ja, beiden, rechtsstaatlichen wie zivilgesellschaftlichen Akteuren genau das zu spiegeln: Niemand muss vor dem Urteil verharren wie das Kaninchen vor der Schlange. Politik in Brüssel und den Mitgliedsstaaten, prüft ernsthaft und habt zugleich Mut zu kühnen Visionen!

- Prof. Peter Dabrock und Dr. Matthias Braun arbeiten als Ordinarius und Akademischer Rat am Lehrstuhl für Systematische Theologie/Ethik der Universität Erlangen-Nürnberg. Ihre Kommentierung des EuGH-Urteils basiert auf einem Gutachten, das sie Anfang des Jahres für das BMEL verfasst haben.

Peter Dabrock, Matthias Braun

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