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Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg kommt den Sicherheitsbehörden etwas entgegen.

© Arne Immanuel Bänsch/dpa

Urteil zur Datenspeicherung: Etwas Vorrat darf sein

Anlassloses Sammeln von Telekommunikationsdaten bleibt verboten. Dennoch weicht der Europäische Gerichtshof seine strikte Linie auf. Eine Analyse.

Ist die Vorratsdatenspeicherung nun erlaubt oder verboten? Wohl ein bisschen von beidem, so könnte ein Fazit zum jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu der seit Jahren umstrittenen Sammlung von Telekommunikationsdaten lauten, das der Gerichtshof am Dienstag verkündet hat. Demnach dürfen Sicherheitsbehörden Telefon- und Internetverbindungsdaten von Bürgerinnen und Bürgern weiterhin nicht anlasslos für längere Zeit speichern lassen. Es könne aber Ausnahmen geben: etwa bei einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit, bei der Bekämpfung schwerer Straftaten oder bei schwerwiegenden Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit. In solchen Fällen können die EU-Mitgliedstaaten Daten aufbewahren lassen – wenn es wirksame Schutzmaßnahmen gegen Datenmissbrauch gibt und eine unabhängige Kontrolle der Maßnahmen gewährleistet ist.

Die Vorratsdatenspeicherung ist aus Sicht vieler Sicherheitspolitiker und -behörden ein unverzichtbares Instrument, das sich wesentlich von der Telekommunikationsüberwachung unterscheidet. Während es bei dieser um Gesprächsinhalte geht – prinzipiell hochsensible Daten –, sollen hier nur solche Kontaktdaten „auf Vorrat“ erfasst werden, die bei den Telekommunikationsunternehmen mit jeder Verbindung notwendigerweise anfallen. Dazu gehören etwa die im Internet genutzte IP-Adresse und ihre Zuordnung zu einem Anschluss, Telefonnummern oder Standortdaten im Mobilfunk.

Diese Informationen, so der Gedanke, sollen dezentral bei den Telekom-Unternehmen für einen bestimmten Zeitraum gespeichert werden, um sie nur dann abzurufen, wenn es im Einzelfall nötig wird und, etwa zur Verfolgung von Straftaten, begründet werden kann. Die Befürworter hatten deshalb stets argumentiert, der Grundrechtseingriff sei nur beschränkt. Nach Ablauf von einigen Wochen oder Monaten würden die Daten gelöscht. Sie sprechen deshalb lieber von „Mindestspeicherfrist“.

Zu lange Fristen, zu wenig Sicherheit, hieß es in Karlsruhe

Das Schlagwort von den „Vorratsdaten“ markiert einen Begriff, dessen Übergang in den Sprachgebrauch bereits aufzeigt, dass sich die Kritiker mit ihrer Skepsis durchsetzen konnten. Gestartet als EU-Projekt 2006, landete die weitreichende deutsche Umsetzung der entsprechenden Richtlinie alsbald vor dem Bundesverfassungsgericht, das sie 2010 für nichtig erklärte. Zu lange Fristen, zu wenig Datensicherheit, hieß es. Schon damals war klar, dass die Justiz die Leichtfertigkeit der Politik im Umgang mit den Daten nicht teilt. Schließlich könnten aus der Summe des Materials Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile gewonnen werden, die auf Lebensgewohnheiten Einzelner schließen lassen – mithin Daten, die schon nah dran sind an einem mitgelauschten Gespräch.

2014 bestätigte der EuGH die strikte Karlsruher Linie. In der Bundesrepublik wurde im Anschluss eine verschlankte Version aufgelegt, doch auch diese kam vor Gericht und wird noch den EuGH beschäftigen. Die jetzt beurteilten Regelungen stammen aus Frankreich, Belgien und Großbritannien.

Der Druck auf das Luxemburger Gericht war in den vergangenen Jahren gewachsen. Regierungen verschiedener Mitgliedstaaten, nicht nur der Bundesrepublik, war das strikte Nein zu jeder Form anlassloser Speicherung allzu konsequent. Tatsächlich wäre Ermittlern geholfen, wenn sie sicher wüssten, bis wann sie wo auf welche Daten zugreifen könnten. Bislang gelingt dies nur, soweit die Provider die Daten für eigene Zwecke vorhalten, etwa die Abrechnung von Gebühren. Nicht zu übersehen ist, dass der EuGH sich nun für Sicherheitsbelange öffnen will. Eine anlasslose dauerhafte Speicherung bleibt zwar untersagt. Doch hinsichtlich drohender Gefahren, vor allem wohl durch Kriminalität oder Terror, sollen Daten anlasslos aufgehoben werden können. Entscheidend werden hier die Ausführungen im Urteil sein, wonach das Sammeln erfolgen darf, soweit es ziel- und zeitgebunden erfolgt, und von welchen Sicherungsmaßnahmen es dabei flankiert sein soll.

Das Urteil wird die Diskussion verschärfen

Insofern wird das Urteil auch die deutsche Diskussion wieder verschärfen, die nach Fällen sexueller Gewalt gegen Kinder im Sommer ohnehin lauter geworden ist. Derzeit melden sich vor allem politische Gegner der Projekts zu Wort, um erste Deutungskämpfe für sich zu entscheiden. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sprach von einem „guten Tag für die Freiheitsrechte“, die Grünen sehen es ähnlich. Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist sogar überzeugt, dass hier ein Schlussstrich gezogen wurde: „Goodbye Vorratsdatenspeicherung“

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