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Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im November 2021

© dpa/Michael Kappeler/Pool

Urteil in Karlsruhe: Merkel verletzte mit Äußerung über Kemmerich-Wahl die Rechte der AfD

2020 ließ sich ein Ministerpräsident mit Stimmen der AfD ins Amt wählen. Weil die damalige Kanzlerin dies als „unverzeihlich“ bezeichnet hatte, klagte die AfD.

Die Nachricht sorgte bundesweit für Furor: Eigentlich hatte sich Bodo Ramelow am 5. Februar 2020 im Landtag in Erfurt erneut zum Landeschef wählen lassen wollen. Doch es kam anders: Statt seiner obsiegte der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU, AfD und FDP und wurde zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt.

Der Vorgang hatte eine Regierungskrise in dem Freistaat ausgelöst und war in der Öffentlichkeit als Tabubruch und erste Kooperation bürgerlicher Parteien mit einer rechtsextremen Partei seit der Weimarer Republik eingeschätzt worden. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Regierungschef ins Amt verhalf.

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Die ehemals regierende Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete den Vorgang als „unverzeihlich“. Merkel, die zum Zeitpunkt der Wahl gerade auf Reisen war, hatte sich einen Tag danach zu Wort gemeldet und ihrer Pressekonferenz mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa eine „Vorbemerkung aus innenpolitischen Gründen“ vorausgeschickt.

Die AfD dürfe sich nicht an dieser Regierung beteiligen erklärte sie, das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden. Eine Mitschrift der Pressekonferenz stand zwischenzeitlich auf bundeskanzlerin.de und bundesregierung.de.

Damit fing sich die CDU-Politikerin gleich zwei Klagen der rechtsextremen AfD ein. Mit ihren Äußerungen habe Merkel ihre Neutralitätspflicht verletzt, urteilte das Bundesverfassungsgericht  in Karlsruhe am Mittwoch.

Die Entscheidung fiel mit fünf zu drei Stimmen

Merkel habe gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verstoßen, befanden die Richterinnen und Richter.

Sie habe sich in amtlicher Funktion geäußert, sagte die Gerichtsvizepräsidentin Doris König in ihrer Einführung zur Urteilsverkündung. Weder der Hinweis zur „Vorbemerkung“ noch der Inhalt des Statements lasse klar erkennen, dass Merkel sich nicht in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin, sondern ausschließlich als Parteipolitikerin habe äußern wollen. Mit ihrem Statement habe sie das Recht auf Chancengleichheit der AfD im politischen Wettbewerb verletzt.

Die Klagen richteten sich gegen die frühere Bundeskanzlerin und die Bundesregierung. Eine der Klagen zielte gegen Merkels Äußerung, die andere gegen die Veröffentlichung von Merkels Statement unter anderem auf offiziellen Regierungswebsites.

Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht verlässt nach der Urteilsverkündung zu AfD-kritischen Äußerungen der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Thüringen-Wahl 2020, den Sitzungssaal.
Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht verlässt nach der Urteilsverkündung zu AfD-kritischen Äußerungen der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Thüringen-Wahl 2020, den Sitzungssaal.

© dpa/Uli Deck

Die AfD sah sich dadurch in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt. Der zweite Senat hatte sich in einer mündlichen Verhandlung bereits am 21. Juli mit dem Fall befasst, die Entscheidung, die mit 5 zu 3 Stimmen im Senat fiel, wurde jedoch erst jetzt verkündet.

Dass das Votum so knapp ausfällt macht deutlich, wie umstritten die der Fall  war. So befand etwa die Richterin  Astrid Wallrabenstein in einem Minderheitenvotum, dass Angela Merkel keinen Verfassungsverstoß begangen habe.

Mit seinem Urteil setze das Bundesverfassungsgericht seine Rechtssprechungslinie fort und übertrage sie auf das Amt des Bundeskanzlers, kommentierte der Verfassungsrechtler Helmut Aust das Urteil im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

„Es passt eher zum Staatsrecht des Kaiserreichs“

„Die knappe Entscheidung zeigt, dass es möglich ist, dass der Senat in anderer Zusammensetzung in der Zukunft auch wieder von der Entscheidung abrücken wird und der Bundesregierung und ihren Mitgliedern mehr politischen Spielraum lassen wird.“

Kritischer äußerte sich der Staatsrechtler Hans Michael Heinig zu der Entscheidung: „Die ganze Linie zeugt von einem verfehlten Verständnis des parlamentarisch-demokratischen Regierungssystems. Es passt eher zum Staatsrecht des Kaiserreichs“, sagte er dem Tagesspiegel.

Auch der Christdemokrat und frühere Innenminister Horst Seehofer unterlag bereits in einem ähnlich gelagerten Rechtsstreit mit der AfD. Er hatte das Verhalten der Partei im Bundestag als „staatszersetzend“ bezeichnet und diese Passage auch auf die Internetseite seines Ministeriums gestellt.

AfD-Chef Tino Chrupalla freute sich über den Erfolg „Es ist ein guter Tag für die Demokratie“, sagte er nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe.

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