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Die Bundesanwaltschaft ging im Tiergartenmordsprozess von einem Auftrag staatlicher Stellen Russlands aus und hatte lebenslange Haft beantragt.

© Christophe Gateau/ dpa

Urteil im Prozess um Tiergartenmord in Berlin: Bundesregierung weist zwei russische Diplomaten aus

Das Berliner Kammergericht hat den Tiergarten-Mörder zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Vorsitzende Richter wirft Russland „Staatsterrorismus“ vor.

Die Tat geschah um die Mittagszeit in einer belebten Berliner Parkanlage. Der Georgier Selimchan Changoschwili geht am 23. August 2019 auf dem Weg in die Moschee durch den Kleinen Tiergarten in Berlin-Moabit, als ihn ein Mann auf einem Mountainbike überholt.

Der Radfahrer, der Sportkleidung und ein Basecap trägt, schießt Changoschwili einmal in die Brust. Um ganz sicher zu sein, dass sein Opfer auch wirklich stirbt, gibt er noch zwei Schüsse auf den Kopf des Mannes ab. Dann flieht der Täter mit dem Fahrrad.

Doch als er sich unweit des Tatortes in einem Gebüsch an der Spree umzieht und für die weitere Flucht vorbereitet, wird er von Zeugen entdeckt und dann von der Polizei gefasst. Die Tatwaffe wurde später aus der Spree geborgen.

Nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt, im Gerichtsgebäude in der Turmstraße wurde am Mittwoch das Urteil in diesem spektakulären Mordfall gesprochen. Das Berliner Kammergericht verurteilte den Täter zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere der Schuld fest.

Doch der Fall hat vor allem eine politische Dimension. Denn das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mord vom russischen Staat in Auftrag gegeben wurde. Der Angeklagte sei „Teil des staatlichen Sicherheitsapparates“ gewesen. Er habe „von einer staatlichen Stelle innerhalb der Regierung der Russischen Föderation den Auftrag erhalten“, den ehemaligen Tschetschenien-Kämpfer Changoschwili „in Berlin zu liquidieren“. Wegen seiner „ablehnender Haltung zum russischen Zentralstaat sowie dessen Rolle im Zweiten Tschetschenienkrieg“, teilte der für Staatsschutzsachen zuständige zweite Strafsenat des Berliner Kammergerichts mit.

Der Vorsitzende Richter spricht von „Staatsterrorismus“

Changoschwili hatte im Zweiten Tschetschenienkrieg von 2000 bis 2004 eine Miliz geführt, die gegen den russischen Staat kämpfte. Seit 2016 lebte er in Deutschland, wo er Asyl beantragte. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte das Opfer nach der Tat des Terrorismus beschuldigt und ihn als Kämpfer dargestellt, an dessen Händen Blut klebe.

Mit Spannung war in diesem Prozess vor allem erwartet worden, ob das Gericht der Bundesanwaltschaft in der Einschätzung folgen würde, wonach die Tat von staatlichen Stellen in Russland in Auftrag gegeben worden war. Der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi sprach nun am Mittwoch von „Staatsterrorismus“.

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Damit erreicht der Fall eine politische Dimension, die geeignet ist, das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland noch stärker als bisher zu belasten. In einer ersten Reaktion wurde am Mittwoch der russische Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt, außerdem werden zwei Mitarbeiter der Botschaft ausgewiesen.

Die Schwierigkeiten des Berliner Mordprozesses fingen bereits damit an, dass keineswegs unstrittig war, wer der Mann auf der Anklagebank überhaupt ist. Er gab an, er heiße Wadim Sokolow, einen russischen Reisepass auf diesen Namen hatte er bei seiner Festnahme in einer Bauchtasche bei sich, zusammen mit einer größeren Menge Bargeld.

Journalisten deckten die wahre Identität des Mörders auf

Doch nach Erkenntnissen der Ermittler ist das nur eine Tarnidentität. Der wirkliche Name des Täters wird mit Wadim Krassikow angegeben. Auf dessen Spur kamen aber nicht die deutschen Ermittler, sondern Rechercheure der Investigativ-Plattform „Bellingcat“, des russischen Online-Mediums „The Insider“ und des „Spiegel“. Zu den wichtigsten Zeugen in diesem Verfahren gehörte deshalb ein „Bellingcat“-Mitarbeiter, der an mehreren Prozesstagen aussagte.

Beamte der Spurensicherung sichern in einem Faltpavillon Spuren an einem Tatort im kleinen Tiergarten.
Beamte der Spurensicherung sichern in einem Faltpavillon Spuren an einem Tatort im kleinen Tiergarten.

© Paul Zinken / dpa

Jener Wadim Krassikow wurde von Russland im Jahr 2014 international zur Fahndung ausgeschrieben – er wurde wegen Mordes gesucht. Ein Jahr später ließen russische Behörden bei Interpol den Fahndungsaufruf wieder löschen. Kurz darauf wird erstmals ein Ausweis für einen Mann namens Wadim Sokolow ausgestellt. Die Journalisten, die dem angeblichen Sokolow auf der Spur sind, stellen schnell fest, dass über ihn in der russischen Passdatenbank nichts zu finden ist.

Doch die falsche Identität konnte nur mit Hilfe russischer Behörden überhaupt konstruiert und aufgebaut werden. Der Pass beispielsweise, den Changoschwilis Mörder in Berlin bei sich hat, ist nicht etwa gefälscht, sondern wurde tatsächlich von einer russischen Behörde ausgestellt.

Krassikow soll Kontakte zum Inlandsgeheimdienst FSB gehabt haben

Aus vielen kleinen Puzzleteilen ergibt sich so das Bild einer Tat, die aus Sicht der Bundesanwaltschaft nur mit Hilfe und im Auftrag des russischen Staates ausgeführt worden sein kann. Eine Schlüsselrolle in dem Berliner Prozess spielte auch die Aussage des ehemaligen Schwagers von Wadim Krassikow, der ihn vor Gericht wiedererkannte – allerdings erst in der zweiten Zeugenbefragung.

Bei seinem ersten Auftritt im Gerichtssaal hatte er ihn nicht identifiziert, möglicherweise aus Angst vor Vergeltung. Krassikow soll in Russland Kontakte zu einer Spezialeinheit des Inlandsgeheimdienstes FSB gehabt haben. Wenige Wochen vor der Tat in Berlin telefonierte er mehrmals mit ehemaligen Mitgliedern der Einheit.

In dem Verfahren vor dem Berliner Kammergericht, das im Oktober 2020 begonnen hatte, wurden insgesamt 47 Zeugen gehört. Die Ermittler hatten außerdem Rechtshilfesuchen in zahlreichen europäischen Ländern sowie in Russland und den USA gestellt.

Doch die russischen Behörden wirkten nach Ansicht der Bundesregierung nur unzureichend an der Aufklärung der Tat mit. Beispielsweise hatte Moskau es abgelehnt, dass deutsche Ermittler die Adresse des angeblichen Sokolow in der Stadt Brjansk aufsuchen.

Wegen der mangelnden Mitwirkung an der Aufklärung der Tat wies das Auswärtige Amt bereits im Dezember 2019 zwei mutmaßliche russische Geheimdienstmitarbeiter aus, die als Diplomaten an Moskaus Botschaft in Berlin akkreditiert waren. Unklar blieb in dem Prozess auch, wer dem Mörder bei der Ausführung seiner Tat in Berlin geholfen hat. Die Tat sei durch in Berlin stationierte Helfer akribisch vorbereitet worden, betonte der Vorsitzende Richter.

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