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Ungarns Regierungschef Viktor Orban.

© REUTERS

Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Orban darf sich nicht wegducken

Das Urteil des EuGH zeigt eines: Ungarns Regierungschef Orban muss in der EU-Flüchtlingspolitik weiter in die Pflicht genommen werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Ungarn, Polen und Tschechien brachen europäisches Recht, als sich die drei Länder auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise vor gut vier Jahren weigerten, Asylbewerber im Rahmen einer Umverteilung innerhalb der EU aufzunehmen. Ähnlich wie jetzt in der Debatte über einen europäischen Rettungsschirm während der Corona-Krise ging es auch damals um Solidarität zwischen den EU-Staaten: Länder wie Griechenland und Italien sollten bei der Aufnahme von Flüchtlingen entlastet werden. Die Verantwortlichen in Warschau, Budapest und Prag, allen voran Ungarns Regierungschef Viktor Orban, haben den Plan seinerzeit torpediert. Jetzt bekommen sie die Quittung.

Das glücklose Umverteilungs-Programm der EU ist inzwischen beendet. Die EU hat ihre Lehren aus der Flüchtlingskrise von 2015 gezogen und setzt inzwischen auf einen rigorosen Schutz ihrer Außengrenzen, wie sich im vergangenen Monat im Kräftemessen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zeigte.

Ist also das Urteil des Europäischen Gerichtshofs lediglich eine Fußnote in einem abgeschlossenen Kapitel der EU-Politik? Keineswegs. Mag sein, dass Orban durch den Richterspruch nicht in politische Bedrängnis gerät, weil Sanktionen erst einmal nicht anstehen. Dennoch ist die Entscheidung als eine dringende Mahnung zu verstehen, dass Beschlüsse der EU auch einzuhalten sind. Das gilt selbst für Politiker wie Orban, die für ihre Länder zwar gerne EU-Hilfszahlungen aus Brüssel annehmen, aber ansonsten Eingriffe in die nationale Souveränität von Seiten der Gemeinschaft ablehnen.

Umverteilung als Sprengsatz

Die Umverteilung der Flüchtlinge wurde seinerzeit zum politischen Sprengsatz für die EU, weil die geplante Entlastung Griechenlands und Italiens auf Mehrheitsbeschlüssen unter den damals noch 28 EU-Staaten basierte. Ungarn, Polen und Tschechien wurden überstimmt und fühlten sich übergangen. Selbst Angela Merkel sagte vor knapp zwei Jahren im Rückblick, dass der damalige Mehrheitsbeschluss unter den EU-Innenministern „mitnichten zu einer europäischen Befriedung geführt" habe. Im Klartext meinte die "Flüchtlings-Kanzlerin" von 2015 damit, dass man widerstrebende Politiker wie Orban in der europäischen Asylpolitik kein zweites Mal überstimmen dürfe.

Orban bleibt ein schwieriger Partner

Doch weder Merkel noch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die osteuropäische Staaten wie Ungarn, Polen und Tschechien grundsätzlich zu einem stärkeren Engagement in der EU bewegen will, sollte sich täuschen. Vor der Europawahl im vergangenen Jahr schwadronierte Orban, dass mit der Einwanderung auch "das Virus des Terrorismus eindringen" könne. Derartige Äußerungen zeigen, dass es dem ungarischen Regierungschef bis heute an gutem Willen bei der Gestaltung der künftigen europäischen Asylpolitik fehlt.

An einer Reform des EU-Asylsystems führt kein Weg vorbei

Doch wenn die Corona-Krise eines Tages vorbei ist, wird in der EU auch die Frage einer Verteilung von Flüchtlingen wieder auf die Tagesordnung kommen. Denn seit 2015 hat sich an der Überlastung der Mittelmeeranrainer nichts geändert. Die unhaltbaren Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln schreien geradezu nach einer Verteilung auf andere EU-Länder. Und wenn Orban schon partout keine Flüchtlinge aufnehmen will, dann wird sich sein Land demnächst eben stärker als andere finanziell an der europäischen Migrationspolitik mit all ihren Facetten beteiligen müssen: dem Schutz der EU-Außengrenzen in Griechenland ebenso wie der humanitären Versorgung der Migranten.

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