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Unter ihren Augen: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall

© Christian Thiel/imago stock&people

Ursula von der Leyen: Ministerin des Angriffs und der Verteidigung

Schikane-Affären in mehreren Kasernen, nun der Fall des mutmaßlichen Rechtsterroristen Franco A. Die Bundeswehr scheint anfällig für Skandale zu sein. Wie kann die Ministerin damit umgehen?

Normalerweise sind die Rollen klar verteilt: Bei Skandalen in der Bundeswehr spricht der Verteidigungsminister gemeinhin von bedauerlichen Einzelfällen, während die Opposition hinter jedem Fehlverhalten in der Truppe sofort System vermutet. Ursula von der Leyen hat die Methode umgekehrt. Das ist ihr bisher nicht gut bekommen. Dass die Chefin der eigenen Truppe in Bausch und Bogen ein „Haltungsproblem“ und „Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“ bescheinigte, empfanden nicht nur die Soldatenvertreter des Bundeswehrverbands und Leyens politische Konkurrenz als versuchte Fahnenflucht.

Dabei ist die Frage höchst berechtigt, ob nicht die Schikane-Affären in den Kasernen Pfullendorf, Bad Reichenhall und Sondershausen, besonders aber der Fall des mutmaßlichen Rechtsterroristen Franco A. über das übliche Skandalmaß hinausgehen.

Warum fallen jetzt alle über die Ministerin her?

Mit dem Pauschalverdacht gegen „die Bundeswehr“ hat sich Leyen zuallererst mal selbst zur Affäre gemacht. In der Kritik kommt vieles zusammen. Da sind zunächst die Vorgänge selbst. Dass in der Sanitätsausbildung in Pfullendorf Rotlicht- und Doktorspielchen mit Soldatinnen quasi auf dem Lehrplan standen, bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall offenbar ein Soldat sexuell misshandelt wurde und in Sondershausen zwei Ausbilder Rekruten erniedrigt und gequält haben sollen, mag man noch als Auswüchse eines alten Ungeists in der Männergesellschaft Armee beklagen.

Aber der Fall des Oberleutnants A. sprengt alle Muster: Ein Rechtsextremist mit Terrorplänen und falscher Zweitidentität als syrischer Flüchtling, der sich bei seinen Hochschulprüfern erfolgreich auf Termindruck herausredet, als die in seiner Abschlussarbeit die braune Gesinnung erkennen – jeder Krimi-Verlag hätte solch eine hanebüchene Story kopfschüttelnd abgewiesen.

Dass sie in der Realität passiert, fällt politisch natürlich auf die oberste Verantwortliche zurück. In Wahlkampfzeiten gilt das doppelt, nimmt doch die Opposition den Anlass dankbar auf, der prominenten Christdemokratin am Zeug zu flicken. Am Dienstag stimmt auch SPD- Kanzlerkandidat Martin Schulz in den Chor der Kritiker ein: „Die Verteidigungsministerin müsste den aktuellen Skandal rückhaltlos aufklären und sich zugleich vor die Truppe stellen“, sagt Schulz der Funke-Mediengruppe. „Stattdessen lässt Frau von der Leyen die ihr anvertrauten Soldatinnen und Soldaten im Stich.“

So weit ist das alles erwartbar. Doch bei Leyen kommt noch ein spezielles Moment dazu. Der Christdemokratin ging der Ruf voraus, sie betrachte ihren Kommandostand im Bendlerblock nur als Durchgangsposten für künftig höhere Ämter; der Niedersächsin gehe es vor allem um sich selbst. Dieses Misstrauen hält sich hartnäckig. Vom Gefreiten bis zum General lautet das Standardurteil über die Chefin: „Die will doch bloß Kanzlerin werden!“

Wie reagiert die Ministerin?

Eigentlich wollte Leyen am Mittwoch zu politischen Gesprächen in die USA reisen. Am Dienstag teilt ein Sprecher mit, dass sie zu Hause bleibt und stattdessen zusammen mit dem Generalinspekteur die Kaserne in Illkirchen besucht, in der Franko A. stationiert war. Am Donnerstag folgt ein Krisengespräch mit gut 100 militärischen Führungskräften.

Das ist nur konsequent. Eine Ministerin, die die Truppe zur Krisenzone erklärt, kann schlecht im nächsten Moment Reisepolitik as usual betreiben. Überdies muss sie im Fall A. jederzeit mit bösen Neuigkeiten rechnen. Die Bundesanwaltschaft nimmt die Anschlagpläne des Oberleutnants so ernst, dass sie die Ermittlungen wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ an sich gezogen hat.

Auf der Todesliste des Offiziers, heißt es in Sicherheitskreisen, hätten auch Ex-Bundespräsident Joachim Gauck und Justizminister Heiko Maas (SPD) gestanden. Überdies gibt es Hinweise auf ein rechtsextremes Unterstützer-Netzwerk über den mit Franco A. befreundeten und ebenfalls bereits verhafteten Studenten hinaus.

Die CDU-Politikerin versuchte parallel, in einem „Offenen Brief“ den Eindruck zu zerstreuen, sie wolle mit ihrer Pauschalkritik über „die Bundeswehr“ die ganze Armee in Haftung nehmen: „Als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt bin ich nach wie vor fest davon überzeugt, dass die übergroße Mehrheit von Ihnen – ob in den Einsätzen oder im Grundbetrieb – tagtäglich anständig und tadellos ihren wichtigen Dienst für unser Land leistet“, heißt es in dem Schreiben auf der Homepage des Ministeriums. Sie lege auch für die große Mehrheit der Führungsverantwortlichen „jederzeit meine Hand ins Feuer“. Allerdings könne man bei der Vielzahl an Affären nicht mehr von Einzelfällen reden, sondern müsse über Haltung zur Demokratie, die Grenze zum Extremismus und darüber reden, wo „aus falsch verstandenem Korpsgeist“ Missstände vertuscht würden.

Leyen bittet schließlich in dem Schreiben um Vertrauen, Geduld und Mithilfe bei einem „schmerzhaften, aber notwendigen Prozess der schonungslosen Aufklärung und Diskussion“. Wenn die Ministerin freilich im gleichen Atemzug die „öffentliche Diskussion“ mit dem Satz verurteilt: „So manches verkürzte öffentliche Urteil über die Bundeswehr erscheint in seiner Pauschalität überzogen und ungerecht“, dann wirkt das jetzt gerade ein bisschen wie unfreiwillige Satire.

Ist denn in der Sache etwas dran an Leyens Vorhaltungen an die Bundeswehr?

In der Sache geht es um zwei inhaltliche Fragen und eine, die beide verbindet. Neu sind sie allesamt nicht, im Gegenteil: Sowohl für Quälerei von Untergebenen als auch für rechten Extremismus liefert seit Jahrzehnten noch jeder Jahresbericht des Wehrbeauftragten anschauliche Beispiele. Mit Rekruten-Misshandlungen musste sich auch ein allseits gelobter Minister wie Peter Struck (SPD) herumschlagen. Und Vertuschung im Namen einer falsch verstandenen Kameradschaft kam ebenfalls immer wieder vor.

Dahinter zeigen sich sicher auch allgemeine gesellschaftliche Zustände. Zur Zeit der Wehrpflichtarmee galt der Satz, die Bundeswehr sei nun mal „Spiegelbild der Gesellschaft“, sogar als eine Art Universalentschuldigung für Ausfälle. Andererseits ist eine Armee seit jeher ein Ort, an dem sich bestimmte Haltungen und Verhaltensweisen besonders deutlich ausprägen. In keinem Unternehmen ist die Hierarchie, ist das Prinzip von Befehl und Gehorsam derart offen ausgeprägt. Kameradschaft ist mehr als Teamgeist in der Firma, sie kann im Wortsinn überlebenswichtig sein – um so schwerer fällt die Abgrenzung zur Kameraderie.

Und auch wenn man es für eine Übertreibung hält, wenn der Historiker Michael Wolffsohn die Bundeswehr speziell seit Abschaffung der Wehrpflicht als einen regelrechten Magneten für Extremisten aller Art betrachtet – gerade auf rechte Nationalisten übt das Soldatentum spezielle Anziehung aus. Staatsbürgerkunde und das Leitbild des „Bürgers in Uniform“ begleiten nicht zufällig die Bundeswehr seit den Anfängen als Versuche, solchen Tendenzen aktiv zu begegnen.

Um so bedenklicher ist es, wenn sie dann übersehen, geduldet oder sogar vertuscht werden. Noch bedenklicher wird die Sache, wenn das ausgerechnet in Eliteeinheiten passiert. Die Sanitätsausbilder in Pfullendorf wie die Gebirgsjäger in Bad Reichenhall sind Spezialtruppen in ihrem Fach. Franco A. schrieb seine kruden völkischen Thesen als Soldat der deutsch-französischen Brigade an der französischen Heeresschule St. Cyr auf, einem von Napoleon gegründeten Eliteinstitut. Und er kam mit einer windigen Entschuldigung und einem Tadel davon, der nicht mal in die Personalakte wanderte.

Und wie geht die Sache nun politisch für die Ministerin aus?

Das dürfte stark davon abhängen, was die weiteren Ermittlungen der Karlsruher Strafverfolger ergeben. Ein rechtsextremistisches Netzwerk, gar eine terroristische Vereinigung in der Bundeswehr – das wäre eine völlig neue Qualität. Vor einem solchen Hintergrund könnten sich Leyens scharfe Worte nachträglich als berechtigter Alarmruf erweisen. Für die Armee wäre das ein herber Rückschlag in ihrem Bemühen, wenn auch vielleicht nicht zum besten, dann doch zumindest zum allseits respektierten Arbeitgeber zu werden.

Und natürlich wäre dann noch einmal anders über die Frage zu reden, ob Leyen in ihren drei Jahren im Amt über neuem Rüstungsmanagement, neuer Personalplanung und Steigerung der Attraktivität dem Geist der Truppe zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat.

Dass die Ministerin nicht jedem ihrer gut 280.000 zivilen und militärischen Mitarbeiter persönlich auf die Finger schauen kann, geschweige denn hinter die Stirn, versteht sich von selbst. Trotzdem gilt gerade dieses Ministeramt auch deshalb seit jeher als Schleudersitz, weil es wie kein anderes Verantwortung für das große Ganze wie für die Missetaten Einzelner vereint.

Oder, mit Leyens eigenen Worten in ihrem „BerlinDirekt“-Interview: „Unterm Strich hab’ ich immer die schlussendliche Gesamtverantwortung.“

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