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Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Kommandeur Marc-Ulrich Cropp des Jägerbataillons 291 und Generalleutnant Jörg Vollmer (v.l.) gehen zu dem Gebäude, in dem der terrorverdächtige Oberleutnant Franco A. gewohnt hat.

© dpa

Ursula von der Leyen in Illkirch: Damenbesuch

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besucht in Frankreich die Kaserne, in der Franco A. stationiert war. Ein Ortstermin.

Von Robert Birnbaum

Ursula von der Leyen stürmt beherzt ins Gebäude 009. „Beherzt“ ist im Moment eins der Lieblingsworte der Verteidigungsministerin. Beherzt aufklären, beherzt voranschreiten – was man so sagt, wenn plötzlich Krise ist. Die Krise ist groß genug, dass die Ministerin eine USA-Reise kurzfristig abgesagt hat und am Mittwochmittag stattdessen durch die Kaserne der deutsch-französischen Brigade in Illkirch marschiert. Hier beim Jägerbataillon 291 war Falco A. stationiert, der Offizier, der inzwischen zum Fall für die Bundesanwaltschaft geworden ist wegen des Verdachts auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Sie wolle sich, sagt Leyen, vor Ort ein Bild machen.

Nun muss man in dieser Krise ein bisschen die Dinge auseinanderhalten: Es gibt, erstens, die Krise der Ministerin. Ausgelöst hat sie die selbst mit dem Satz in einem Interview, die Bundeswehr habe ein Führungs- und ein Haltungsproblem. Das kam derart pauschal daher, dass der Protest auf dem Fuße folgte. Es gibt, zweitens, möglicherweise eine zweite Krise, wenn nämlich der Fall Franco A. nicht bloß ein Einzelfall wäre, sondern seine Haltung für ein System stünde in der Armee.

Der Fall bewegt sich irgendwo zwischen skurril und bedrohlich. Aufgeflogen ist er eher zufällig, weil dem Sicherheitsdienst am Wiener Flughafen Schwechat auffiel, dass der Mann auf dem Rückweg vom „Ball der Offiziere“ in einem Nebenraum eine geladene Pistole versteckte. Erst nach dieser Festnahme im Februar kam die abenteuerliche Geschichte heraus: Ein Offizier, der ein Doppelleben als angeblicher syrischer Flüchtling führte, eine Liste mit Opfern für einen Anschlag führte, auf der auch der Bundespräsident und der Justizminister standen – und ganz offensichtlich ein Rechtsextremist reinsten Wassers.

Seit Mittwoch weiß die Ministerin von dem Fall - seit 2014 kennt ihn die Bundeswehr

Am vorigen Mittwoch, so die amtliche Chronologie der Affäre, erfuhr die Spitze des Verteidigungsministeriums von dem Fall. Am Freitagnachmittag meldete sich dann das Streitkräfteamt in Berlin: Mit dem Mann gab es doch 2014 diese sonderbare Sache mit seiner Masterarbeit an der französischen Heeres-Eliteuni St. Cyr. Ein völkisches Pamphlet, urteilte damals ein Wissenschaftler, in dem von einem „Genozid“ an den Deutschen durch Zuwanderer die Rede war – ein klarer Ausdruck einer extremistischen Gesinnung im Verbund mit kruden Verschwörungstheorien. Der französische General gab damals den deutschen Kameraden den Rat, den Mann zurückzuholen.

Es passierte das Gegenteil: In einem Gespräch schwatzte A. dem Wehrstrafanwalt eine Geschichte von Zeitdruck und missverständlichen Formulierungen auf. Der Mann muss gut sein in solchen Sachen; in Illkirch galt er bis zuletzt als einer der Besten, intellektuell brillant, ein „tadelloser Soldat“. Der Chef des Streitkräfteamts, bei dem die Sache gelandet war, folgte seinem Juristen. Offizier A. wurde bloß belehrt und durfte eine neue Abschlussarbeit schreiben.

So weit die Sachlage. In der Ministeriumsspitze löste sie empörtes Kopfschütteln aus. Wenn ihm zwei derart grundverschiedene Urteile über den Mann vorlagen, sagt einer aus dem engsten Führungskreis, hätte der Vorgesetzte sofort „andere Stellen“ zur weiteren Beobachtung einschalten müssen – will sagen: den Militärischen Abschirmdienst (MAD). An diesem Punkt überschneidet sich der Fall Franco A. nach Leyens Sicht auch mit anderen wie dem Skandal um sexuelle Übergriffe in der Sanitätsausbildung in Pfullendorf: Wenn ein Vorgesetzter bei Beschwerden und Vorfällen falsch entscheidet, guckt kein anderer mehr drauf. Richtig selten scheint das nicht zu sein; bei der Beschwerdestelle, die die Bundeswehr seit Februar eingerichtet hat, sind inzwischen rund 100 Eingaben eingegangen.

Bunkeroptik, Wehrmachtshelme, Hakenkreuze schmücken den Mannschaftsraum

Auch Probleme mit Rechtsradikalen und Nazi-Apologeten, versichert ein führender Militär, kommen immer wieder vor. Als ob es die einschlägigen Traditionserlasse nie gegeben hätte. Womit nun ein Raum im Haus 010 in der Leclerc-Kaserne in Illkirch südlich von Straßburg ins Spiel kommt. Er liegt hinter dem Gebäude 009, in das Leyen hineinmarschiert ist, geradeheraus durch und an der anderen Seite wieder raus – sehr zum Unwillen der vielen Kameraleute, die im Gänsegalopp hinterhermüssen und immer bloß Bilder davon kriegen, wie die Ministerin Gebäude betritt und verlässt.

Im Raum 010 gibt es den „Bunker“. Das ist der Mannschaftsraum mit einer Bar in Atlantikwall-Bunkeroptik und allerlei Malereien und Waffen an der Wand. Man sieht da einen Wehrmachtssoldaten, man sieht Wehrmachtshelme. An der Tür hängt noch ein Siegel der Staatsanwaltschaft. Von diesem Wandschmuck finden sich Fotos in den Dossiers, die das Ministerium den Obleuten im Verteidigungsausschuss übergeben hat. Dort wirken sie so, als stammten sie aus dem Bestand von Franco A. – was aber nicht stimmt. Ob er mit der Wandausschmückung etwas zu tun hat – keiner weiß es.

Leyen hat sich den Raum auch angeguckt, hat mit ihrem Ermittlungsführer gesprochen, dem Heeresinspekteur Jörg Vollmer, und mit Soldaten der Einheit. Danach steht sie vor den vielen Kameras und sagt: „Die Wehrmacht ist für die Bundeswehr nicht traditionsstiftend.“ Die Exponate im „Bunker“ nennt sie „nicht akzeptabel“. Zum Umgang des Vorgesetzten mit dem Fall Franco A. sagt sie, der sei „kleingeredet“ worden. Der Mann ist noch im Amt, aber wohl nicht mehr lange.

Und dann ist da noch die Frage nach der anderen, der Haltungskrise. „Die große Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten verdient unsere Unterstützung und unseren Respekt.“ Um so schlimmer, wenn eine Minderheit das Bild verdunkle. Das müsse man jetzt aufklären, ein langer Prozess werde das, schmerzhaft; das habe sie in jenem Interview gesagt. Und außerdem: „Wir sollten uns vor Pauschalisierungen hüten.“

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