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Iraker demonstrieren vor einigen Tagen in Basra gegen die schlechte Versorgung.

© REUTERS/Alaa al-Marjani

Ursula von der Leyen im Irak: Irak: Zersplittert, zerstört, zerstritten

Der Irak kommt vier Monate nach der Wahl nicht zur Ruhe. Der Einfluss des IS schwindet, aber Pro-Iraner und Nationalisten blockieren sich in Bagdad.

Im Irak ist vier Monate nach der Wahl immer noch nicht klar, ob aus dem Land ein geeinter Nationalstaat, eine Allianz autonomer Regionen oder ein iranisches Marionettenregime wird. Wie der Tagesspiegel aus deutschen Sicherheitskreisen, von mehreren Hilfsorganisationen und aus der Bundespolitik erfuhr, herrschen erhebliche Zweifel daran, dass sich die Lage bald beruhigen wird. Zumal die Abgeordneten in Bagdad bis heute keine neue Regierung gewählt haben.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat am Montag ihre Reise durch die Region fortgesetzt - nachdem sie in Bagdad mit der Zentralregierung sprach, traf Leyen im nordirakischen Erbil, der Kurdenhochburg, ein. Millionen Iraker betrachten sich zuerst als Schiiten, andere als Sunniten und die Bürger im Norden des Iraks ganz überwiegend als Kurden. Der „Islamische Staat“ (IS) verliert zwar an Einfluss. Doch Milizen, die in die Regierungsarmee integriert werden sollen, weiten ihren Einfluss aus und haben oft eine Willkürherrschaft installiert.

Ursula von der Leyen (CDU), Bundesministerin der Verteidigung kommt auf dem Flughafen im irakisch-kurdischen Erbil an.
Ursula von der Leyen (CDU), Bundesministerin der Verteidigung kommt auf dem Flughafen im irakisch-kurdischen Erbil an.

© Nietfeld/dpa

Erschwerend kommt hinzu: Im Parlament blockieren sich zwei fast gleich große Blöcke. Da ist zum einen das Lager des bisherigen Premier Haider al Abadi, der zuletzt die Nähe des Wahlsiegers und einflussreichen Schiitenpredigers Moktada al Sadr suchte. Auf Sadr können sich auch viele Sunniten verständigen, denn der Nationalist lehnt den Einfluss der Schiiten aus dem Nachbarland Iran ab. Auf der anderen Seite steht die Liste von Ex-Ministerpräsident Nuri al Maliki. Während seiner Regierungszeit, also nach Sturz des Diktators Saddam Hussein, hatte Maliki die Sunniten ausgegrenzt. Diesem radikalschiitischen Lager ist auch Hadi al Ameri zuzurechnen, der bei der Wahl gut abgeschnitten hat. Hinter ihm stehen die Haschd-al- Schaabi-Milizen. Deren 130 000 Kämpfer sollen in Iraks Armee integriert werden, wobei viele auf die iranischen Mullahs hören.

Der Irak braucht schon deshalb dringend eine wirksame Regierung, um die vom IS zurückeroberten Regionen wieder aufzubauen. „In vielen Gebieten werden Kinder einer zerstörten Schule fast komplett von einer anderen Schule aufgenommen – es gibt also Doppelbelegungen“, sagte Haissam Minkara dem Tagesspiegel. Minkara leitet die renommierte Hilfsorganisation Oxfam in Irak. „Zehn Millionen Iraker leiden unter mangelnder Basisversorgung – haben also zu wenig Wasser, Essen, Kleidung, Wohnraum.“

Drei Millionen Binnenflüchtlinge gibt es im Land. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage hervor. Der Irak sei ein warnendes Beispiel für die langfristigen Folgen von sogenannten Regime-Change-Kriegen, sagte Linken-Politikerin Evrim Sommer, mit Blick auf den US-geführten Angriff auf den Irak im Jahr 2003. „Angesichts der Lage ist zu begrüßen, dass Deutschland seine humanitäre Hilfe für den Irak noch im laufenden Jahr auf 70 Millionen aufstocken will“, sagte Sommer. Es müsse aber ausgeschlossen sein, dass die bislang in Bagdad herrschenden Cliquen die internationale Hilfe für ihre Klientelpolitik missbrauchen.

Im südirakischen Basra gingen zuletzt tagelang wütende Massen auf die Straße. Dabei wurde nicht wie so oft gegen Angehörige einer anderen Religionsgemeinschaft demonstriert, sondern gegen Korruption und Misswirtschaft. Arme Schiiten protestieren somit letztlich gegen reichere Schiiten. Das alarmierte die Mullahs im Iran. Wie die meisten Iraker sind Iraner schiitischen Glaubens – die Mullahs appellieren also nicht an das arabische, sondern das religiöse Erbe vieler Iraker. Mit dem Wahlsieg des nationalistischen Sadr wollen sie sich nicht abfinden. Außerdem fühlen sich die Mullahs durch die kurdischen Autonomiebestrebungen provoziert. So wie die Türkei, die kurdische Stellungen in Nordirak seit Jahrzehnten angreift, hat Teherans Luftwaffe jüngst das Quartier kurdisch-sozialdemokratischer Exilanten bombardiert.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in Bagdad.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in Bagdad.

© dpa

Dabei funktionieren Gesellschaft und Infrastruktur noch am ehesten in der kurdischen Autonomieregion. Das Auswärtige Amt in Berlin teilte in seiner Antwort auf die Linken-Anfrage mit, dass Flüchtlinge in Kurdistan offenbar besser integriert würden als anderswo im Irak. „Die Bundesregierung sollte ihre bisherige Unterstützung für die kurdische Autonomieregion zu einer Entwicklungspartnerschaft aufwerten“, sagte LinkenAbgeordnete Sommer. Deutsche und internationale Hilfsorganisationen arbeiten oft von dieser Region aus, schon weil die Kurden dort marodierende Banden wirksamer bekämpfen. Die Kurdenregion sei derzeit sicherer als der Rest des Landes, sagte Oxfam- Experte Minkara. „In den vergangenen Monaten gab es aber gleichfalls in Zentralirak weniger Entführungen und Überfälle als in den Jahren zuvor.“

Im Oktober 2017 hatten Truppen der irakischen Zentralregierung die Region um Kirkuk von kurdischen Kräften erobert. In der Nähe von Kirkuk waren auch Bundeswehr-Soldaten stationiert, die dort kurdische Peschmerga-Einheiten ausbildeten. Damals sollen deutsche Soldaten von antikurdischen, proiranischen Kräften latent bedroht worden sein.

Das Bundesverteidigungsministerium bestätigte dies auf Anfrage nicht. Die Ausbildung sei im Herbst 2017 „aufgrund zwischenzeitlich wieder beruhigter inner-irakischer Spannungen“ unterbrochen worden. „Deutsche Kräfte im Irak waren weder in Kampfhandlungen verwickelt noch wurden sie akut bedroht.“ Die Bundesregierung bemühe sich nun um ein „ausbalanciertes Engagement“ zwischen dem kurdischen Nordirak und der Zentralregierung.

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