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Angela Merkel auf allen Kanälen, seit mehr als zehn Jahren auch im Internet. Die Bundesregierung hält das für ihren Auftrag.

© Jens Büttner / picture-alliance/ dpa

Exklusiv

Unzulässige Beeinflussung?: Social-Media-Angebot der Bundesregierung kommt vor Gericht

Merkel, Merkel, Merkel – das ist die Botschaft des Bundespresseamts auf Facebook und Instagram. Ein Rechtanwalt klagt deshalb vor einem Berliner Gericht.

Als Angela Merkel 2015 dem Youtube-Unterhalter Le Floid eines ihrer nur noch seltenen Interviews gibt, zeigt sich, wie an der Spitze der Regierung über Auftritte im Digitalzeitalter gedacht wird: „Das Internet ermöglicht es ja, dass ich mir sozusagen meinen eigenen Sender baue und nur noch Fragesteller habe, die das fragen, was ich gerne hätte.“

Der TV-Spaßmacher Jan Böhmermann hat die Szene vergangenes Jahr wieder hervorgekramt, um damit die „Verwandlung der Bundesregierung in einen Internet-Rundfunksender“ zu illustrieren, der nur ein Programm ausstrahle: sich selbst. Böhmermanns Satire gilt den amtlichen Angeboten auf Instagram, Facebook, Twitter und Co, die sich aus seiner Sicht zu einer Art Staatsfernsehen aus Tönen und Bewegtbildern verdichten. Warum klagt keiner?, fragt er in die Kamera.

Jetzt klagt einer. Erstmals muss sich ein Gericht umfassend mit den regierungsamtlichen Social-Media-Aktivitäten befassen. Der Berliner Rechtsanwalt Hermann von Engelbrechten-Ilow verlangt, es künftig zu unterlassen, aus seiner Sicht werbliche und unzulässig beeinflussende Beiträge in den Netzwerken zu streamen (Az.: Vg 6 K 406.19).

Der Jurist hat sich nach eigener Auskunft auf die „grundgesetzlichen Aspekte gesellschaftlicher Meinungsbildung“ spezialisiert. Zuvor hatte er, wie berichtet, bereits das Bundespresseamt erfolgreich darauf verklagt, Zahlen zu Presse- und Rundfunkinterviews der Kanzlerin herauszugeben.

Die Regierung umgeht die Presse-Medien, rügt der Kläger

Auch jetzt geht es wieder gegen das für die Internetauftritte verantwortliche Bundespresseamt: Die Beklagte verletze mit ihrer „Kommunikation in den sogenannten sozialen Medien die Integrität der Meinungsbildung“ sowie die Freiheit des Klägers, von staatlicher Information verschont zu bleiben, heißt es in der Antragsschrift.

Netzwerkplattformen ordneten die darauf veröffentlichten Beiträge nach Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie und riefen „systematische kognitive Verzerrungen bei Nutzerinnen und Nutzern hervor“. Zugleich umgehe die Regierung journalistische Medien und nehme direkt Einfluss auf die Meinungsbildung. Die damit einhergehende „Gefährdung der Kommunikationsfreiheiten“ benötige jedenfalls ein Gesetz.

Ein zeitgemäßes Gesetz fehlt

Das fehlt bisher. Tatsächlich streamt und postet die Regierung auf Grundlage eines verfassungsgerichtlichen Urteils, das aus einer Zeit stammt, als der Internetvorläufer Arpanet über gerade mal 111 Kommunikationsknoten verfügte. Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit sei notwendig, urteilte das Gericht 1977, um informiert wählen zu können oder andere politische Handlungsmöglichkeiten wahrzunehmen.

Allerdings seien die Staatsorgane nicht nur zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Es sei ihnen auch „verwehrt, durch besondere Maßnahmen (…) auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen einzuwirken, um dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern“. Seinerzeit klagte die CDU gegen Faltblätter und Zeitungsanzeigen der sozialliberalen Regierung – übrigens mit Erfolg.

Die Regierung darf also nicht nur, sie muss die Bürgerinnen und Bürger informieren. Auf allen Kanälen? Aus vollen Rohren? Ein weiteres Alt-Urteil aus Karlsruhe steckt das Spannungsfeld in eine andere Richtung ab.

Es ist das sogenannte erste Rundfunk-Urteil von 1961, das erging, als der damalige Kanzler Konrad Adenauer (CDU) ein vom Bund kontrolliertes zweites TV-Programm ausstrahlen lassen wollte. Die ARD war ihm zu SPD-nah. Das Fernsehen sei zu mächtig, um vom Staat organisiert zu werden, sagten die Richter; es müsse „staatsfern“ sein.

Eine Agentur rät dem Bundespresseamt, es solle Debatten beeinflussen

Das Arpanet war damals nicht viel mehr als eine Idee von US-Militärs. Niemand hatte eine Vorstellung von dem, was kommen würde. In einer Präsentation der Kommunikationsagentur Rico Jones, die vom Presseamt mit Netzdiensten beauftragt wird, hieß es im vergangenen Jahr: „Social Media haben sich zum wichtigsten Mittel zur politischen Willensbildung entwickelt“.

Daher müssten für Auftritte der Regierung Inhalte produziert werden, „die Nutzer und Facebook-Algorithmus favorisieren“. Die Agentur rät, in Netzdiskussionen „Themen selbst zu setzen“ und „Debatten zu beeinflussen“.

Ob oder wie die Regierung dem Rat folgt, ist im Internet zu besichtigen: der Klassiker-Auftritt bei Facebook („Bundesregierung“), die wöchentlichen Merkel-Podcasts unter bundeskanzlerin.de („Die Kanzlerin direkt“) oder Ansprachen und Händeschütteln „Live aus dem Kanzleramt“. Der Chef des Bundespresseamts und Regierungssprecher Steffen Seibert nähert sich im Twitter-Kosmos als @RegSprecher der Grenze von einer Millionen Follower. Jüngster Hit ist Instagram.

Lauter Positivmeldungen

Zu hören und sehen ist Merkel, Merkel, Merkel; die amtlichen Kommentare beschränken sich meist auf Positivmeldungen. Alles sind bedeutende Schritte, Worte oder Bekenntnisse; alles ist irgendwie wertvoll, hoffnungsvoll, mindestens sinnvoll. Ergänzt wird das Programm zunehmend von den Ministerien, die entsprechend politischer Farbe der Hausleitung ihre Herzensprojekte ausspielen.

Kritik im Parlament rief zuletzt etwa ein Video von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hervor. Parkspaziergänger erklären darin, dass sie eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung ziemlich gut finden. Das Ganze war aufgemacht wie eine Straßenumfrage von TV-Reportern.

Kontrollfunktion fehlt

Die Opposition verfolgt das mit Misstrauen. „Bei der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung verschwimmen bewusst eng gesetzte rechtliche Grenzen zusehends“, kritisiert Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. Die Regierung baue ihr Engagement aus, ohne nötige Kurskorrekturen vorzunehmen.

Die medienpolitische Sprecherin der Linksfraktion Doris Achelwilm betont, dass unabhängige Medien ihre Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive trotz der Plattformarbeit der Regierung wahrnehmen können müssten.

Politisch unabhängiger, kritischer Journalismus dürfe nicht „abgekoppelt“ werden, weil das Publizieren eigener Inhalte und Framings bequemer und werblich effektiver sei. Die Haushaltstitel der Ministerien für Öffentlichkeitsarbeit seien zum Teil schon erheblich erhöht worden. Mehr sei nicht drin.

Auch Werbung muss erlaubt sein, fordert die FDP

In der Unionsfraktion stößt das Thema auf Unverständnis. „Kein Kommentar“, heißt es. Die SPD betont ihre Forderung, das Presse-Auskunftsrecht zu stärken. Offensiv zeigt sich die FDP: „Dass die Regierung die Plattformen auch für Eigenwerbung nutzt, und nicht für rein objektive Berichterstattung, gehört für mich zum politischen Wettbewerb“, erklärt der digitalpolitische Sprecher Manuel Höferlin. Diese Praxis treffe auf nahezu alle politischen Akteure zu.

Die Spannweite der Positionen zeigt die Freiräume, in denen sich amtlich-digitale Öffentlichkeitsarbeit derzeit bewegen kann. Ob sie mit einem Urteil des Verwaltungsgerichts enger oder möglicherweise noch weiter werden, steht dahin.

Ungefilterter Zugriff auf Meinungsbildung

Die Bundesregierung hält die Klage des Berliner Rechtsanwalts von Engelbrechten-Ilow bereits für unzulässig, sodass es erst gar nicht zu einer Entscheidung in der Sache kommen dürfte. Es fehle bereits an den behaupteten Grundrechtseingriffen und damit an der nötigen Klagebefugnis, heißt es in einer Erwiderung. Dem Kläger würden die Informationen schließlich nicht aufgedrängt, er könne ihnen ausweichen und sich seine politische Meinung auch woanders bilden.

„Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Regierung über eigene, reichweitenstarke Medien verfügt“, hält von Engelbrechten-Ilow dagegen. Das ergebe eine „neue Situation“: Staatliche Stellen hätten erstmals „ungefilterten und direkten Zugriff“ auf freie gesellschaftliche Meinungsbildung.

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