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Wer liest mit? Im Oktober 2013 erfuhr die Kanzlerin, dass auch ihr Handy von der NSA ausgespäht worden war.

© dpa/picture alliance/Stefan Sauer

Untersuchungsausschuss: Was wusste Angela Merkel in der NSA-Affäre?

Als letzte Zeugin wird die Kanzlerin am Donnerstag zur Affäre um den US-Geheimdienst NSA gehört. Dabei geht es auch um Merkels Amtsführung - denn der BND hat ebenfalls fleißig ausgespäht.

Von Robert Birnbaum

Hans-Christian Ströbele weiß genau, wie man Fallhöhe erzeugt. Der Grüne aus Kreuzberg hat mehr Lebenszeit in Untersuchungsausschüssen verbracht als jeder andere Abgeordnete. Sein erster war der Flick-Ausschuss, dazwischen hat er Helmut Kohl in der Spendenaffäre gegrillt; jetzt ist Angela Merkel dran. Nach drei Jahren und weit mehr als 100 Sitzungen kommt die Kanzlerin am Donnerstag als letzte Zeugin in den NSA-Untersuchungsausschuss.

„Ich hoffe auf einen Tag der Wahrheit und Klarheit“, sagt Ströbele. Der 77-Jährige mit dem knallroten Schal schafft es, bei solchen Sätzen völlig unschuldig dreinzuschauen. Dabei ist leicht absehbar, dass Merkel ihm nicht bieten wird, was er unter Wahrheit und Klarheit versteht. Und genau so leicht ist absehbar, dass Ströbele sich darüber dann vor den Kameras ungemein enttäuscht zeigen wird.

Mit der Vernehmung der Kanzlerin schließt sich der Kreis einer Affäre, die im Oktober 2013 mit einem mittlerweile legendären Merkel-Satz so richtig in Fahrt kam: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!“ Da war gerade bekannt geworden, dass der US-Auslandsgeheimdienst NSA auch ihr eigenes Handy in der Abhörkartei führte. Die Amerikaner haben sich dazu so wenig geäußert wie zu allen anderen Vorwürfen. Aber gegenüber der deutschen Regierungschefin legte US-Präsident Barack Obama später doch in indirektes Geständnis ab: Ihr Handy werde nicht mehr belauscht. Auf ein umfassendes „No-Spy-Abkommen“, das die Bundesregierung öffentlich in Aussicht stellte, ließen sich die Amerikaner aber nicht ein.

Tatsächlich war „Handygate“ nur ein spektakulärer Beifang bei der Spurensuche nach einer Abhörpraxis, die im Juni 2013 durch Dokumente des Ex-NSA-Beschäftigten Edward Snowden publik wurde. Massenhaft, so der erste Verdacht, habe die NSA Bundesbürger beim Telefonieren und Mailen belauscht.

Das vorschnelle Urteil des Ronald Pofalla

Dieser Anfangsverdacht erwies sich zwar als falsch, was für den nächsten legendären Moment sorgte: Merkels damaliger Kanzleramtschef Ronald Pofalla erklärte den Vorwurf „Massenausspähung“ für erledigt. Doch spätestens kurz nach diesem Auftritt wusste Pofalla selbst, dass die Affäre sehr viel weitere Kreise zog. Da musste ihm der damalige BND- Chef Gerhard Schindler beichten, dass durchaus auch deutsche Schlapphüte Freunde abhörten.

Dass das Büro des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu ebenso auf der BND-Spähliste stand wie die EU, Rüstungsfirmen genau so wie der frühere französische Außenminister Laurent Fabius, ist mittlerweile unstreitig. Der Ausschuss will von Merkel etwas anderes wissen: War sie wirklich arglos, als sie den „Freunde“-Satz sagte – und stimmt die Geschichte von der großen Ahnungslosigkeit im Kanzleramt?

Die Geschichte geht so, dass Pofalla erst im Oktober 2013 von Schindler erfahren hat, dass der BND befreundete Botschaften im Ausland abhörte. Der damalige Kanzleramtschef als oberster Geheimdienstaufseher stoppte diese Praxis per Weisung. Bei der Amtsübergabe an den Nachfolger Peter Altmaier ist der Komplex nach dessen eigener Aussage nicht näher erwähnt worden.

Altmaier hat vorige Woche als Zeuge im Ausschuss bekräftigt, er habe erst im März 2015 erfahren, dass die NSA sich der Hilfe des BND nicht nur zum Ausspähen in fernöstlichen Krisengebieten bedient hatte, sondern auch zum Lauschen in Europa. Erst weitere Wochen später sei ihm klar geworden, dass der deutsche Dienst solche Lauschaktionen bei Freunden sogar auf eigene Rechnung unternahm. Und von Pofalla und Altmaier über dessen Geheimdienst-Beauftragten Klaus-Dieter Fritsche bis hin zu Schindler versicherten alle prominenten Zeugen, dass untere BND-Ebenen all das auf eigene Faust und ohne Wissen und Billigung von oben betrieben hätten. Er sei selbst erstaunt gewesen, gab Fritsche vorige Woche zu Protokoll, welche Freiräume so ein BND-Mitarbeiter gehabt habe.

Vielleicht wollte man es im Kanzleramt gar nicht so genau wissen

Dokumente oder Zeugen, die diese Darstellung erschüttern könnten, hat der Ausschuss nicht gefunden. Womöglich, vermuten Ausschussmitglieder inzwischen, wollte man im Kanzleramt auch gar nicht so genau wissen, was die eigenen Dienste im Geheimen treiben. Der SPD-Obmann Christian Flisek spekulierte am Mittwoch, dass von ihr selbst und anderen eine Art Schutzwall um die Kanzlerin herum gezogen worden sei mit dem Ziel, dass sie sensible Informationen gar nicht erst erreichten. Das wäre dann nach dem Motto gelaufen: Wenn sie von nichts weiß, kann sie auch nicht in Verlegenheit geraten.

Doch hätte Merkel nicht längst wissen wollen müssen? Den Vorwurf, sie habe ihr Amt nicht im Griff gehabt, wird sie am Donnerstag zu hören bekommen.

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