zum Hauptinhalt
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) während eines EU-Gipfels

© dpa/AP/Geert Vanden Wijngaert

Unionskompromiss: Streit von CDU und CSU schwächt Europas Institutionen

Der Kompromiss von CDU und CSU in der Asylpolitik führt weg von der europäischen Solidarität. Es ist ein weiterer Beleg dafür, dass Europa es nicht mehr schafft, Kraft aus der Einigkeit zu ziehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Ob sich in dem Streit zwischen der Bundeskanzlerin und ihrem Innenminister letztlich Angela Merkel oder Horst Seehofer durchgesetzt hat, mögen politische Beobachter je nach eigenem Standpunkt bewerten. Ein fundiertes Urteil wird wohl ohnedies erst nach einiger Zeit möglich sein. Wenn zwei so verschiedenartige Menschen wie diese beiden aufeinander treffen, sind Prognosen über den Ausgang der Kontroverse, völlig unabhängig von der Bewertung der sachlichen Positionen, kaum möglich. Fest steht aber, dass der Kompromiss zwischen CDU und CSU nur solche nationalen Lösungen im Asylverfahren erlaubt, die in Übereinstimmung mit Europäischem Recht stehen.

Bayerische oder deutsche Maßnahmen mit Auswirkungen auf andere Staaten der Europäischen Union sind möglich. Dies aber nur dann, wenn zuvor mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen abgeschlossen wurden, oder zumindest ein Einvernehmen über das Vorgehen hergestellt ist. Wenn dies nicht in allen Fällen gelingt, Deutschland aber an der österreichischen Grenze Asylbewerber zurückweisen wollte, ginge auch das nur auf der Basis einer Vereinbarung mit dem Nachbarland. Österreich hat aber bereits abgekündigt, dass es, sollte es solche deutschen oder bayerischen  Maßnahmen an der gemeinsamen Grenze geben, seinerseits die Grenzen im Süden unter verstärkte Überwachung stellen würde. Das würde Italien, Slowenien, und Ungarn betreffen.

Keine europa-taugliche Vereinbarung

Das alles klingt so, als habe sich die deutsche Regierungschefin mit ihrem bis zum möglichen Koalitionsbruch eisern vertretenen Beharren auf einer EU-kompatiblen Regelung im Flüchtlingsstreit durchgesetzt, und ihr Minister habe nicht mehr als einen Gesicht wahrenden Kompromiss erreicht. Aber was wie eine europa-taugliche Vereinbarung zwischen den zerstrittenen Unionsparteien wirkt, ist in Wahrheit ein Schritt weg von der grenzenlosen europäischen Solidarität hin zu einem Netz von zweiseitigen Abkommen, durch das die europäischen Institutionen geschwächt werden.

An einem Sturz Angela Merkels hat niemand in der EU ein Interesse

Diese ernüchternde Bilanz ergibt sich auch in der Analyse der Ergebnisse des Brüsseler Gipfels in der vergangenen Woche, von dem die Bundeskanzlerin so geradezu überschwänglich berichtend zurückkam. Ob sie nach der Nervenstrapazierenden Nachtsitzung nur geblufft hat, oder in einer vorübergehenden Euphorie Andeutungen als Fakten nahm, ist unklar. Aber die von ihr nach den Gesprächen in Brüssel selbstbewusst präsentierten angeblichen Zusagen auf politischer Ebene von, neben Griechenland und Spanien, 14 weiteren Staaten sind schnell auf eine deutlich kleinere Zahl geschrumpft.

Klar war jedoch, dass die meisten Staaten der Europäischen Union Merkel im innerkoalitionären Machtkampf mit der CSU stützen würden, was immer auch etliche von ihnen an durchaus nachvollziehbaren Ressentiments gegenüber der deutschen Regierungschefin haben könnten – von den schlechten Erfahrungen mit der Unbeugsamkeit der Kanzlerin, sobald es möglicherweise um deutsches Geld ging, einmal ganz abgesehen. Dennoch hatte und hat niemand in der EU Interesse an einem Sturz Angela Merkels, geschweige denn an Neuwahlen, die in jedem Fall populistische, nationalistische und europa-feindliche Kräfte bin der Bundesrepublik stärken würden.

Europa muss mühsam zusammengehalten werden

Dieses Entgegenkommen ging aber nie bis zur Ausstellung eines Blankoschecks beim Umgang mit der Flüchtlingsfrage. Hier spricht Europa nicht mit einer Stimme, das wurde in Brüssel erneut deutlich. Allenfalls bei der Einsicht in die Festigung der Außengrenzen herrscht Übereinstimmung. Seit dem CDU-CSU-Kompromiss wissen wir nun auch, dass Europas Zukunft zumindest in dieser Frage keine gemeinsame Lösung des Problems bringen würde, sondern dass ab sofort ein noch zu knüpfendes Netz zwei- oder allenfalls noch mehrseitiger Abkommen die einzige tragfähige Lösung sein wird. Die Zeiten, in denen Europa seine Kraft aus der Einigkeit bezog, sind vorbei. Wahrscheinlich ist der Umgang mit der Flüchtlingsfrage erst der Anfang einer Ernüchterung, eines neuen Realismus. Von Europa wird nicht mehr geträumt. Es muss zunächst wieder einmal mühsam zusammengehalten werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false