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Ralph Brinkhaus ist seit September 2018 Vorsitzender der CDU-/CSU-Fraktion im Bundestag.

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Unions-Fraktionschef Brinkhaus im Interview: „Wir sind ein unglaublich starkes Land“

Ralph Brinkhaus über Politik per Telefonkonferenz, unnötige Meetings, Deutschlands wirtschaftliche Kraft und die Gesellschaft als lernendes System.

Von Robert Birnbaum

Wir alle erleben eine Zeit, wie wir sie nur aus Hollywood-Filmen kannten. Wie gehen Sie mit der Situation um?
Bisher haben wir gar keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was das für eine ungewöhnliche Situation ist. Wir sind einfach voll damit beschäftigt, das Notwendige zu tun. Wir diskutieren immer: Was ist jetzt nötig und richtig – und dann geht’s in die Umsetzung. Wir bemühen uns, unsere Aufgabe zu erfüllen und dabei auch immer die nächsten Schritte mitzudenken. Zu mehr kommen wir im Moment nicht.

Wie müssen wir uns das praktisch vorstellen?
Die meisten von uns sind im Home-Office, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Es gibt fast keine physischen Meetings mehr. In den Tagen vor der letzten Sitzung des Bundestags haben wir nahezu im Stundentakt Telefonkonferenzen geführt.

Das ist ziemlich anstrengend, oder?
Man gewöhnt sich dran. Aber es ist schon aufwändiger. Nebenher die Spülmaschine ausräumen geht im Übrigen auch nicht, weil man dann schnell den Faden verliert. Wir haben uns intern ein paar Regeln gegeben: Wortmeldungen per SMS, jeder schaltet auf stumm, bitte nicht zwischendurch auf der gleichen Leitung Anrufe annehmen, weil es sonst bei allen klingelt – da mussten wir uns erst dran gewöhnen, wie alle, die jetzt von zu Hause aus arbeiten. Aber das haben wir zuletzt ganz gut hingekriegt.

Wie schaffen Sie es, in der Flut der Informationen den Überblick zu halten und zum Beispiel die medizinischen Zusammenhänge zu verstehen?
Bei allen medizinischen Fragen müssen wir uns auf das Robert-Koch-Institut, die Virologen und Epidemiologen und medizinischen Berater der Bundesregierung verlassen. Wir kriegen natürlich auch die Vorlagen und sind an vielen Gesprächen beteiligt. Da kommt man langsam auch etwas in diese ungewohnten Themen rein. Aber ich würde mir niemals anmaßen, ein medizinisches Urteil zu fällen.

Der Bundestag hat letzte Woche hunderte Milliarden Euro Hilfsgelder und weitreichende Vollmachten für den Bund im Eiltempo beschlossen. Geht das jetzt monatelang so weiter?
Natürlich nicht. Ich hatte zwar den Eindruck, dass wir diese Gesetze letztlich in der Kürze der Zeit intensiver beraten haben als viele anderen. Die Krise zwingt uns alle, den verfahrensrechtlichen Rahmen so pragmatisch wie möglich auszuschöpfen. Das ist uns gelungen. Unsere Demokratie ist auch in der Krise handlungsfähig. Aber das ist auf Dauer kein Zustand. Die Sitzung war eine echte Belastung, gerade für unsere Mitarbeiter. Uns ist allerdings allen sehr bewusst, dass der Alltag für andere weitaus schwerer und gefährlicher ist – in den Krankenhäusern, in den Supermärkten, im Altenheim. Insofern kein Anlass zum Jammern. Wir wissen, andere leisten viel mehr als wir.

Wenn es nicht so weiter geht – wie dann?
Wir haben ja beschlossen, dass der Bundestag schon mit einem Viertel seiner Abgeordneten beschlussfähig ist. Das entspannt zumindest viele praktische Probleme, etwa das Abstandhalten. Wir versuchen auch elektronische Formate zu entwickeln. Ausschüsse dürfen jetzt per Telefon- oder Videokonferenz beraten.

Wäre so etwas nicht für den Normalfall immer schon sinnvoll gewesen?
Wir müssen uns hinterher in Ruhe anschauen, was davon bleiben kann. Für eine Übergangszeit ist das gut. Ich halte es allerdings für sehr wichtig, dass diese Notfall-Regelung für den Bundestag genauso wie das Allermeiste, was jetzt schnell gemacht wurde, mit einer Befristung versehen ist. Videokonferenzen müssen jetzt sein. Aber irgendwann wollen und müssen wir wieder normal als Parlament zusammentreten.

Aber steckt nicht in dieser Krise eine Chance, dass plötzlich Dinge vorankommen, die jahrelang nur diskutiert wurden?
Das wird einen Modernisierungsschub bringen, keine Frage. Wir werden digitaler. Und nicht nur im Bundestag merken viele gerade, dass man gar nicht zu jeder Besprechung anreisen muss. Bestimmte Meetings kann man auch einfach wegfallen lassen, weil sie sich jetzt als eigentlich völlig unnötig erweisen. In Telefonkonferenzen lernen Leute, sich kürzer zu fassen – da fehlt nämlich plötzlich der Resonanzboden, wenn man zehn Minuten einen Monolog ins Leere hält. Die Art und Weise, wie wir uns organisieren und kommunizieren, wird nach Corona eine andere sein.

Erleben wir demnächst vielleicht sogar den virtuellen CDU-Parteitag?
Ich kann mir noch nicht vorstellen, dass wir einen neuen Vorsitzenden per Internet wählen. Dann verschieben wir den Parteitag lieber so lange, bis wir wieder 1001 Delegierte in einen Saal reinkriegen. Und wann das ist – da haben die Epidemiologen das letzte Wort. Ich glaube allerdings nicht, dass wir vor der Sommerpause noch einen Sonderparteitag haben.

Kann die Sommerpause überhaupt wie gewohnt stattfinden?

Das müssen wir abwarten.

Wie geht es weiter mit der normalen Gesetzgebung, die den Bundestag ja auch sonst gut auslastet. Oder liegen Projekte wie das neue Wahlrecht auf Eis?
Nein, das ist nicht vertagt. Alle Gesetzgebungsvorhaben laufen weiter. Jeder betreut ja seine Themen, nur von woanders. Der Bundestag arbeitet.

Der Bundestag hat dem Gesundheitsminister befristet Sonderrechte eingeräumt – und den Ländern damit aus der Hand genommen. Wenn das jetzt sinnvoll ist – sollte es nicht auf Dauer so bleiben?
Wir hatten so eine Katastrophe vorher nicht. Für uns ist ein Lerneffekt, dass wir versuchen müssen, einheitlicher zu kommunizieren und schneller und stringenter zu entscheiden. Das geht in bestimmten Fragen besser auf Bundesebene, schon weil eine Pandemie immer mindestens eine europäische Dimension hat. Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir die Länder entmachten wollten. Das föderale Prinzip steht nicht zur Debatte. Wir werden daher auch diese Sonderrechte hinterher überprüfen.
Stichwort Kommunikation: Es gab in den letzten Wochen Länder-Alleingänge und den Eindruck, dass da nebenbei Kanzlerkandidatenschlachten geschlagen werden. Außerdem viel Verwirrung darüber, was jetzt wo verboten oder erlaubt ist. Wäre es nicht besser, wenn der Bund die Grundlinien einheitlich festlegt?
Ich habe großen Respekt vor der föderalen Unabhängigkeit. Und die Ministerpräsidenten stehen unter enormen Druck, deswegen möchte ich auch niemanden kritisieren. Aber es wäre schön, wenn alle zum gleichen Zeitpunkt die gleiche Linie vertreten. Das wäre hilfreich. Ich würde da nirgendwo reinreden wollen, ob es ums Abitur geht oder um Ausgeh-Regeln. Aber besser wäre eine Abstimmung, die sicherstellt, dass die Bürger ein stringentes Bild erhalten.

Das haben sie aber nicht. Berlin und Bayern verbieten das Verlassen der Wohnung und listen erst unter Punkt 14 Ausnahmen auf. NRW erlaubt das Rausgehen für die gleichen Zwecke. Juristisch ist das eins, aber gefühlt bin ich hier eingesperrt, und in meiner sauerländischen Heimat darf ich raus.
Länder sind natürlich auch unterschiedlich betroffen. Baden-Württemberg, liegt gegenüber dem Elsass, wo die Epidemie gerade besonders schlimm ist. Das erfordert andere Maßnahmen als in Sachsen- Anhalt. Aber im Grundsatz muss gelten: Gerade in Krisenfällen müssen wir einheitlich kommunizieren, damit die Menschen ein Geländer zum Festhalten haben.

Beschlossen sind beispiellose Milliardenpakete zur Rettung unserer Wirtschaft. Wenn aber selbst das nicht reicht – kann Deutschland nachlegen?
Erstens glauben wir, dass wir damit auf einem guten Weg sind. Und zweitens: Ja, man kann immer noch nachlegen. Wir sind wirtschaftlich ein unglaublich starkes Land. Wir haben unsere Staatsverschuldung unter 60 Prozent des Bruttosozialprodukts gedrückt. Deshalb bin ich an der Stelle erst einmal relativ entspannt.Version:0.9 StartHTML:0000000136 EndHTML:0000000862 StartFragment:0000000172 EndFragment:0000000826 SourceURL:about:blank#blocked

Bleibt hinterher noch Geld fürs Klima?
Ja natürlich, ganz klar. Wir haben auch noch Geld für Soziales, für Forschung und Innovation, für alles andere. Wir müssen jetzt durch diese sehr, sehr harte Zeit durch. Aber wir haben eine Zukunft.
Der CDU-Wirtschaftsflügels stellt die Grundrente wieder in Frage – mit Verweis auf Kosten und Prioritäten. Wird die jetzt zu teuer?
Auch bei der Grundrente gehen die Arbeiten erst einmal weiter. Es sind da aber unabhängig von Corona noch wesentliche Fragen offen, die Herr Scholz und Herr Heil klären müssen.

Das ifo-Institut hat ausgerechnet, dass nach drei Monaten Teilstillstand 730 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung einfach weg sind. Das macht Ihnen keine Angst?
Das Ziel unserer Politik ist zu verhindern, dass Strukturen zerschlagen werden. Arbeitnehmer sollen wo eben möglich nicht entlassen werden und Unternehmen nicht insolvent gehen müssen. Wir wollen dafür sorgen, dass nach dem Lockdown alle möglichst sofort wieder an den Start gehen können. Wir werden natürlich einen Einbruch haben. Andererseits rechne ich mit Nachholeffekten. Es hängt aber alles davon ab, wann wir die Einschränkungen lockern können und wie schnell wir danach wieder ans Laufen kommen.

Aus der Wirtschaft kommt der Hilferuf: Bitte schnell!
Die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger geht im Zweifel vor. Einen Toten machen wir nicht wieder lebendig. In der Wirtschaft lässt sich aber einiges reparieren. Das gilt natürlich nicht in jedem Fall, das ist mir ganz wichtig zu sagen. Denn wir erfahren jetzt täglich von tragischen Fällen, wo Existenzen, die jahrelang aufgebaut worden sind, zu zerbrechen drohen. Aber insgesamt ist unsere Wirtschaft gerade im Vergleich zu anderen Ländern stark.

Wird nicht die Frage, wann und wie der Lockdown gelockert werden kann, am Ende eine Gewissensfrage, weil auch die Wissenschaft keine sicheren Rezepte hat?
Wir treffen Entscheidungen unter Unsicherheit. Aber wir müssen entscheiden. In einer Krise nicht zu entscheiden wäre das Schlimmste. Wir werden vor neue Fragen gestellt und müssen uns an vieles erst herantasten. Welche Risiken nehmen wir in Kauf? Da stehen wir alle in der Mitverantwortung.

Ist dann nicht der Bundestag als Vertretung des Volkes gefragt?
Wir werden darüber beraten müssen. Aufgabe des Bundestages ist es, der Bundesregierung einen legislativen Rahmen zu geben, in dem sie sich bewegen kann. Dieser Verantwortung stellen wir uns auch, wenn wir feststellen, dass die bestehenden Regelungen für diese Situation nicht ausreichen. Aber entscheiden muss am Ende immer die Exekutive.

Was halten Sie von Überlegungen, die Risiko-Gruppen, etwa die Älteren, noch auf lange Zeit zum Eigenschutz nach Hause zu schicken, damit weniger Gefährdete wieder zurück an die Arbeit können?
Das ist ein ganz schmaler Grat zwischen Schutz, Einschränkung und Bevormundung. Ich habe da kein Patentrezept.

Was, glauben Sie, wird anders sein nach Corona?
Was gerade passiert, ist fürchterlich. Aber wir sind als Gesellschaft auch ein lernendes System. Wir lernen vielleicht auch wieder, Dinge wertzuschätzen: Schnell mal die Großeltern besuchen, dicht an dicht im Fußballstadion sitzen, einfach in Urlaub fahren, die Sicherheit unserer Arbeitsplätze. Vielleicht wird die eine oder andere Frage, die vorher total wichtig schien, für uns alle nach der Krise gar nicht mehr so bedeutsam sein. Ich will diese nicht kleinreden – es sind dunkle Tage für uns. Aber wir dürfen auch nicht vergessen: In der Menschheitsgeschichte waren große Krisen und Katastrophen der Normalfall. Wir hatten nur das unverschämte Glück, dass wir in den letzten 75 Jahren bei uns keine mehr erleben mussten. Insofern sind wir nach Corona hoffentlich etwas dankbarer für die ganz banale „Normalität“.

Das Gespräch führte Robert Birnbaum.

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