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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihren Koalitionspartnern Horst Seehofer (CSU) und Andrea Nahles (SPD).

© Rainer Jensen/dpa

Union und SPD: Kann die große Koalition Merkels Rückzug überleben?

Kanzlerin Angela Merkel gibt den Vorsitz der CDU ab. Das wirkt sich auf Union und SPD aus. Das schwarz-rote Regierungsbündnis wackelt.

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Angela Merkels Rückzug von der Parteispitze stellt nicht nur die CDU, sondern auch die Koalitionspartner vor neue Unsicherheiten. Horst Seehofers Ende als CSU-Chef naht, Andrea Nahles muss den SPD-Vorsitz mit Kampfansagen an die Kritiker verteidigen. Ob und wie lange die Regierungskoalition die neuen Erschütterungen überlebt, erscheint offen. Drei Parteien im Übergang – die Frage, die sie nicht zuletzt sich selber stellen müssen, heißt: Wohin?

CDU

Egal wer den CDU-Vorsitz erobert, für die Kanzlerin ändert sich zunächst nichts. Das Chefbüro im Obergeschoss des Adenauerhauses wird neu möbliert und – wieder egal wer gewinnt – das Generalsekretärsbüro eins tiefer wahrscheinlich gleich mit. Zu Koalitionsgipfeln kommt die CDU künftig zu dritt. Ansonsten bestimmt die Kanzlerin weiter die Richtlinien und der Koalitionsvertrag die Richtung der Politik.

Macht Annegret Kramp-Karrenbauer das Rennen, kann das nach allgemeiner Einschätzung gut gehen. Die Saarländerin würde wohl das von ihr angestoßene Grundsatzprogramm vorantreiben, öffentlich die Punkte markieren, zu denen die CDU gern anders Politik machen würde als im Bund mit der SPD – und sie selbst anders als Merkel –, und trotzdem der Regierung Raum für Erfolge lassen. Erholt sich dabei die SPD, könnte man Ende 2019 friedlich auseinandergehen.

Konflikte scheinen programmiert

Mit Jens Spahn und noch mehr mit Friedrich Merz erscheinen dagegen vom ersten Tag an Konflikte programmiert. Beide stünden unter massivem Erwartungsdruck ihrer Anhänger und unter scharfer Beobachtung der Öffentlichkeit. Jeder Halbsatz würde darauf abgeklopft, ob er gegen Merkel oder die Regierung geht. Bei Merz käme tiefe persönliche Abneigung hinzu – nahezu ausgeschlossen, dass er die alte Rivalin lange neben und über sich ertragen würde.

Dass die SPD einen Kanzler Merz mitwählen würde, ist allerdings unvorstellbar. Merz könnte versuchen, die Sozialdemokraten aus dem Bündnis zu vergraulen, um so den Weg zur Neuwahl frei zu machen. Den Wahlkampf würde das Krawall-Szenario aber belasten: Was Wähler von Streit in der Regierung halten, haben sie in Bayern und Hessen gezeigt.

Schwarz-Grün mit Bundeskanzler Merz?

Die andere Variante zum zügigen Machtwechsel, ein spontan neu aufgelegtes Jamaika-Bündnis, dürfte FDP-Chef Christian Lindners Wunschtraum bleiben. Warum sollten die Grünen nach einem schwarz-roten Zerwürfnis nicht auf Neuwahl dringen? Die könnte übrigens so oder so leicht zum Treppenwitz führen: der ersten schwarz-grünen Bundesregierung – unter Bundeskanzler Merz.

CSU

So breitbeinig, wie sich Markus Söder drunten im Bayerischen ins Ministerpräsidentenamt gedrängt hat, so zurückhaltend gab er sich, was den zweiten wichtigen Posten betraf: CSU-Chef, tat der Franke beharrlich kund, müsse er nicht auch noch werden. Doch jetzt, wo die Kanzlerin bald nicht mehr CDU-Vorsitzende ist, sieht die Sache anders aus. Intern hat er seine Bereitschaft nun deutlich zu erkennen gegeben. Und auf Manfred Weber rechnen nur noch wenige. Der Niederbayer hat Karrierepläne, die sich mit dem aufwendigen Job eines Parteichefs schwer verbinden lassen. Er will EU-Kommissionspräsident werden. Gleichzeitig beharrt er aber weiter darauf, dass sich die CSU „breit aufstellen und verschiedene Strömungen verkörpern“ müsse.

Söder fremdelt mit der Bundespolitik

Für die Koalition birgt das Unwägbarkeiten, denn auch unter einem Parteichef Söder bliebe Weber Gegenpol. Eine mäandernde CSU könnte an Durchsetzungskraft verlieren, jedoch auch unberechenbarer werden. Hinzu kommt Söders Fremdeln mit der Bundespolitik. Wenn er auf bayerische Interessen fixiert bleibt, macht das die Konsensfindung im Bund nicht einfacher. Das Problem, dass die Chemie zwischen Söder und Merkel nicht stimmt, wird dagegen durch den Wechsel an der CDU-Spitze entschärft. Mit Merz und Spahn hätte der Franke kein Problem, mit Kramp-Karrenbauer käme er auch klar. Zumal die „neue CSU“ das Feuer bei den bisherigen Streitthemen wohl kleiner halten würde. „Wir müssen raus aus dem Monothema Migration“, hat Weber schon mal vorgegeben. Mit der SPD dagegen könnte sich Söder allein vom Temperament her kräftig reiben. Doch an Neuwahlen kann er kein Interesse haben. Im Bund dürfte die CSU derzeit eher noch schlechter abschneiden als in Bayern.

Die große Unbekannte bleibt Seehofer

Die große Unbekannte für den Koalitionsfrieden bleibt Seehofer. Ob sich der 69-Jährige als Innenminister zum „Befehlsempfänger“ seines Erzfeindes degradieren lasse, sei nicht ausgemacht, ist zu hören. Wenn doch, könnten Streitereien der beiden die Koalition aufs Neue belasten. Wenn nicht, würde es leichter. Der schon ewig gehandelte Joachim Herrmann könnte dann doch noch mal zum Umzug nach Berlin gedrängt werden. Oder es übernähme Seehofers Staatssekretär Stephan Mayer. Beide gelten als fachlich versiert und nicht auf Krawall gebürstet, sie täten dem Koalitionsklima gut.

SPD

Für die SPD wird die große Koalition immer mehr zum Buhmann, was in weiten Teilen der Partei zu einer Sehnsucht führt, den ungemütlichen Ort möglichst schnell zu verlassen. Und doch hat sich bei den meisten in der engeren Parteiführung die Erkenntnis durchgesetzt, dass es für die eigenen Interessen besser ist, noch bis mindestens Ende 2019 in der Koalition zu bleiben, als sie jetzt Hals über Kopf zu verlassen. Zumal den Sozialdemokraten bei den jüngsten Umfragen gerade noch das Wohlwollen von 13 Prozent der Wähler vorausgesagt wird.

Nahles dokumentiert ihren Führungsanspruch

Parteichefin Andrea Nahles hat klargemacht, welcher Weg mit ihr zu machen ist. Sie will die im Koalitionsvertrag mit der Union verankerten Maßnahmen festlegen, die aus SPD-Sicht bis Ende 2019 umgesetzt werden müssen, und dann – wie es die Koalition verabredet hatte – über den Verbleib in der Regierung entscheiden. Davon, das Szenario zu verkürzen, wie es unter anderem die Jusos wollen, hält Nahles indes wenig. Wenn jemand meine, es besser zu können, dokumentierte Nahles ihren Führungsanspruch am Wochenende in einem Interview unmissverständlich, dann solle er sich melden.

Ende der Koalition mindert SPD-Dilemma nicht

Doch auch die Kritiker dieses Kurses, Juso-Chef Kevin Kühnert etwa oder SPD-Vize Ralf Stegner, dürften wissen, dass eine kurzfristige Flucht aus der Regierung für die SPD noch kein Ausweg aus ihren Dilemmata bedeutet. Zum einen wäre eine Entscheidung dazu zugleich ein Misstrauensvotum für die SPD-Chefin und damit der Auslöser neuer Personalunsicherheiten an der Spitze der Partei. Und zum anderen müsste sich die Sozialdemokratie im schlimmsten Fall einem Neuwahlszenario stellen, in das sie obendrein auch noch ohne ein gewinnbringendes Programm zöge. Stegners Drohung, „wenn die Koalition nicht drastisch und rasch Arbeit und Erscheinungsbild ändert, kann und wird sie nicht länger Bestand haben“, wurde in der SPD-Führung auch eher als ein Signal gewertet, den Druck auf die Union nicht aufzugeben, als ein Vorsatz, den Ausstieg aus der großen Koalition zu forcieren.

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