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Eine Gemeinschaftstoilette im US-Bundesstaat North Carolina

© Jonathan Drake/ Reuters

Ungewöhnliche Koalition gegen Transsexuelle: Wenn radikale Feministinnen und Evangelikale für das gleiche Ziel kämpfen

US-Präsident Biden will den Diskriminierungsschutz um die Bereiche „sexuelle Orientierung“ und „Geschlechtsidentität“ erweitern. Das stößt auf Widerstand.

Er erlässt ein Dekret nach dem anderen. Im Sauseschritt vollzieht US-Präsident Joe Biden die Wende. Ob Rückkehr zum Pariser Klimaschutzabkommen und zur WHO, Baustopp der Grenzmauer zu Mexiko oder Auflösung der „1776-Kommission“ zur Förderung eines „patriotischen Geschichtsunterrichts“: Der Demokrat setzt um, was er im Wahlkampf versprochen hatte.

Dazu gehört, seinem Anspruch zufolge, auch die Verabschiedung des „Equality Act“. Das Gesetz, das 2019 das Repräsentantenhaus passierte und nun dem Senat vorliegt, soll den „Civil Rights Act“ - ein zentrales Bürgerrechtsgesetz - aus dem Jahr 1964 ergänzen. Der darin verankerte Diskriminierungsschutz umfasst die Kategorien Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht und nationale Herkunft. Durch den „Equality Act“ soll er erweitert werden um die Bereiche „sexuelle Orientierung“ und „Geschlechtsidentität“. Das würde die Rechte von Mitgliedern der LGBTQ-Gemeinschaft landesweit stärken (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer).

Besonders große Bedeutung hat das für trans Menschen, also jene, die biologisch etwa als Mann geboren wurden und sich selbst als Frau identifizieren. Sie selbst formulieren das anders: Ihnen sei bei der Geburt ein anderes Geschlecht zugeordnet worden, als dem sie sich zugehörig fühlen.

„Um unsere Vision einer vollen Gleichberechtigung zu erreichen“, sagte Biden im Oktober, „werde ich in den ersten hundert Tagen als Präsident die Verabschiedung des Equality Act zur obersten Priorität machen.“ Dieser Satz wird jetzt oft zitiert. Doch es hakt. Bei einer Telefonkonferenz mit LGBTQ-Aktivisten baten Biden-Getreue Mitte Januar um Geduld. Vorrangig sei der Senat mit dem zweiten Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump befasst. Außerdem ist sich das Biden-Team offenbar nicht sicher, ob die knappe Mehrheit der Demokraten im Senat für eine Verabschiedung ausreicht.

Sie wollen bis vor das Oberste Verfassungsgericht ziehen

Gegen den „Equality Act“ hat sich eine ungewöhnliche Koalition aus radikal christlichen und radikal feministischen Organisationen gebildet. Was ist mit religiösen Adoptionsagenturen, deren Betreiber der Ansicht sind, dass Kinder in einer Hetero-Familie mit Mutter und Vater aufwachsen sollten? Die „Alliance Defending Freedom“ (ADF) ist die einflussreichste und am besten organisierte konservativ-christliche Organisation in den USA. Sie beruft sich auf das in den USA sehr hoch gehaltene Recht auf Religionsfreiheit und hat angekündigt, gegen den „Equality Act“ bis vor das Oberste Verfassungsgericht ziehen zu wollen. Seit Trump haben konservative Richter dort eine 6-zu-3-Mehrheit.

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Advokaten der Meinungsfreiheit wiederum fragen: Kann etwa ein Lehrer, der an einer öffentlichen Schule unterrichtet, künftig gegen seine eigene persönliche Überzeugung gezwungen werden, einen trans Schüler, der biologisch als Junge geboren wurde und sich als Mädchen fühlt, als Mädchen anzusprechen?

Eine weitere Etappe im kalten kulturellen Bürgerkrieg

Kritik kommt aber auch aus feministischen Kreisen. Eine Minderheit, die gelegentlich als TERF bezeichnet wird (trans-exclusionary radical feminists), weist die Auffassung zurück, Geschlechtszugehörigkeiten seien an Gefühle statt an biologische Determinanten gebunden. Deshalb sei es falsch, dass trans Frauen, die als Männer geboren worden seien, Zugang etwa zu Frauenhäusern, Frauengefängnissen und Frauensportvereinen haben. Das Geschlecht (sex) eines Menschen sei nicht dasselbe wie dessen Geschlechtsidentität (gender identity). Die ebenfalls radikale feministische Organisation "Feminists in Struggle" ruft zu Demonstrationen gegen den "Equality Act" auf. Transgender-Organisationen werfen den radikalen Feministinnen Transphobie vor.

Gender dysphoria, zu deutsch: Geschlechtsidentitätsstörung, ist eine Realität, die starkes Leiden verursachen kann. Trans Menschen vor Diskriminierung zu schützen, ist notwendig. Gesucht wird folglich ein Weg, dies zu tun, ohne andere legitime Schutz- und Entfaltungsmöglichkeiten einzuschränken. Wenn der Streit um den „Equality Act“ nicht zu einer weiteren Etappe im kalten kulturellen Bürgerkrieg in den USA werden soll, wartet auf Joe Biden mehr als eine weitere Unterschrift unter ein Dekret.

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