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Eine Bundestagsmitarbeiterin desinfiziert in einer Pause die Regierungsbank.

© dpa

Und was ist mit Abgeordneten aus Risikogebieten?: Wie der Bundestag verhindern will, selbst zum Hotspot zu werden

Rund 10.000 Menschen arbeiten im und für das Parlament. In Corona-Zeiten eine Herausforderung. Auch das Beherbergungsverbot sorgt hier für Ärger.

Von Robert Birnbaum

Die Art und Weise, wie die Bundesregierung das Ceta-Freihandelsabkommen mit Kanada behandelt hat, findet Amira Mohamed Ali grundfalsch, und sie lässt es am Dienstag das Bundesverfassungsgericht wissen. Das ist nicht verwunderlich, hat die Linksfraktion doch gegen das Verfahren geklagt.

Gar nicht selbstverständlich war hingegen, dass die Fraktionschefin überhaupt in Karlsruhe auftreten konnte. Mohamed Ali reiste mit Hindernissen an. Denn sie kam aus einem postalischen Corona-Hotspot: Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, Berlin-Mitte.

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Seit die Pandemie der ganzen Welt ihre Regeln aufzwingt, hat sie auch das Leben der rund 10.000 Menschen verändert, die als Abgeordnete oder Mitarbeiter, in der Verwaltung oder als Dienstleister im Parlament arbeiten.

Bisher hat das den Betrieb trotzdem nicht ernsthaft gestört. „Der Bundestag hält sich arbeitsfähig“, sagt Britta Haßelmann, als Parlamentarische Geschäftsführerin die Corona-Beauftragte der Grünen. „Das hat viel damit zu tun, dass alle Fraktionen – bis auf eine, mit der es immer schwierig war – sehr eng zusammenwirken.“

Mit der Ausreißerin ist die AfD gemeint. Die Rechtsfraktion hat sich von Anfang an gegen Corona-Maßnahmen gewehrt. Die Maskenpflicht in allen Parlamentsgebäuden, die Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) als Hausherr verhängte, als Appelle nichts fruchteten, will sie vor Gericht zu Fall bringen.

AfDler halten sich inzwischen an die Regeln

Trotzdem wird aus anderen Fraktionen berichtet, dass sich die AfDler inzwischen doch an die Regel hielten. Die Polizei des Bundestages musste nicht durchgreifen. Ab nächster Sitzungswoche sollen aber bei Verstößen die angedrohten Geldstrafen vollzogen werden.

Tatsächlich hat der Bundestag die Pandemie selbst bisher gut überstanden. Insgesamt sind 37 Infektionsfälle bekannt. Vielleicht, sagt einer aus der Verwaltung, seien es auch ein paar mehr: „Das basiert ja ein Stück weit auf Vertrauen.“ Aber die Größenordnung stimme.

Wolfgang Schäuble (CDU), Bundestagspräsident.
Wolfgang Schäuble (CDU), Bundestagspräsident.

© Michael Kappeler/dpa

Vermutlich gehen die meisten Infektionen auf Kontakte außerhalb des Parlaments zurück. Das erklärt zum Teil die Schimpfkanonaden, mit denen Unionspolitiker die als allzu lax empfundene Coronapolitik des Berliner Senats bedacht haben. Neben parteipolitische Motive trat da bei manchem die Sorge, dass die eigenen Leute Opfer ungebremster hauptstädtischer Feierlaune werden.

Um zu verhindern, selbst zum Hotspot zu werden, hat das Parlament seit März ein eigenes Meldesystem etabliert. Abgeordnete und Mitarbeiter melden Positiv- Tests und Verdachtsfälle an den inneren Dienst ihrer Fraktion; der meldet weiter an den Direktor des Bundestags. „Das macht ja an Fraktionsgrenzen nicht halt“, sagt die Grüne Haßelmann.

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Eventuelle Kontaktpersonen werden informiert und gewarnt. Sie erfahren nicht, wer sie angesteckt haben könnte. Der Daten- und Persönlichkeitsschutz werde genau beachtet, versichert ein Parlamentssprecher. Jeder Informierte kann dann selbst entscheiden, ob er in Quarantäne oder zum Testen geht.

Viele Beschäftigte sind aber sowieso selten da. In Bereichen, die nicht gut daheim arbeiten können, lösen sich Teams gegenseitig ab. Bei der FDP verweisen sie darauf, dass die Fraktion schon vor Corona voll auf digitales Arbeiten vorbereitet war. Die anderen haben es notgedrungen rasch gelernt.

Es wird leerer

Seit die zweite Corona-Welle sich bedrohlich aufbaut, wird es wieder leerer in den Büros und Sitzungsräumen rund um den Reichstag. Nach der glimpflich verlaufenen Sommerpause trafen sich viele Arbeitsgruppen noch persönlich – auf Abstand, mit Maske, aber immerhin. Auch in vielen Büros war abends wieder Licht.

Doch inzwischen heißt es: Kommando zurück. Die Grünen-Fraktion verzichtete vorigen Dienstag darauf, den großen Sitzungssaal der CDU/CSU zu nutzen, und traf sich lieber virtuell. Viele Abgeordnete schicken ihre Mitarbeiter zurück ins Homeoffice. Und doch haben Abgeordnete jetzt erstmals mit Behinderungen ihrer Arbeit zu kämpfen. Nicht, weil sie Abgeordnete sind. Das Problem ist ihr Arbeitsort: der Hotspot Berlin.

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Mohamed Ali hat das konkret erlebt. Die Linke wollte am Tag vor der Verhandlung beim Verfassungsgericht anreisen. Doch Baden-Württemberg hat das Beherbergungsverbot besonders strikt ausgelegt. Andere Länder verbieten nur Touristen aus innerdeutschen Corona-Hotspots das Übernachten. Die Landesregierung in Stuttgart hat für alle dichtgemacht.

Selbst die Ausnahmeregelung für Parlamentarier, die etwa Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz oder das sonst sehr strenge Mecklenburg-Vorpommern vorsehen, gibt es im Südwesten nicht. Der Linken-Fraktionschefin blieb nichts anderes übrig, als sich eilig testen zu lassen. Ihr Kollege Andrej Hunko hatte es viel einfacher: Seine Heimatstadt Aachen stand am Montag nicht auf der offiziellen Hotspot-Liste des Robert-Koch-Instituts.

Immerhin hatte das Gericht das Problem erkannt: Es verschob die Verhandlung um zwei Stunden auf 12 Uhr. Aber selbst einer Vorkämpferin für strenge Regeln wie der Grünen Haßelmann geht das föderale Verordnungswesen zu weit. „Es braucht klare Kriterien für die Akzeptanz“, sagt sie. „So wie es jetzt ist, blickt da keiner mehr durch.“

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