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"Und erlöse uns von allen Üblen" #98: Die Rechtsnationalen stürzen ab

Die Verbrechen der Nationalen Alternative werden publik. Die Polizeireporterin kehrt zurück. Ein Fortsetzungsroman, Teil 98.

Was bisher geschah: Die Abendpost veröffentlicht das Tonband, das die Verbrechen des rechten Parteichefs Freypen und seiner Leibwächter beweist. Die Wirkung ist gewaltig.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 98 vom 21. September.

Julia Schwarzkoff bekam noch in der Nacht von Freitag auf Sonnabend, massiven Polizeischutz. Auch das Verlagsgebäude wurde bewacht. Die Durchsuchung der Parteizentrale, die am Samstagmorgen begann, leitete Georg Krucht und er strahlte eine für ihn untypische grimmige Fröhlichkeit dabei aus.

Helga Freypen war für niemanden zu sprechen, laut Attest ihres Arztes war sie mit einem Nervenzusammenbruch in die Klinik ihres Bruders eingeliefert worden. Die vorläufig festgenommenen Leibwächter leugneten jede Beteiligung an der Tat und ein Sprecher der Partei erklärte, dass es sich bei dem abgedruckten Gespräch um eine plumpe Fälschung handelte, das Ganze von ihren politischen Gegnern inszeniert sei. Außerdem wohl kaum ein Zufall, dass es ausgerechnet die Zeitung veröffentlicht habe, deren Besitzer den Mord an Joachim Freypen befohlen hatte. Da es dafür nach wie vor keine Beweise gab, wurde ihm von Julia Schwarzkoff per Einstweiliger Verfügung verboten, diese Behauptung zu wiederholen. Die Einschaltquoten der sonntäglichen Magazinsendung von Action TV brachen die Rekorde, die bislang die Trauerfeier für Prinzessin Diana, knapp gefolgt von den Schüssen auf Schwarzkoff hielten.

Kaum war die Sendung vorbei, bestätigte in den Tagesthemen der ARD eine Tochter von Freypen, dass sie die Stimme ihres Vaters zweifelsfrei erkannt hatte. Gegen Morgen brach einer der Leibwächter während des Verhörs zusammen und gestand, dass er und seine Kumpane im Auftrag von Mulder das Heim angezündet hatten. Auch diese Nachricht hatte die Abendpost exklusiv: Das Geständnis: Ja, wir haben sie angezündet.

Drei Tage später ist die Nationale Alternative tot. Eine aktuelle Meinungsumfrage belegt den Absturz in Zahlen. Nur noch 1,7 Prozent der Bevölkerung wollen bei der nächsten Wahl ihr Kreuzchen bei ihnen machen. Selbst an Stammtischen mag sich keiner dazu bekennen, eine offensichtliche Bande von Mördern zu unterstützen. In Berlin treffen sich wieder die vier zum parteiübergreifenden Gedankenaustausch. Man beglückwünscht sich gegenseitig, weil keiner mehr weiß als die anderen. Und keiner mehr wissen will. Zum Beispiel, wer eigentlich im vergangenen Sommer die Überwachung der Partei angeordnet hat, auf der dieses Tonband offensichtlich beruht.

Julia Schwarzkoff lässt sich von Seifert zum ersten Mal seit der Beerdigung auf den Friedhof fahren, von dem aus man weit über die Elbe ins Alte Land blicken kann. Sie steht am Grab ihres Mannes und betet das Vaterunser. Laut und deutlich, als müsste sie sich von dieser Botschaft des Verzeihens zunächst einmal selbst überzeugen.

Andrea Hofwieser hatte sich zum Schreiben tatsächlich an die Algarve zurückgezogen, aber nachdem bei den ersten starken Regenfällen Ende Oktober ihr gemietetes Haus in Carveilho fast weggeschwemmt worden wäre, kurz entschlossen einen Flug über Lissabon nach London gebucht. Ihr fehlten die Lichter der Großstadt. Der nachgeschickte Brief von Zartmann traf erst nach ihrer Abreise ein. In der Park Lane lebte sie in einem winzigen Hotel, wo sie täglich zehn Stunden an ihrem Computer saß, und dann in einem Appartement, dessen Besitzer ein Staudammprojekt in China zu betreuen hatte. Kennengelernt hatte sie ihn zufällig bei einem Abendessen in einem Restaurant an der Ecke, er war allein wie sie und sie waren über die Vorteile des Singledaseins ins Gespräch gekommen. Zum Beispiel wartete niemand irgendwo, der am anderen Tag fragte, wo man denn gewesen sei. Lionel zum Beispiel wäre sicher so ein Typ, dachte sie, aber dann dachte sie nicht mehr an ihn.

Sie vertrieb sich mit ihrer Zufallsbekanntschaft die Weihnachtszeit bis zum Neujahrstag, doch sie hatte keine Lust auf eine längere Affäre, und war froh, als er Richtung Peking starten musste. Immerhin kamen sie sich auf ganz andere Art näher, denn ihr kurzfristiger Liebhaber überließ Andrea Hofwieser die Wohnung für die Zeit seiner Abwesenheit. Sie sah ihn nie wieder. Als sie London verließ, gab sie den Schlüssel mit ein paar lapidaren Dankeszeilen beim Portier ab.

An einem der ersten zaghaften Frühlingstage trifft die Reporterin mit dem fertigen Manuskript auf einem Stick in Hamburg ein. Die Nationale Alternative hat gerade ihre Zukunft hinter sich. Die Leser brauchen neuen Stoff. Freypen und Schwarzkoff und Mulder und irgendwelche unbekannten Mörder sind die Schlagzeilen von gestern. Sie fährt zuerst nach Hause, das ihr so fremd vorkommt wie ihr Leben. Keine Post außer Rechnungen, abgestandenen Neujahrsglückwünschen und Werbung. Dann meldet sie sich  in der Redaktion zurück. Der Chefredakteur will gar nicht wissen, was mit ihrem Thriller ist, das war ein Auftrag von Schwarzkoff und den hat auch er inzwischen schon fast vergessen. Nur in der Eingangshalle hängt ein Ölbild des ermordeten Verlegers und davor brennt immer eine Kerze, auf Anweisung von Julia Schwarzkoff.

Er gibt Andrea Hofwieser mit einer entsprechenden Bemerkung, nun werde es wohl langsam wieder Zeit, dass sie für ihr Geld auch arbeite, gleich den ersten Auftrag: Mythos Russenmafia. Große Serie. Am besten mit Schwerpunkt Moskau und dann natürlich die deutschen Verbindungen beschreiben. Berlin vor allem, da muss es ja nur so wimmeln vor Mafiosi. Ihr Buch soll sie beim zuständigen Programmchef des Adalbert-Stifter-Verlages abgeben, der Inhalt interessiert ihn nicht so brennend, er pflegt nur einmal pro Jahr ein Buch zu lesen, und dieser Termin ist schon vorbei. Nachdenklich legt sie auf. Dann wählt sie die alte Nummer von Zartmann in Den Haag und verlangt nach Susanne Hornstein. Nur so, um zu hören, wie es ihr geht bei EUROPOL.

"Ja, Hornstein?"

"Erinnern Sie sich an mich, Frau Kriminaldirektor?"

Und morgen lesen Sie: Ein guter Rat hilft der Reporterin.

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