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"Und erlöse uns von allen Üblen" #96: Die Politik sucht nach dem Blattschuss

Die Nationale Alternative gewinnt in der Wählergunst. Da taucht ein brisantes Tonband auf. Ein Fortsetzungsroman, Teil 96.

Was bisher geschah: Der Freypen-Mörder beendet seine Karriere und zieht sich als Koch zurück. Er vermisst seine Freunde und die Journalistin.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 96 vom 19. September.

Helga Freypen begann schon im Januar, früher als alle anderen Parteien, mit ihrem Wahlkampf. Die teuer eingekauften Redenschreiber achteten darauf, ihr in die Texte keine komplizierten Themen einzubauen, weil sie von denen nichts verstand. Ihre Auftritte wurden sorgfältig inszeniert und liefen immer gleich ab: Deutschlandflagge auf einer riesigen Videoleinwand. Nationalhymne. Die angeblich letzte Rede des Parteigründers Joachim Freypen. Bilder von seiner Beerdigung. Ein Übergang, der ihr erlaubte zu sagen: "Mein von Fanatikern ermordeter Mann." Womit geklärt war, dass die Fanatiker auf der anderen Seite standen und nicht etwa bei den Anhängern ihrer Weltanschauung zu finden sein würden. Sie vergaß nie mit entsprechender Geste den Hinweis auf ihre Leibwächter, die grimmig blickend einen Kreis um sie bildeten: "Ohne diese Männer wäre ich wahrscheinlich schon tot. Ermordet wie mein Joachim." Einem Mörder wäre es aber schwer gefallen, sie ohne Schutz zu erwischen, denn die Bodyguards ließen sie auch nachts nicht mehr allein schlafen.

Im Mittelteil ihrer Standardrede folgten die üblichen Angriffe auf Linke und Liberale und Homosexuelle und Ausländer, die höhnische Beschimpfung des Staates wegen seiner Unfähigkeit, den durchweg anständigen Deutschen vor osteuropäischen Kriminellen und islamistischen Terroristen und nahöstlichen Flüchtlingswellen zu schützen, und am Ende die Generalabrechnung mit den angeblich von Bonzen beherrschten bürgerlichen Altparteien. Bei Wählern der demokratischen Parteien nämlich und nicht nur bei den Ewiggestrigen musste sie die nötigen Stimmen holen, um bundesweit über fünf Prozent zu kommen. Das bedeutete, denen zunächst einmal Themen wegzunehmen, die das Volk beschäftigen, und die selbst zu besetzen. Das war vor allem die vor allem von Pegida geschürte Angst vor den vielen Flüchtlingen aufzugreifen, die Helga Freypen bereits an den Grenzen abzuschieben versprach. Das waren die Themen  Innere Sicherheit und die allgemeine Verrohung der Sitten, die vor allem von denen beklagt wurden, die es als moralisch einwandfrei empfanden, ihr Geld auf Konten in der Karibik zu verstecken, auf die kein deutsches Finanzamt Zugriff hatte. Einladungen zu Fernsehdiskussionen nahm Helga Freypen nur dann an, wenn vorher die Themen feststanden. Da ließ sie sich von ihren Experten mit Zahlen so präparieren, dass für eine Stunde ihre Kompetenz reichte. So machten es die anderen schließlich auch.

Ende März zeigten Meinungsumfragen, dass Helga Freypens Rechnung aufgegangen war, sie lag mit der Nationalen Alternative bei acht Prozent in der Gunst der Wähler. Im Osten Deutschlands, vor allem in Sachsen, sogar über zwölf Prozent. Die in Berlin Regierenden waren deshalb wieder so nervös wie in den Wochen nach dem Attentat. Arbeitsgruppen für Gegenstrategien wurden gebildet und es häuften sich die diskreten Anrufe bei einem bestimmten Minister, ob es vielleicht doch noch irgendwo Material geben würde gegen die Rechten? Nicht irgendwelche intellektuellen Streifschüsse waren gefragt, also politische Auseinandersetzung oder gar eine zündende Idee, die Ursachen zu verändern, aus denen die anderen ihre Wirkung erzielten. Gefragt war ein Blattschuss.

Im übertragenen Sinne, selbstverständlich.

Fritz Seifert, der an jenem Sonntag im vergangenen Oktober seine Mitgliedschaft bei der Partei aufgekündigt hatte, klopft an der Tür des Frühstückszimmers und wartet auf das "Ja?" seiner Chefin. "Ich habe hier ein Päckchen ohne Absender für Sie, Frau Schwarzkoff", sagt er und blickt misstrauisch auf den Umschlag, "das muss direkt in den Kasten am Tor gelegt worden sein. Keine Briefmarken, kein Stempel, nichts."

Julia Schwarzkoff legt die Abendpost zur Seite und reißt den Umschlag auf. Eine Tonbandkassette. Ein weißer Papierbogen, ohne Anrede, ohne Unterschrift, nur ein Satz in der Mitte, in Versalien: DAS GESPRÄCH AUF DEM BAND FAND STATT AM 26. JULI 2015. ABDRUCK HONORARFREI.

Ein Witzbold? Sie wartet, bis ihr Butler das Zimmer wieder verlassen hat und legt dann die Kassette ein. Sie hört zwei Stimmen, eine davon kommt ihr bekannt vor und nach ein paar Sätzen weiß sie, dass es die Stimme Joachim Freypens ist. Die des anderen Mannes kennt sie nicht. Beide sind deutlich zu verstehen und was sie besprechen, ist auch deutlich. Es geht um Brandstiftung und es geht um Mord und darum, wie man Spuren verwischt, die möglicherweise zur Partei führen könnten. Damit wäre Helga Freypens Partei erledigt.

Aber wer sagt mir, überlegt sie, ob dies auch alles echt ist? Sie telefoniert mit ihrem Beichtvater, denn der ist zum Schweigen verpflichtet, und erzählt ihm von dem Material. Pater Basilius lebt in einem berühmten Kloster in der Eifel, hat die besten Verbindungen zu den Konservativen und verspricht, sich diskret mal umzuhören. Nach einigen Telefonaten ist er erstaunt, wie groß das Interesse ist, auf das er mit seiner Geschichte aus Hamburg stößt.

In Berlin hatten sich nämlich ein paar Tage zuvor bei einem vertraulichen Abendessen drei Männer und eine Frau getroffen, man hätte an ihrem Gespräch nicht feststellen können, dass sie vier verschiedenen Parteien angehörten. Ein gemeinsames Interesse führte sie zusammen, das Interesse, etwas gegen die Nationale Alternative in die Hand zu bekommen. Sogar die Fraktionsvorsitzende der Linken verzichtet auf ihre üblichen Attacken gegen SPD, CDU und die Grünen. Wenn ein gemeinsamer Schlag gegen die Rechten gelingen sollte, mussten alle nur denkbaren Quellen angezapft werden, nicht nur die offiziellen. Falls es gelingen würde, dann hätten am Ende alle etwas davon. Wer auch immer im kommenden Jahr die Wahl gewinnt: Ohne den Faktor Rechts würde jede Koalitionsverhandlung einfacher. Unter den Vieren galt als stillschweigend abgemacht, dass ein eventueller Erfolg nicht parteipolitisch ausgeschlachtet würde, die Frage nach der Herkunft eines möglichen Sprengsatzes, egal wie geheim das Material auch sein mochte, nicht gestellt werden sollte.

Susanne Hornstein erreichte danach in Den Haag einen Anruf mit der Bitte um diskrete Nachforschungen, was sie dem Parteifreund am anderen Ende der Leitung versprach. Georg Krucht wurde von den Grünen angelaufen, erstaunlicherweise hatten die bei der Polizei Sympathisanten. Die Linken ließen bei ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Innere Sicherheit unter Umgehung der ihnen zuwideren Behörde für Unterlagen der Stasi nachfragen. Per Mail war eine Anfrage sogar bei Ex-Kriminaldirektor Lionel Zartmann gelandet, den die Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren zu ihren Anhängern zählten. Ob ihm vielleicht noch etwas in Erinnerung sei, das eventuell den gewünschten Effekt haben könnte? Lionel  hatte etwas ganz anderes erhofft, als er eines Morgens seine Emails las und eine Nachricht in Sachen Freypen fand. Hatte dann aber geantwortet, er werde sich mal bei alten Freunden umhören. Als er die Mail abschickte, lachte er. Das Lachen hätte sich als gemein bezeichnen lassen, falls es jemand gehört hätte. Aber niemand hatte es gehört.

Und morgen lesen Sie: Ein Tonbandmitschnitt belegt die Verbrechen des ermordeten Parteichefs und seiner Helfer.

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