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"Und erlöse uns von allen Üblen" #32: Die Wiederauferstehung von Kleopatra

Die Polizei sucht nach dem Motiv für den Mord am rechtsnationalen Parteichef. Vier Ermittler wissen mehr. Ein Fortsetzungsroman, Teil 32.

Was bisher geschah: Die Witwe von Joachim Freypen hat eine Millionen Euro Belohnung für Hinweise auf den Täter ausgesetzt. Die Polizei hat nicht viel in der Hand.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 32 vom 17. Juli.

Die Idee, nicht alles als von Gott gegeben hinzunehmen, was der nie hätte zulassen dürfen, falls es ihn denn wirklich gab, war vor nunmehr fast acht Jahren nach einer Wanderung in den Vogesen geboren worden. Sie waren wochenlang in einem sogenannten sicheren Haus bei Colmar von einigen Herren unterrichtet worden, die teilweise wie ausgelaugte Studienräte kurz vor der Pension wirkten und teilweise wie jene gelangweilten Turnschuhspinner, die in den kalifornischen Garagen ihrer Väter die Welt per Netz neu entdeckt hatten. Es waren die besten verfügbaren Experten für Bilanzfälschungen und Wirtschaftsbetrüger aller Art, Spezialisten für jeden denkbaren Trick, um zum Beispiel Computerprogramme zu entschlüsseln, Fachleute für alle Arten von Waffen und Methoden, mit denen Menschen vom Leben in den Tod befördert worden waren. Beamte unter anderem vom Bundeskriminalamt, vom FBI, von Scotland Yard, dem Dienst Nationale Recherche aus Holland, von der Sureté. Täglich zehn Stunden, begleitet von einem schweißtreibenden Fitnessprogramm, das sie allerdings selbst bestimmen durften, lernten sie bis zur physischen Erschöpfung von denen, wie anhand von winzigen Indizien und Details einst ermittelnde Polizisten bei echten Fällen auf die Spur der Mörder gestoßen waren. Das alles sollte ihnen für die Zukunft den Rest geben. Den entscheidenden Rest, der sie von normalen Kriminalbeamten unterscheiden würde.

Die seltsamen Schüler waren erfahrene Polizisten aus vielen Ländern, die ausgewählt wurden für die in Den Haag ansässige europäische Behörde EUROPOL. Weil sich nach dem Schengen-Abkommen auch die Kriminellen nicht mehr an Grenzen halten mussten, sollte auch die Jagd auf sie neu organisiert werden, ebenfalls grenzenlos. EUROPOL-Schwerpunkte sind die Bekämpfung von Drogendealern, Waffenhändlern, Terroristen, Schmugglerringen , Organisierten Kriminellen (OK), Kinderpornobanden und Wirtschaftskriminellen aller Art. Technisch und elektronisch auf dem allerneuesten Stand, europaweit per Mobil Office einsetzbar - kein Wunder, dass sich viele Beamte, die mit der Bürokratie in ihrer jeweiligen Heimat frustrierende Erfahrungen gemacht hatten, für einen Job in Den Haag bewarben.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs arbeiteten in Den Haag auch rumänische und bulgarische und polnische Kollegen, denn deren Fähigkeiten, brauchte man dringend, seit die osteuropäische Mafia ebenfalls von der Herrschaft der Kommunisten befreit worden war und sich bei ihren finsteren Geschäften nicht mal von ihren italienischen Artgenossen stören ließ, geschweige denn von der eh meist korrupten Polizei ihres Landes.

Die vier, die von ihren Vorgesetzten für den letzten Schliff zu diesem Lehrgang nach Colmar geschickt worden waren, galten als die besten ihres Landes. Lionel Zartmann, damals siebenunddreißig und Kriminalrat beim Bundeskriminalamt, Fachmann für Terrorismus und Strukturen von Organisierter Kriminalität in scheinbar harmlosen Verbänden . Peter McFerrer, Spitzname Red, ein Jahr älter, Chief Inspector bei Scotland Yard und Experte für kriminelle Vereinigungen aller Art. Alain Retin, mit damals 29 Jahren der jüngste von ihnen, Kommissar bei der Sureté in Paris, spezialisiert auf das Knacken von Codes und das Entziffern falscher Bilanzen. Schließlich der 44jährige Holländer Ruud van Rey, vertraut mit allen Tricks verdeckter Counterattacks gegen Terroristen weltweit, außerdem Verbindungsmann von EUROPOL zum FBI.

Sie hatten sich auf Anhieb verstanden, und nicht nur, weil sie jeden Tag gegeneinander Tennis spielten oder an Wochenenden ihr Golfhandicaps verbesserten. Das gehörte zu ihrer Ausbildung, wie sie mit unschuldiger Miene behaupteten, denn viele der Herrschaften, gegen die sie ermitteln sollten, verkehrten in besseren Kreisen. Also mussten auch sie sich da wie selbstverständlich bewegen können, um bei Ermittlungen nicht aufzufallen.

Sie passten vor allem deshalb so gut zusammen, weil jeder von ihnen neben den Standards, die selbstverständlich alle beherrschten, besonders begabt war auf einem Gebiet, das dem anderen nicht so lag und sie deshalb bei den ihnen gestellten Aufgaben vom ersten Tag an als Gruppe zusammen arbeiteten. Sogar die schriftliche Arbeit nach einem selbstgewählten Thema hatten sie gemeinsam verfasst. Es lag also nahe, gemeinsam zu feiern, nachdem sie den Kurs hinter sich hatten.

Peter McFerrer, der sportlichste unter ihnen, der mit dem besten Handicap, hatte eine Wanderung vorgeschlagen, und die abends beim angeblichen Geheimtipp Les Princes de Salm in Colroy-La-Roche enden lassen. Die Freude über ein besonders gutes Restaurant, für einen Engländer und einen Holländer erstaunlich, war für den Franzosen und den Deutschen seit vielen Jahren selbstverständliche Lebensqualität . Sogar diese Lust auf Genuss verband die vier Polizisten, wie sie früh entdeckt hatten, als sie zum ersten Mal nach dem Training im Schießstand dem Rat des französischen Hausmeisters gefolgt waren und in einer unscheinbar wirkenden Auberge in einem Vorort von Colmar, das ansonsten von Touristen leergefressen wurde, getafelt hatten .

In ihrer vorerst letzten gemeinsamen Nacht saßen sie bei einer Flasche Riesling auf der schon verlassenen Terrasse des Hotels La Cheneaudière. In dieser Nacht, genauer: morgens gegen zwei Uhr am 14. Oktober 2007, erlebte Kleopatra die Auferstehung von den Toten.

Und morgen lesen Sie: Ein Literaturstudent hat noch ganz andere Fähigkeiten.

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