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Der Präsident der kurdischen Minderheit im Irak, Massud Barsani, hält an der Abstimmung fest.

© Khalid Mohammed/AP/dpa

Unabhängigkeitsreferendum im Nordirak: Kurden stimmen trotz internationaler Warnungen ab

Trotz Warnungen führt der nordirakische Kurdenpräsident Massoud Barzani das Unabhängigkeitsreferendum durch. Für seine Anhänger wird er damit einmal mehr zum prinzipienfesten Kämpfer.

Sicher, im Nahen Osten ist die Bundestagswahl aufmerksam beobachtet worden. Vor allem die Medien in der Türkei, Irak, Syrien und Irak befassten sich aber noch intensiver mit einer anderen Abstimmung: dem Referendum im kurdischen Nordirak. Mehr als fünf Millionen Kurden, aber auch Araber, Turkmenen und Assyrer waren aufgerufen, darüber abzustimmen, ob sich die Autonomieregion für unabhängig erklären solle.

De facto lässt sich die Regionalregierung schon seit Jahren kaum von Bagdad reinreden. Noch sind die Stimmen nicht ausgezählt, auch viele Exilanten konnten nach einer Internet-Registrierung mit votieren Und: Mit einer klaren Mehrheit für die – noch umfassend auszuhandelnde – Unabhängigkeit rechnen selbst Gegner des Referendums. Davon gibt es viele.

Die Regierungen aller Nachbarländer befürchten das Aufbegehren der Kurden in ihren eigenen Staatsgrenzen, sobald in der nordirakischen Metropole Erbil ein Wahlsieg gefeiert wird. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan drohte der Führung in Erbil umgehend mit einer Blockade ihrer Ölexporte. „Sobald wir das Ventil abdrehen, „ist es vorbei“, sagte Erdogan. Die eingeschlossene Kurdenregion wickelt ihren Außenhandel über die Türkei ab. Zuletzt hatte Ankara wieder Truppen an der Grenze mobilisiert, zudem Stellungen der militanten Kurdischen Arbeiterpartei PKK in Nordirak angegriffen.

Mullahs im Iran setzen Flüge in Nordirak aus

Die Mullahs im Iran wiederum setzten Flüge in den Nordirak aus und schlossen die Grenze. So werden auch kurdische Rebellen, die grenzüberschreitend agieren, eingeschränkt. Aus Teheran hieß es, man stehe loyal zu Iraks Premier Haidar al Abadi. Der erklärte, man werde sie Spaltung des Landes nicht zulassen. Die Armee drohte, in die Kurdengebiete einzurücken. Man werde kein „zweites Israel“ zulassen. Tatsächlich war der Staat der Juden auch der einzige, dessen Regierung ankündigte, das Votum der Kurden anzuerkennen. Deutschland allerdings hat dem Streben nach Autonomie bereits eine Absage erteilt.

Dass der nordirakische Kurdenpräsident Massoud Barzani das Referendum trotz internationaler Warnungen durchführt, macht ihn für seine Anhänger einmal mehr zum prinzipienfesten Kämpfer. Seine Kritiker halten ihn dagegen für einen kalten Machtpolitiker, der die Zuspitzung brauche, um seine konservative KDP, die von Barzanis Familie dominiert wird, an der innerkurdischen Macht zu halten. In Erbil gab Barzani in der typischen, sandfarbenen Uniform seiner Peschmerga-Miliz und mit rot-weißen Kopftuch seine Stimme ab. Die Kurden hätten „keine andere Wahl“ als die Sezession, die arabische Zentralregierung in Bagdad habe die Kurden jahrzehntelang unterdrückt, ja bis zuletzt nicht akzeptiert.

Damit hat Barzani wohl Recht. Und selbst viele seiner Kritiker – etwa die sozialistische, in vielen Staaten verbotene PKK – wissen, dass der Regionalpräsident populär ist, weil er sich für eine vergleichsweise florierende Wirtschaft einsetzte. Wie überall in den Kurdengebieten der Region werden die jeweiligen Parteien auch von moderat-muslimischen Arabern und orientalischen Christen unterstützt. Andere fürchten, in einem Kurdistan leben zu müssen. In Kirkuk schossen Turkmenen, die sich teilweise an Erdogans konservativ-islamischer AKP orientieren, kürzlich auf Kurden.

Unklar ist, wer bei Kurden das Sagen haben wird

Barsani unterhielt bislang gute Beziehungen nach Ankara. Die Furcht vor der PKK, die in der Türkei die meisten Anhänger hat, einte ihn und Erdogan. Nun dürfte man sich in Ankara, in Teheran, letztlich auch in Damaskus gemeinsam gegen Erbil wenden – selbst wenn die Abstimmung noch lange keine vollendete Eigenstaatlichkeit der Kurden bedeutet.

Unklar ist, wer bei den Kurden bald das Sagen haben wird. Barzanis Familie dominiert die konservative KDP. Die Verwandten des irakischen Ex-Präsidenten des Kurden Dschalal Talabani wiederum führen die eher sozialdemokratische PUK. Beide lieferten sich einst Kämpfe – die Iraks Diktator Saddam Hussein nützten. Nach dessen Sturz durch die USA 2003 wurde Barsani zum Präsidenten der Kurdenregion gewählt. Das Regionalparlament in Erbil verlängerte sein Mandat mehrfach, seit 2015 aber regiert er im Notstandsmodus. Besonders in Suleimanijeh, wo die PUK dominiert, gibt es Widerstand gegen ihn. Allerdings hatte Barzani angekündigt, nach dem Referendum anderen die Führung zu überlassen. Sowohl die Truppen der PKK als der KDP und PUK gelten als entschlossene Kämpfer gegen den IS.

Ähnlich ist die Lage im zerrissenen Syrien. Auch dort gibt es eine Rojava genannte Autonomiezone. Die Kurden haben dort vergangene Woche örtliche Gemeinderäte wählen lassen. Das passt weder Erdogan noch Syriens Baschar al Assad. Erdogan hatte die syrischen Kurden, die von der sozialistischen PYD geführt werden, bombardieren lassen. Türkische Einheiten besetzten syrische Orte. Wenn es sein müsse, sagte Erdogan am Montag, werde man nicht davor zurückschrecken, auch im Irak solche Schritte zu unternehmen. Da verwundert es nicht, dass sein Ministerpräsident Binali Yildirim dem Sender CNN Türk erklärte, nach der Bundestagswahl die Beziehung zu Berlin „reparieren“ zu wollen. Notwendig sei jedoch ein härteres Vorgehen der Bundesregierung gegen PKK-Anhänger.

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