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Einsatzkräfte der Guardia Civil treffen vor einer Schule in Barcelona auf Unterstützer des Referendums.

© imago/Michael Trammer

Update

Unabhängigkeitsreferendum: Hunderte Verletzte bei Polizeieinsätzen in Katalonien

Katalonien stimmt über seine Unabhängigkeit ab. Sicherheitskräfte gehen massiv dagegen vor. Die Regierung in Madrid spricht von einer "Farce".

Nach Beginn des umstrittenen und vom spanischen Verfassungsgericht untersagten Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens ist es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Bürgern gekommen. Nach amtlichen Angaben wurden dabei Hunderte Bürger verletzt. Die Zahl der Verletzten im Zuge des Polizeieinsatzes während des Referendums ist nach Angaben katalanischer Behörden vom frühen Sonntagabend auf über 460 gestiegen.

Nach Angaben des spanischen Innenministeriums hatte die Polizei bis 17 Uhr 92 Wahllokale geschlossen. Drei Menschen seien festgenommen worden.

Die spanische Polizei ging am Sonntag gewaltsam gegen Demonstranten vor, die Beamte am Betreten von Wahllokalen hindern und den Abtransport beschlagnahmter Wahlurnen verhindern wollten. Augenzeugen zufolge setzte die Polizei dabei in der Regionalhauptstadt Barcelona auch Gummimunition ein. Nach Angaben des Innenministeriums in Madrid kamen auch mindestens zwölf Polizisten zu schaden. Die Einsatzkräfte wurden demnach mit Steinen beworfen.

Der Chef der separatistischen Regionalregierung in Katalonien, Carles Puigdemont, verurteilte den Einsatz. „Gewalt, Schlagstöcke, Gummikugeln, unwillkürliche Aggressionen“, sagte er vor Journalisten in Barcelona. „Es ist klar, dass der unverantwortliche Einsatz von Gewalt seitens des spanischen Staates die Katalanen nicht aufhalten wird.“ Und sagte an die Adresse der Regierung des spanischen Regierungschefs Mariano Rajoy: „Es ist alles gesagt, die Schande wird sie auf ewig begleiten.“

Die Regierung in Madrid forderte hingegen die katalanische Regionalregierung auf, die vom Verfassungsgericht untersagte Abstimmung zu stoppen. Das Referendum sei eine "Farce", sagte der Vertreter der spanischen Regierung für Katalonien, Enric Millo, am Sonntag. Puigdemont und seine Administration seien "allein verantwortlich für alles, was heute passiert ist und was noch passieren könnte, wenn sie diese Farce nicht beenden".

In Barcelona und den Gemeinden Kataloniens strömten am Morgen Tausende Menschen in die Wahllokale, um ihre Stimme abzugeben. Vielerorts blieb die Situation zunächst friedlich, aber vor einigen Wahllokalen brachte sich die aus Madrid entsandte paramilitärische Polizeieinheit Guardia Civil in Stellung. In dem Ort Sant Julià de Ramis, in dem Puigdemont seine Stimme abgeben wollte, drangen Einsatzkräfte mit Gewalt in eine Schule ein, um die Wahlurnen sicherzustellen. Dabei schlugen sie auch die Scheibe der Eingangstür ein.

Puigdemont nahm trotzdem am Referendum teil. Statt in Sant Julià de Ramis zu wählen, sei der 54-Jährige zur Stimmabgabe in das nahe gelegene Dorf Cornellá de Terri gefahren, berichtete das spanische Fernsehen. Bei der Befragung können die Wähler Berichten zufolge in jedem Wahllokal abstimmen, unabhängig davon, wo sie gemeldet sind. Wie mehrfache Stimmabgaben verhindert werden sollen, war unklar.

Die Einsatzkräfte hätten in Barcelona Abstimmungsunterlagen sichergestellt und gingen weiter gegen das Referendum vor, erklärte das Innenministerium in Madrid außerdem am Sonntagmorgen im Kurzmitteilungsdienst Twitter. Das genaue Ausmaß ließ sich zunächst nicht abschätzen.

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Die Menschen reagierten friedlich auf die Aktionen der Polizei, hielten ihre Hände in die Höhe und stimmten Lieder an. Die katalanische Polizei war zuvor dem Befehl, Schulen und andere Wahllokale abzuriegeln, nicht nachgekommen. Auch hätten sie bereits seit Freitag von Wählern besetzte Lokale zwar besucht, aber nicht geräumt, hieß es. „Bei uns läuft alles rund, die Wahllokale sind offen und die Bürger wollen wählen“, sagte der Bürgermeister des Ortes Arenys de Munt nordöstlich von Barcelona der Deutschen Presse-Agentur. „Das ist Demokratie.“

Am frühen Morgen war die Situation überall gespannt, aber ruhig. An einigen Orten, die als Wahllokale dienen sollten, versammelten sich Wähler vor den Türen, um zu verhindern, dass sie von der Polizei abgeriegelt werden. Die Organisatoren der Abstimmung schmuggelten Wahlurnen in schwarzen Plastiksäcken zu den Wahllokalen. "Ich bin früh aufgestanden, weil mich mein Land braucht", sagte Eulalia Espinal, eine 65-jährige Rentnerin, die sich im Regen mit etwa 100 anderen gegen 5 Uhr vor einer Schule in Barcelona eingefunden hatte. "Wir wissen nicht, was passieren wird, aber wir müssen da sein."

In ganz Katalonien besetzten deshalb schon in der Nacht zum Samstag Politiker, Lehrer und Eltern zum Teil mit ihren Kindern zahlreiche Schulen und weitere öffentliche Gebäude, die als Wahllokale dienen sollen. Sie veranstalteten unter anderem Filmvorführungen (etwa einen „Harry-Potter-Marathon“), Paella-Essen und Pyjama-Partys. Die Polizei habe am Samstag rund 1300 Schulen aufgesucht und dabei 163 besetzte Lehranstalten vorgefunden, teilte Madrid mit. Die Aufforderung der Polizei, die Gebäude zu verlassen, hätten die Besetzer bis zum späten Samstagabend noch nicht befolgt, hieß es.

Mehr als 4000 Polizeikräfte nach Katalonien entsandt

Mehr als 5,3 Millionen Menschen waren aufgerufen, in einem der 2315 Wahllokale ihre Stimme abzugeben. Die Zentralregierung in Madrid hatte bis zuletzt versucht, das vom Verfassungsgericht untersagte Referendum in der wirtschaftsstarken Region zu unterbinden.

Schon seit Tagen versucht Madrid, die Befragung mit allen Mitteln zu verhindern. Bei Dutzenden von Razzien wurden in Druckereien und Regionalministerien mindestens zwölf Millionen Wahlzettel sowie Millionen von Wahlplakaten und Broschüren beschlagnahmt. Viele Webseiten wurden gesperrt. Mehr als 4000 Angehörige der Guardia Civil und der Nationalpolizei wurden nach Katalonien entsandt.

Sollte es tatsächlich zu einer Abstimmung kommen, wird damit gerechnet, dass es eine Mehrheit für eine Unabhängigkeit gibt, weil viele Gegner einer Eigenständigkeit zuhause bleiben dürften. Im Vorfeld hatten sich in Umfragen aber nur 40 Prozent für eine Eigenständigkeit ausgesprochen. (dpa, Reuters, AFP)

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