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Schnelle Leitung. Die Kapazitäten der Windenergie müssen stark ausgebaut werden.

© Federico Gambarini/dpa

UN-Klimakonferenz: 100 Prozent erneuerbare Energien?

Einer Studie zufolge könnte bis zum Jahr 2050 der gesamte Bedarf mit Ökostrom gedeckt werden. Möglich macht das ein massiver Preisverfall bei Speicherpreisen.

Ist bis Mitte des Jahrhunderts weltweit eine Stromversorgung möglich, die zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien besteht? Ja, sagt eine neue Studie. Sie kommt auch zu dem Ergebnis, dass das günstiger sei als das bisherige System, in dem größtenteils fossile Energien eine Rolle spielen. Die Studie wurde am Mittwoch am Rande der Weltklimakonferenz in Bonn vorgestellt. Eine weitestgehend CO2-freie Stromversorgung bis 2050 ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Staaten ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen erfüllen. Verschärft die Weltgemeinschaft ihre Anstrengungen beim Klimaschutz nicht, wären 2030 etwa 80 Prozent des gesamten CO2-Budgets aufgebraucht. Es muss also noch viel passieren.

Die finnische Lappeenranta University of Technology hat das Szenario des sauberen globalen Stromsektors nun für die Nichtregierungsorganisation Energy Watch Group (EWG) durchgerechnet. Gründer und Präsident der EWG ist Hans-Josef Fell, der einst für die Grünen im Bundestag saß und nun für die Umsetzung einer globalen Energiewende wirbt.

Der Anteil der Erneuerbaren im Stromsektor weltweit beträgt etwa 22 Prozent. Von dieser Zahl aus rechnet die Studie in Fünf-Jahres-Abschnitten. Die Weltbevölkerung wächst bis 2050 auf knapp zehn Milliarden Menschen an und der weltweite Energiebedarf im Stromsektor verdoppelt sich auf insgesamt 50 000 Terawattstunden (TWh), so lauten die Annahmen. Bis 2030 deckt die Windkraft noch den größten Anteil ab, danach aber übernehmen die Photovoltaik (PV) sowie Batteriespeicher die Führung. Im Modell besteht der globale Strommix im Jahr 2050 schließlich aus knapp 70 Prozent PV, knapp 20 Prozent Windenergie und knapp zehn Prozent Wasserkraft. Bioenergie erbringt einen letzten, möglicherweise fehlenden Rest.

Stromkosten sinken

Schaut man auf die Ergebnisse in den einzelnen Regionen, wird deutlich, dass die Solarenergie vor allem in Afrika und Asien genutzt werden wird, wohingegen Europa stärker auf Windkraft setzt. Vor allem bei der Solarenergie erwarten die Forscher einen radikalen Preisverfall.

Kritiker führen häufig die Unsicherheit erneuerbarer Energien ins Feld. Geht weltweit das Licht aus, wenn der Wind nicht weht, die Sonne nicht scheint oder ein Hurrikan wütet? Hier kommen Speichertechnologien ins Spiel. In der Simulation der EWG-Studie decken diese im Jahr 2050 mehr als 30 Prozent des globalen Strombedarfs ab. Neben Batteriespeichern sind etwa Power-to-Gas-Anlagen möglich, die erneuerbare Energien in Gas umwandeln. Batteriespeicher sollen vor allem die täglichen Schwankungen der erneuerbaren Energien ausgleichen, während Gas saisonal eingesetzt wird, etwa im Winter. Gelagert wird es beispielsweise in unterirdischen Tanks.

Power-to-Gas-Anlagen sind unter den heutigen Umständen allerdings extrem unrentabel. Wiederum sehen Experten bei Batteriespeichern einen massiven Preisverfall schon in naher Zukunft. Dank der Technologien würde sich der Gesamtverlust eines 100 Prozent erneuerbaren Energiesystems auf rund 26 Prozent des gesamten Endenergiebedarfs belaufen, schreiben die Autoren. Das ist weniger als die Hälfte der Verluste an Primärenergie im heutigen System.

Die Stromkosten würden sich bis Mitte des Jahrhunderts auf etwa knapp über 50 Euro pro Megawattstunde reduzieren (€/MWh). Im Jahr 2015 beliefen sich diese noch auf 70 €/MWh. „Es gibt keinen Grund, auch nur einen weiteren Dollar in fossile oder nukleare Energiegewinnung zu investieren“, sagte EWG-Präsident Fell bei der Präsentation der Studie. Die Studie bestätigt eine vorherige. Die Umweltorganisation Greenpeace veröffentlichte anlässlich der Pariser Klimakonferenz eine Analyse, die eine komplett saubere Energieversorgung weltweit sogar einschließlich Verkehr und Gebäude bis 2050 für möglich hielt.

"Unwahrscheinliches Szenario"

Das konservative RWI - Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen sieht die Studie kritisch: „Abgesehen davon, dass Prognosen bis zum Jahr 2050 sehr gewagt sind, halte ich ein Szenario für sehr unwahrscheinlich“, sagt Manuel Frondel, Leiter des Bereichs Umwelt am RWI. Schon in Deutschland sei das kaum machbar und der Anteil der Erneuerbaren betrage hier schon 30 Prozent im Stromsektor (ohne Verkehr). Um 100 Prozent in Deutschland zu erreichen, wäre eine Vervielfachung der Stromerzeugungskapazitäten nötig.

Das Statistische Bundesamt lieferte gestern zumindest schon mal positive Zahlen für die Energiewende: Energie aus erneuerbaren Quellen habe im vorigen Jahr knapp 15 Prozent des deutschen Energieverbrauchs, also inklusive des Bereichs Mobilität und Verkehr gedeckt. Der Anteil stieg damit um das Dreifache im Vergleich zu 2000.

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