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Der US-Präsident Joe Biden.

© dpa/Evan Vucci

Umwelt versus Menschenrechte: Klimaschutz wird zum neuen Ordnungsprinzip der Außenpolitik

Schadet Bidens China-Kritik dem Kampf gegen den Klimawandel? Die Debatte in den USA zeigt, wie knifflig diese Frage für die Politik ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Juliane Schäuble

Zum Wesen der Politik gehören Kompromisse. Und zu dem der Außenpolitik besonders schwierige. Nur, weil diese Erkenntnis manchen schwerfällt, die dann schnell von kalter Realpolitik und Zynismus sprechen, wenn ihren Werten nicht oberste Priorität gegeben wird, ist sie nicht falsch. Das gilt auch im Blick auf den Klimawandel.

Wie beim Umgang mit der Pandemie, bei dem immer wieder Freiheitsrechte und Gesundheitsschutz ins Verhältnis gesetzt werden müssen, geht es hier ebenfalls um eine Güterabwägung. Auch das steht übrigens in dem Aufsehen erregenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai, das vor allem als Kritik an der Untätigkeit der letzten Regierungen bei diesem Thema interpretiert wurde.

Klimaschutz, so steht da, „genießt keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen“. Diesen Ausgleich müssen die gewählten Politiker herstellen, das ist ihre Aufgabe.

Ein offener Brief an Biden und den US-Kongress

In den USA ist gerade zu sehen, wie knifflig es für die Politik ist, zu klären, ob der Kampf gegen den Klimawandel wirklich alleroberste Priorität genießt. Oder ob manchmal auch die Verteidigung universeller Menschenrechte mindestens ähnlich wichtig sein kann.

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Die Debatte wird befeuert durch einen offenen Brief an US-Präsident Joe Biden und den Kongress, in dem progressive Organisationen warnen, die zunehmende Anti-China-Rhetorik in Washington schade dem Kampf gegen den Klimawandel. „Nicht weniger als die Zukunft unseres Planeten hängt davon ab, ob der neue Kalte Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China beendet wird“, schreiben sie.

Kurz nach seinem Amtsantritt hatte Biden versprochen, den Kampf gegen den Klimawandel zu einem zentralen Feld der amerikanischen Außenpolitik zu machen. Wohlgemerkt: zu einem. Dazu kommen die Eindämmung Chinas, das Außenminister Antony Blinken zufolge „unsere kollektive Sicherheit und unseren Wohlstand“ bedrohe, das aber gleichzeitig dringend für den Kampf gegen die Erderwärmung gebraucht wird. Dritte Säule von Bidens Außenpolitik ist der Einsatz für Demokratie und Menschenrechte.

Importstopp für Solarmodule aus Zwangsarbeit

Welche Säule dominiert, lässt sich nach sechs Monaten noch nicht sagen. Allerdings sehen Klimaschützer erste Entscheidungen der neuen Regierung bereits mit Sorge – etwa jene, Importe von chinesischen Solarfirmen zu untersagen, die in Verbindung mit Zwangsarbeit und der Unterdrückung der Uiguren und anderer Minderheiten gebracht werden.

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Peking weiß um seine wachsende Bedeutung als nächste Supermacht – und um das Dilemma des Westens, dessen Prioritätensetzung es allzu gerne auf die Probe stellt. So zwingt es den USA, aber auch Europa derzeit die Frage auf, ob man von einem Genozid an den Uiguren sprechen darf oder ob dies Peking so verärgern könnte, dass Fortschritte beim Klimaschutz gefährdet würden.

Fokus grüne Energien: Auf einem See nahe der chinesischen Stadt Huainan wurde 2017 die weltgrößte schwimmende Solaranlage installiert.
Fokus grüne Energien: Auf einem See nahe der chinesischen Stadt Huainan wurde 2017 die weltgrößte schwimmende Solaranlage installiert.

© AFP

Für Progressive stellt der Klimawandel die zentrale sicherheitspolitische Herausforderung dieser Zeit dar. Folgerichtig müssen andere zentrale Themen hintanstehen, weil diese Gefahr existenzieller als alle anderen ist. Ben Rhodes, einer der engsten Berater von Barack Obama, beschreibt die Klimapolitik als Ordnungsprinzip der US-Außenpolitik und der amerikanischen Rolle in der Welt in den kommenden 30 Jahren.

Andere wie der Politologe Joseph Nye argumentieren mit der amerikanischen „soft power“: Gerade die Verteidigung von Werten mache die USA attraktiv und damit einflussreicher.

Der Westen wäre gut beraten, dem von China ausgeübten Entscheidungsdruck selbstbewusst zu widerstehen und zunächst auszuloten, wie viel Spielraum es auf Seiten Pekings gibt. Die Biden-Regierung versucht dies zumindest. Ganz ähnlich ist der Westen übrigens im Umgang mit der Sowjetunion verfahren: Da, wo es notwendig war, wurde Kritik geäußert, gleichzeitig wurden Abrüstungsverhandlungen vorangetrieben.

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