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Natrium-Pentobarbital gilt Sterbehelfern als Mittel der Wahl. Der Erwerb ist in Deutschland strikt beschränkt.

© Patrick Seeger / dpa

Umstrittenes Urteil zur Sterbehilfe: Der Tod ist keine Therapie

Jeder hat das Recht, sich das Leben zu nehmen. Trotzdem hat der Staat Schutzpflichten. Die Richter fordern eine Diskussion, die überfällig ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Ein Urteil über Leben und Tod ist gesprochen, das Folgen haben wird. Jedem Menschen steht demnach das Freiheitsrecht zu, sich zu töten. Niemandem ist deshalb ein Vorwurf zu machen. Vielmehr, so lautet die zentrale Maßgabe aus Karlsruhe, muss es möglich sein, sich dafür Hilfe zu holen – professionelle, auch medizinische. Das Urteil durchkreuzt die Absicht des Gesetzgebers, gerade solche Routinen zu verhindern. Es widersetzt sich christlichen Motiven, die den Suizid mit einem Tabu belegen. Kein Wunder, dass es Widerspruch auslöst; dass viele warnen, Menschen würden unter diesem Druck den Tod wählen, obwohl sich andere Auswege böten.

All diese Einwände sind bedenkenswert; sie ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass eine freiheitliche Verfassung, die den Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt stellt, keine andere Aussage über ein solches Letztentscheidungsrecht treffen konnte als diese. Niemand kann darüber bestimmen, ob sie oder er geboren werden will. Anders ist es mit dem Tod. Ihn zu suchen ist, obwohl ein Weg ohne Wiederkehr, Ausdruck von Autonomie. Weder der Suizid noch sein Versuch oder auch die bloße Hilfe dazu kann deshalb verboten sein.

Das Parlament hat die falsche Maxime gewählt

Es war gewiss ein Versagen der Parlamentsmehrheit, diese Einsicht nicht ausreichend respektiert zu haben. Losgelöst von Regierungsvorgaben und Fraktionszwang meinte man, eine wohl auch religiös gefärbte Ethik zur alleinigen Maxime erklären zu können, wonach Sterbehilfe in Deutschland ein halblegales Handeln Verzweifelter bleiben müsse, die sich dabei besser nicht erwischen lassen.

Das ist zu wenig. In der alternden Gesellschaft drängt das Thema mit Macht auf die politische Agenda. Gesetze und Gerichte haben die Patientenautonomie zuletzt umfassend gestärkt. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte es in der mündlichen Verhandlung vor einem Jahr auf den Punkt gebracht: Sich als Sterbenskranker für den Abbruch einer Therapie zu entscheiden, bedeutet unter dem Aspekt der Willensfreiheit nichts anderes, als den Freitod zu wählen.

Dies zu akzeptieren heißt nicht, Praktiken wie in Holland oder Belgien den Weg zu ebnen. Die Grundrechte verlangen auch, dass gerade für Leidende alles Menschenmögliche unternommen wird, damit sie in Würde leben können. Der Tod ist keine Therapie. Ein taugliches Konzept muss darauf Rücksicht nehmen, dass niemand gedrängt wird, sich niemand gedrängt fühlt, solche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Das Sterbe-Grundrecht besteht schon länger - Jens Spahn hat es ignoriert

Leben hat Vorrang. Die Aufgabe auch einer christlichen Politik ist mit dem Urteil nicht aus der Welt geschafft, sie ist nur schwieriger geworden. Statt mit einem einzigen Straftatbestand ist nun vom ärztlichen Berufsrecht bis zum Umgang mit Betäubungsmitteln im Einzelnen zu regeln, wie der Schutz der Autonomie mit dem Schutz vor suggestiven Tötungsangeboten zu vereinbaren ist. Die überfällige Diskussion darüber ist eröffnet.

In diese Debatte gehört auch die Rolle des Staates, der sich das CDU-geführte Gesundheitsministerium stets verschließen wollte. So ignoriert Minister Jens Spahn ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das ihn im Ausnahmefall zur Abgabe todbringender Medikamente verpflichtet. Damals, vor drei Jahren schon, wurde nahezu wörtlich und rechtskräftig ein Sterbe-Grundrecht formuliert, wie es Karlsruhe jetzt bestätigt hat; nur wahrhaben wollte es kaum jemand.

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