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Vor dem staatlichen Fernsehsender protestierten schon vor Weihnachten die Menschen gegen Ungarns neues "Sklavengesetz".

© REUTERS/Marko Djurica

Update

Umstrittenes Arbeitszeitgesetz: Proteste gegen "Sklavengesetz" in Ungarn gehen weiter

In Ungarn kritisieren Opposition und Demonstranten das Arbeitszeitgesetz der rechtsnationalen Regierung als „Sklavengesetz“. Die Proteste halten an.

Tausende Menschen gehen seit Tagen in Budapest gegen die Politik der rechtsnationalistischen Regierung von Viktor Orbán auf die Straße. Ein neues Arbeitszeitgesetz, das das Parlament am vergangenen Mittwoch beschlossen hatte, hat die Proteste ausgelöst. Darin wird unter anderem die erlaubte Überstundenzahl pro Jahr von 250 auf 400 angehoben. Arbeitgeber haben drei Jahre Zeit, die Zuschläge auszuzahlen. Opposition und Demonstranten kritisieren die Regelung als „Sklavengesetz“.

Unter anderem wegen dieses Überstundengesetzes hatte Ungarns Außenminister Péter Szíjjártó bei einem Besuch bei Nordrhein-Westfalens Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner Ungarns Wettbewerbsfähigkeit gepriesen. Das Interesse der Regierung an deutschen Unternehmen ist groß, sie sind die größten Investoren in Ungarn. Das Medienportal hvg.hu veröffentlichte am Dienstag Verträge aus einem Unternehmen, die auch die neue Regelung von 400 Überstunden beinhalten. Und das, obwohl das Gesetz noch nicht vom Präsidenten János Áder unterschrieben ist.

Während bei den ersten Demonstrationen Polizisten Tränengas einsetzten und Demonstranten Rauchbomben warfen, verliefen die Proteste zuletzt überwiegend friedlich. Weitere Demonstrationen und Straßensperren sind geplant.

In Ungarn ist schon öfters gegen Orbán demonstriert worden – zuletzt im April 2017 für den Erhalt der Central European University (CEU) und in diesem Jahr gegen den erneuten Wahlsieg Orbans. Neu ist, dass sich Oppositionspolitiker zusammenschließen, von der linken Partei „Dialog“ bis zur rechtsextremen „Jobbik“. „Wir sind Orbáns Opposition“, sagt Bernadett Szél. Sie sitzt seit 2012 im Parlament. Zuletzt war sie Spitzenkandidatin der grünen Partei Lehet Más a Politika, nun sitzt sie als parteilose Abgeordnete im Parlament.

Am Sonntagabend, nach der bislang größten Demonstration, gingen Szél und führende Politiker anderer Parteien in die staatliche Rundfunk- und Fernsehanstalt MTVA. Sie forderten Zugang zum Fernsehstudio, um fünf Forderungen vorzulesen: Widerruf des „Sklavengesetzes“, Einschränkung der Überstunden von Polizisten auf das europäische Maximum, Wiederherstellung der unabhängigen Gerichtsbarkeit, Beitritt Ungarns zur Europäischen Staatsanwaltschaft und Wiedereinführung unabhängiger öffentlicher Medien. Viele Medien würden von der Regierung künstlich am Leben gehalten, sagt Szél, indem die Regierung dort mit ihrer Propaganda werbe.

Ein Abgeordneter musste mit dem Krankenwagen abtransportiert werden

Die demonstrierenden Politiker blieben über Nacht und wurden am nächsten Morgen von Sicherheitsleuten gewaltsam aus dem Gebäude entfernt. „Wir wurden behandelt wie Kriminelle“, berichtet Szél. Die Proteste gingen am Montagabend vor dem TV-Gebäude weiter. Ein 57-jähriger Abgeordneter musste mit dem Krankenwagen abtransportiert werden, nachdem er von Sicherheitskräften attackiert worden war. Das Rundfunkgebäude ist von großem Symbolgehalt. Im Oktober 2006 hatten Fidesz-Anhänger bei ihren Protesten gegen die damalige sozialistische Regierung die Zentrale des staatlichen Fernsehens besetzt.

Auch am Dienstagabend gingen die Proteste gegen die Regierung von Viktor Orban in einigen Großstädten Ungarns weiter. Im westungarischen Szombathely zogen 1000 Menschen vor das Redaktionsgebäude der Lokalzeitung „Vas Nepe“, wie das Internet-Portal „index.hu“ berichtete. Sie protestierten gegen die einseitige, die Regierung lobende Berichterstattung des Blattes und seiner Internet-Ausgabe. In Ungarn kontrolliert die Orban-Regierung über Firmengeflechte und Stiftungen alle Lokalzeitungen.

Die Proteste richten sich - außer gegen das Arbeitszeitgesetz - auch gegen die Einschränkung der Medien- und Wissenschaftsfreiheit unter der Orban-Regierung und gegen die Korruption vieler ihrer Funktionsträger und Günstlinge. Am Dienstagabend demonstrierten außerdem in Kaposvar (Südwestungarn) 300, in Sopron (Westungarn) 150 und in Miskolc (Nordostungarn) 100 Menschen.

Angesichts der Proteste in der Hauptstadt und der Straßensperren ungarischer Gewerkschaften auf Autobahnen werden Vergleiche mit den französischen „Gelbwesten“ gezogen. Noch aber ist unklar, ob die Mobilisierung zu großflächigen Streiks führt. Die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften sind seit 2012 durch eine Änderung des Arbeitsrechts stark eingeschränkt.

Oppositionspolitiker wünschen sich europäische Unterstützung

Szél hofft auf die Unterstützung durch die Europäische Union und europäische Staats- und Regierungschefs. "Unsere Verbündeten in Europa sind die, die für demokratische Werte eintreten." Orbáns Politik würde diese Werte nicht reflektieren. Der Umgang mit gewählten Politikern beim MTVA-Gebäude habe gezeigt, dass es ihm um puren Machterhalt ginge, so die Spitzenpolitikerin der Opposition. Die Demonstrationen hätten jedoch den Zusammenhalt zwischen der bislang sehr zersplitterten Opposition verbessert, sagt Szél. Bei den Parlamentswahlen im April 2018 hatten die Oppositionsparteien vergeblich versucht, eine einheitliche Front gegenüber Orbáns Zweidrittelmehrheit zu bilden.

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