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Das Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen ist verfassungsgemäß. Justizsenator Behrendt findet das nicht richtig.

© picture alliance/dpa

Umstrittener Vorstoß in Berlin: Staatsanwältinnen mit Kopftuch – könnte das nicht ein Fortschritt sein?

Justizsenator Dirk Behrendt möchte das Neutralitätsgesetz kippen, notfalls im Alleingang. Der Vorstoß ist gewagt, aber berechtigt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Der Justizsenator geht auf Konfrontation. Unmittelbar nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), einer wegen ihres muslimischen Kopftuchs abgewiesenen Lehramts-Bewerberin eine Entschädigung zuzusprechen, lässt er die Verhältnisse in seinem Bereich neu ordnen.

Künftig sollen Juristinnen in der Ausbildung ihr Kopftuch tragen dürfen, auch wenn sie etwa als Vertreter der Staatsanwaltschaft im Gerichtssaal ihren Dienst tun. Einzige Voraussetzung: Ein Ausbilder an ihrer Seite macht nach außen deutlich, dass die Beteiligten eine Auszubildende vor sich haben.

Wenn sich die Koalition bewegt, sieht es aus wie Behrendts Verdienst

Was wie eine Provokation aussieht, ist auch eine. Behrendt ist ein entschiedener Gegner des geltenden Neutralitätsgesetzes, das Kopftuchverbote in Schuldienst, Justiz und Polizei vorsieht. In dieser Frage sind die Grünen uneins mit dem Koalitionspartner SPD.

Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen), Justizsenator des Landes Berlin, im Abgeordnetenhaus.
Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen), Justizsenator des Landes Berlin, im Abgeordnetenhaus.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Der Senator legt nun die Lunte an ein Fässchen und guckt, ob es hochgeht. Wenn sich die Koalition in dieser Sache mal etwas bewegt, sähe es wie sein Verdienst aus.

Unabhängig von der Frage, ob man diesen Vorstoß politisch begrüßt, ist er aus juristischer Sicht zumindest vertretbar. Das BAG-Urteil zum Schuldienst wird Behrendt ermuntert haben, hat mit seiner Entscheidung aber nur begrenzt zu tun.

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Tatsächlich stützt er sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Januar sowie auf eine in der Öffentlichkeit wenig bekannte und lange vernachlässigte Ausnahmeklausel für Auszubildende im Neutralitätsgesetz. Die Justizverwaltung hätte also längst so handeln können, wie sie jetzt handelt. Nur fehlte der politische Mut.

Kopftücher muss es nicht immer nur in der Putzkolonne geben

Doch das Thema stellt sich für alle unausweichlich. Die SPD-geführte Schulverwaltung ficht weiter juristische Kämpfe, steckt mit ihrer Haltung aber in der Sackgasse.

Früher oder später wird man auch in Berlin Lehrerinnen mit Kopftuch an die allgemeinbildenden Schulen lassen müssen - es sei denn, man erklärt die Stadt gerichtsfest zum permanenten kulturell-religiösen Krisen-, Konflikt- und Gefahrengebiet. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Stattdessen wäre zu erwägen, was denn so schlimm sein soll, muslimischen Frauen samt ihren Kopftüchern den Dienst an Schulen und möglicherweise auch in Polizei und Justiz zu erlauben. Insbesondere bei der Polizei gibt es mutmaßlich Bereiche, in denen solche Begegnungen toleranzfördernd wirken können, letztlich zum Wohle aller.

Kopftücher bei Beamtinnen am Gericht und in der Schule wiederum zeigen, dass derart religiös geprägte Frauen nicht nur in der Putzkolonne willkommen sind. Könnte das nicht ein Fortschritt sein?

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