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In Prag demonstrierten bis zu 300 000 Menschen gegen Präsident Andrej Babis.

© AFP/Michal Cizek

Umstrittener Regierungschef Babis: Massenprotest gegen Tschechiens Oligarchen

In Tschechien wächst die Abneigung gegen Ministerpräsident Andrej Babis. Am Sonntag demonstrierten bis zu 300.000 Menschen.

Die Demonstranten kamen aus Prag und dem ganzen Land, in Zügen und Bussen, zu Fuß oder mit der Straßenbahn. Sie riefen in Sprechchören „Schande, Schande“. Viele trugen Buttons mit dem Symbol der Proteste, einer ablaufenden Sanduhr. Manche schwenkten Europa-Fahnen. Die Atmosphäre war friedlich, ausgelassen, aber auch ernst. „Das ist ein unmoralischer Mensch“, sagte eine Frau über den Regierungschef. „Ich habe Angst um diese Republik“, sagte ein Mann aus Prag.

Die seit Wochen andauernden Massenproteste gegen den tschechischen Regierungschef Andrej Babis haben eine neue Dimension erreicht. Rund 250.000 bis 300.000 Menschen versammelten sich am Sonntag in Prag, um den Rücktritt des Multimilliardärs wegen einer Korruptionsaffäre zu fordern. Es war die größte Kundgebung seit der Samtrevolution, der demokratischen Wende in der damaligen Tschechoslowakei vor 30 Jahren.

Seit dem Frühjahr wächst der Unmut der Tschechen über den Regierungschef Andrej Babis stetig an. In hunderten Städten hat die Bewegung „Eine Million Momente für die Demokratie“ bereits Demonstrationen organisiert. Begonnen hatte der Protest auf einer Facebook-Seite, auf der sich eine kleine Gruppe vorstellte, die von dem Studenten Mikulas Minar angeführt wurde.

Die jungen Leute prangerten öffentlich an, wie sich Premier Babis und seine Agrofert-Gruppe durch EU-Subventionen bereicherte. Brüsseler Fördergelder sollen widerrechtlich in Babis-Firmen geflossen sein. Der Premier ist der zweitreichste Tscheche, Agrofert beherrscht praktisch den Agrarmarkt des Landes. In Deutschland gehört Babis unter anderem das Chemiewerk im anhaltinischen Piesteritz.

Die Anschuldigungen sind seit Jahren bekannt, doch sie hatten bisher keine Folgen. Der Durchbruch für die bis dahin unbedeutende Protestbewegung kam, als die tschechischen Ermittler im April bekannt gaben, es könne zu einem Strafverfahren gegen Babis kommen. Der Regierungschef setzte daraufhin den Justizminister ab und ersetzte ihn durch eine seiner engsten Vertrauten. Dann stellte auch noch die EU in einem vorläufigen Untersuchungsbericht fest, sie sehe einen Interessenkonflikt zwischen Amt und Geschäft des Andrej Babis. Übersetzt: der Vorwurf des Subventionsbetruges steht im Raum.

Babis ist schon öfter mit US-Präsident Donald Trump verglichen worden. Doch seine Vergangenheit ist auf andere Weise schillernd. Der Sohn eines KP-Funktionärs, geboren 1954, verbrachte einen Teil seiner Jugend im Ausland und studierte in Paris und Genf. Von 1985 bis 1991 war Babis Leiter der tschechoslowakischen Handelsvertretung in Marokko.

In dieser Zeit soll er für den kommunistischen Geheimdienst unter dem Decknamen „Bures“ gearbeitet haben. Gegen diese Behauptung hat Babis prozessiert. Die Akten, die heute in der slowakischen Hauptstadt Bratislava aufbewahrt werden, seien gefälscht. Fest steht, dass er Anfang der 90er Jahre seine zahlreichen Kontakte in die tschechische Wirtschaftselite für den Aufbau von Agrofert zu nutzen verstand.

Der Druck auf den Regierungschef wächst

Vor zwei Jahren lief im öffentlich rechtlichen Fernsehen Tschechiens eine Dokumentation über die Geschäftspraktiken von Babis. Der Film zeigte, dass der Unternehmer auf eine Methode setzte, die im Englischen prägnant als „asset stripping“ bezeichnet wird. Er machte Zulieferer vollständig von sich abhängig, dann trocknete er sie finanziell aus, um sie in die Insolvenz zu treiben und zu übernehmen. Mindestens eines der Opfer dieser Methoden soll Selbstmord begangen haben, wurde in der TV-Sendung behauptet.

In die Politik ging Babis 2011 mit der Partei Ano. Ano ist das tschechische Wort für Ja, aber in diesem Fall stehen die drei Buchstaben für „Aktion unzufriedener Bürger“. Babis hatte die Partei gegründet, weil es von diesen Bürgern in Tschechien nach zahllosen politischen Skandalen mehr als genug gab. Wenn Babis das Land so führt wie seine Geschäfte, dann kann es eigentlich nur besser werden, meinten viele Tschechen.

Ano wurde immer populärer. Die Parlamentswahl 2017 war eine eindeutige Protestwahl. Im Wahlkampf lautete das wichtigste Versprechen Babis’ er werde die Korruption bekämpfen. Doch nun stellt sich immer klarer heraus, dass er selbst mutmaßlich ein korrupter Politiker ist.

Babis benutze den tschechischen Staatshaushalt und die EU-Subventionen wie einen Geldautomaten für seine privaten Interessen, sagt David Ondracka, der Chef der tschechischen Sektion von Transparency International. Der Druck auf den Regierungschef wächst. Doch „er wird so einfach nicht aufgeben“, sagt Ondracka. Babis ist immer noch populär, Ano wurde bei den Europawahlen stärkste Partei – wenn auch nur mit 21 Prozent.

Die konservative Opposition im Parlament hat ein Misstrauensvotum angekündigt, das jedoch wenig Aussicht auf Erfolg hat. Die Sozialdemokraten als Koalitionspartner und die Kommunisten als Mehrheitsbeschaffer stützen Babis. Und der Protest auf den Straßen interessiere ihn nicht, gibt Babis zu erkennen. Der Student Mikulas Minar möge eine Partei gründen und gegen ihn antreten, erklärte der Regierungschef kürzlich. Dann werde man ja sehen.

Prag steckt bereits mitten in den Vorbereitungen zu den Feiern für das Jubiläum der Samtenen Revolution. Premier Babis, das steht jetzt schon fest, wird bei den Zusammenkünften auf den öffentlichen Plätzen der tschechischen Hauptstadt nicht willkommen sein. So war es bereits im vergangenen Jahr: Bei einem Auftritt zum Gedenken an die Opfer des Prager Frühlings 1968 ist der Regierungschef gnadenlos ausgepfiffen worden. Seither hat sich die Abneigung gegen ihn zumindest in Prag noch verstärkt. (mit dpa)

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