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Umstrittene Verhütungsmethode: Was die Freigabe der "Pille danach" bedeutet

In Europa soll die „Pille danach“ künftig rezeptfrei in Apotheken erhältlich sein. In Deutschland ist diese Verhütungsmethode umstritten. Doch was spricht für die Rezeptfreiheit? Und wie geht es jetzt weiter? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Nun ist das geschehen, was hierzulande viele erhofft und manche befürchtet haben: Die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) hat beschlossen, dass die sogenannte „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat (Handelsname EllaOne) künftig europaweit rezeptfrei erhältlich sein soll. Wenn sich die Europäische Kommission dem Expertenvotum anschließt – und in der Regel tut sie das –, können Frauen auch in Deutschland die Mittel zur nachträglichen Schwangerschaftsverhütung einfach in der Apotheke kaufen und müssen dafür nicht mehr wie bisher vorher extra zum Arzt.

Wie funktioniert die „Pille danach“?

Wenn eine Frau nach ungeschütztem Sex nicht schwanger werden will, kann ihr ein Arzt zwei Wirkstoffe verschreiben: entweder ein Mittel mit dem Hormon Levonorgestrel oder eines mit Ulipristalacetat. Diskutiert wurde die Rezeptfreiheit in Deutschland bisher nur für die „Pille danach“ mit Levonorgestrel. In 23 EU-Staaten (und etwa 80 Staaten weltweit) ist sie über Apotheken bereits frei verkäuflich. Nur in Malta, Kroatien, Ungarn, Griechenland, Italien, Liechtenstein und Polen gibt es wie in Deutschland eine Verschreibungspflicht.

Geschluckt wird das Hormon Levonorgestrel schon seit 40 Jahren millionenfach, vor allem als gewöhnliche Pille zur Empfängnisverhütung, seit etwa 15 Jahren auch als „Pille danach“. In den ersten 72 Stunden nach dem Sex kann es den Eisprung um etwa fünf Tage verschieben – länger, als Spermien überleben. Die Einnistung einer befruchteten Eizelle wird folglich nicht unterbunden, es wird kein Embryo geschädigt. Für Frauen, die mehr als 75 Kilogramm wiegen, ist das Mittel allerdings ungeeignet. In Deutschland ist deshalb seit 2013 das zuverlässigere und bislang europaweit verschreibungspflichtige Ulipristalacetat Standard. Es verhindert, dass das Hormon Progesteron den Eisprung und die Gebärmutterschleimhaut vorbereitet. Und es wirkt auch noch zu einem späteren Zeitpunkt als Levonorgestrel. Frauen können das Mittel noch bis zu fünf Tage nach dem Sex nehmen.

Eine Vergleichsanalyse mit 3368 Frauen ergab, dass Ulipristalacetat bei 75 bis 84 Prozent eine unerwünschte Schwangerschaft verhinderte, Levonorgestrel nur bei 52 bis 69 Prozent. Ulipristalacetat kann den Eisprung auch dann noch verschieben, wenn er bereits unmittelbar bevorsteht. Dieses Mittel sei ebenfalls keine Abtreibungspille, betont zum Beispiel die deutsche Gesellschaft für Endokrinologie. Einige Forscher weisen aber darauf hin, dass es zusätzlich die Struktur der Gebärmutterschleimhaut verändert. Bruno Mozzanega und seine Kollegen von der Universität in Padua argumentieren deshalb, dass es damit die Einnistung eines Embryos verhindern könnte.

Was spricht für die Rezeptfreiheit?

Jede „Pille danach“ wirkt dann am besten, wenn sie in den ersten 24 Stunden nach dem ungeschützten Sex genommen wird. Das gilt insbesondere für Levonorgestrel, aber auch für Ulipristalacetat. Die Rezeptfreiheit würde für einen schnelleren Zugang und damit für mehr Zuverlässigkeit sorgen, schreibt die Ema in ihrer Empfehlung. Ulipristalacetat wurde erst 2009 in der EU zugelassen, die Behörde hat nun alle verfügbaren Daten analysiert. Es sei genauso gut verträglich wie Levonorgestrel, heißt es. Die Bewertung dieses älteren Mittels fällt in die Zuständigkeit der einzelnen EU-Staaten. Doch wenn Ulipristalacetat künftig überall rezeptfrei zu haben ist, lässt es sich kaum noch begründen, das andere Mittel in Deutschland verschreibungspflichtig zu lassen.

Aus fachlicher Sicht ohnehin nicht. Für Levonorgestrel gebe es „keine medizinischen Argumente, die zwingend gegen eine Entlassung aus der Rezeptpflicht sprechen“, wiederholen die Sachverständigen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte seit 2003 gebetsmühlenartig. Auch die Weltgesundheitsorganisation hält Levonorgestrel für eine sichere und gut verträgliche Notfallverhütung, die schnell und unkompliziert zugänglich sein sollte. Nebenwirkungen wie Kopf- und Bauchschmerzen seien selten und verliefen meist mild.

Wie argumentieren die Gegner?

Eher moralisch und aus grundsätzlichen Bedenken heraus. Ihre Warnung, dass Levonorgestrel auch schwere Nebenwirkungen haben könne, haben Arzneiexperten schließlich längst mit dem Hinweis entkräftet, dass die meisten rezeptfrei verkauften Schmerzmittel gefährlicher seien. So liegt der Verdacht nahe, dass es manchem Freigabegegner eher um die Sicherung von Pfründen geht: Apothekerverbände jedenfalls begrüßen die Freigabe, Gynäkologen und Funktionäre der Ärztekammern sind dagegen. Da es verschiedene Mittel gebe, könnten Mediziner mit Blick auf die ihnen bekannten Patientinnen kompetenter beraten, lautet ihr Argument. Und dass es häufig um Minderjährige und Frauen gehe, denen Gewalt angetan wurde. Nur Ärzte könnten hier ganzheitliche Beratung anbieten – einschließlich der Aufklärung über Geschlechtskrankheiten oder Verhütungspraktiken. Des Weiteren dürften die Hersteller für rezeptfreie Mittel auch offensiv werben – was bei der „Pille danach“ insbesondere mit Blick auf Minderjährige nicht wünschenswert sei.

Seine Zuspitzung, dass solche Pillen „keine Smarties“ seien, hat CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn allerdings, nachdem ein Shitstorm über ihn niedergegangen war, nicht mehr wiederholt. Und die moralische Karte offen auszuspielen, traut sich ohnehin kaum noch ein Politiker. Nach dem Ärger über die Abweisung von Vergewaltigungsopfern in katholischen Krankenhäusern haben inzwischen selbst konservative Kirchenkreise zwischen Abtreibung und Verhütung zu differenzieren gelernt. Wenn man nach einer Vergewaltigung ein Präparat einsetze, um die Befruchtung und nicht etwa die Einnistung einer befruchteten Eizelle zu verhindern, sei dies „vertretbar“, stellte der als Hardliner geltende und inzwischen emeritierte Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner klar.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat sich bisher gegen die Freigabe gestemmt. Wie geht er mit der Niederlage um?

Er hat still und leise eingelenkt und für Deutschland nun indirekt auch die Freigabe des Wirkstoffes Levonorgestrel in Aussicht gestellt. Wenn die Beratung aufgrund der Brüsseler Entscheidung nicht mehr zwingend durch einen Arzt erfolgen müsse, sei „eine intensive Beratung auch in den Apotheken der richtige Weg“, sagte der CDU-Politiker – und dass man nun mit Frauenärzten, Apothekern und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Kriterien dafür entwickeln müsse. Zuvor hatte der eigentlich sehr auf Harmonie bedachte Minister in dieser Frage sogar einen Koalitionskrach in Kauf genommen und sich von SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach vorhalten lassen, Frauen in Notlagen das Recht auf schnelle Hilfe vorzuenthalten.

Allerdings muss man daran erinnern, dass Gröhe seine Position von Anfang an dezent und undogmatisch vertreten hat. Er „warne vor einer Debatte mit Schaum vor dem Mund“, sagte er mit Blick auf die Konservativen seiner Partei. Betonte auch, dass es sich bei der „Pille danach“ um ein Verhütungsmittel und nicht um eine „Abtreibungspille“ handle. Und dass es ihm nicht darum gehe, „vermeintlichen Sittenverfall zu bekämpfen“ oder die Selbstbestimmung von Frauen einzuschränken. Nur: Aus seiner Sicht sei ein „diskriminierungsfreier Zugang“ zu der Pille mitsamt guter Beratung eben am besten durch ärztliche Verschreibungspflicht gewährleistet. Ob das „im Notdienst an der Fensterklappe“ ausreichend geschehen könne, sei zu bezweifeln.

Wie geht es jetzt weiter?

Man werde die schriftliche Begründung der Arzneimittelagentur abwarten und die Empfehlungen dann genauestens prüfen, heißt es im Gesundheitsministerium. Sein Ziel sei es, stellte Gröhe klar, „auch weiterhin eine gute Beratung für beide Präparate aus einer Hand sicherzustellen“. Wie das konkret aussehen könnte, hat der Unionsexperte Spahn bereits beschrieben. In den Apotheken könne es künftig für die Hormonpillen „eine strukturierte Beratung mit Beratungsbogen wie in der Schweiz als Verpflichtung geben“, sagte der CDU-Politiker. Zudem könne er sich „eine Erstattung der Kosten für Minderjährige weiterhin nur vorstellen, wenn es ein ärztliches Rezept gibt“.

Über die Beratungspflicht lasse sich reden, heißt es beim Apothekerverband Abda, „wir sind da ganz offen“. Wenn es um ihre Beratungskompetenz geht, fühlen sich die Apotheker gegenüber den Ärzten von der Gesundheitspolitik ohnehin allzu oft in den Schatten gestellt und nicht ernst genommen. Und auch die SPD denkt nicht daran, den rezeptfreien Zugang zur „Pille danach“ an solchen Einschränkungen scheitern zu lassen. Ihr Gesundheitsexperte und stellvertretender Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach jedenfalls nannte Spahns Bedingungen in einer ersten Reaktion einen „gangbaren Weg“. Es sei schließlich „Konsens, dass es in den Apotheken eine Beratung geben muss“, sagte er dem Tagesspiegel. Und nachdem nicht nur SPD und beide Oppositionsfraktionen, sondern auch der Bundesrat bereits auf die Streichung der Rezeptpflicht gedrungen habe, ist aus seiner Sicht nun auch ein „flinkes Vorgehen“ möglich. Man könne die Änderungen bei der Verschreibungspflicht als Fraktionsinitiative einbringen, empfahl er, und sie dann einfach an ein bereits laufendes Gesetzgebungsverfahren anhängen.

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