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Bundesinnenminister Horst Seehofer auf einer Pressekonferenz.

© dpa

Umstrittene Sicherheitsgesetze: Die Baustellen des Herrn Seehofer

Der Innenminister will mehr Befugnisse für den Verfassungsschutz. Doch der Gesetzesentwurf steckt fest - genau wie zwei weitere wichtige Sicherheitsvorhaben.

Es waren Nachrichten, auf die sie bei den Sicherheitsbehörden wohl lange gewartet hatten. Eine Lizenz zum Hacken, hieß es, wünsche sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für den Verfassungsschutz. Der Geheimdienst solle verdeckt auf Smartphones und Computer zugreifen dürfen – auch um in Chatprogrammen wie Whatsapp und Telegram mitlesen zu können. Und weil immer mehr Kinder im dschihadistischen Umfeld unterwegs seien, solle der Verfassungsschutz künftig Daten von Minderjährigen unter 14 Jahren speichern dürfen.

Ein Dreivierteljahr ist diese Ankündigung nun her – passiert ist aber bislang: wenig. Noch immer hängt der Entwurf eines „Gesetzes zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“ in der Ressortabstimmung. In den Gesprächen mit dem Justizministerium hakt es. Und das ist nicht Seehofers einzige Baustelle in puncto Sicherheit: Auch das geplante IT-Sicherheitsgesetz und die Neuerung des Bundespolizeigesetzes stecken fest. Bei letzterem räumte Seehofer selbst vergangene Woche einen heiklen Punkt aus dem Weg: Er ließ vorerst von seinen Plänen zur Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ab.

Kriminelle und Extremisten kommunizieren oft verschlüsselt

Was das Gesetz zum Verfassungsschutz betrifft, ist die „Lizenz zum Hacken“ der umstrittenste Punkt. Konkret geht es um die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Online-Durchsuchung. Dabei kann mit einem aufgespielten Staatstrojaner die laufende Kommunikation mitgelesen oder die gesamte Festplatte durchsucht werden.

Seehofer reagierte mit dem Vorstoß auf die Wünsche der Sicherheitsbehörden, die seit längerem ein „going dark“ beklagen. Also dass sich die Kommunikation von Kriminellen und Extremisten immer stärker in verschlüsselte Dienste verlagert – und so schwerer überwacht werden kann. Unions-Innenpolitiker betonen, dass es um eine Anpassung der Kompetenzen an die technische Entwicklung gehe.

Umstritten an dem im März bekannt gewordenen Entwurf war aber auch, dass er es dem Verfassungsschutz theoretisch ermöglicht hätte, Journalisten und ihre Redaktionen heimlich auszuforschen – darauf machte die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ aufmerksam. Die geheim tagende G10-Kommission des Bundestages hätte zwar die Überwachung zu kontrollieren, dennoch waren Journalistenverbände alarmiert.

Unter Führung von SPD-Politikerin Katarina Barley weigerte sich das Justizministerium im vergangenen Jahr, Seehofers Entwurf auch nur zu prüfen. Barley wollte ihn nicht mittragen – sie lehnte etwa das leichtere Speichern der Daten von Kindern ab. Nachdem Barley ins Europaparlament wechselte, übernahm Christine Lambrecht im Justizministerium das Ruder. Zwischen ihr und Seehofer gibt es Gespräche über den Entwurf. Der rechtsextreme Anschlag in Halle brachte eine zusätzliche Dynamik, da das Gesetz aus Sicht des Innenministeriums zur Bekämpfung des Rechtsextremismus beitragen kann.

Verschlechterung der IT-Sicherheit?

Dennoch haben Bürgerrechtler massive Bedenken gegen Seehofers Pläne. In der FDP-Bundestagsfraktion befürchten sie, dass Lambrecht dem Entwurf am Ende zustimmt. In dieser Woche bringen die Liberalen einen Antrag ein, in dem sie fordern, bei der Änderung des Verfassungsschutzrechts auf verschiedene Punkte zu verzichten: etwa auf die Ausdehnung des Staatstrojaners, die „Einführung eines Betretungsrechts von Privaträumen zur Anbringung von Überwachungseinrichtungen“ und das leichtere Speichern der Daten von Minderjährigen unter 14 Jahren. Die FDP fordert stattdessen eine „Überwachungsgesamtschau“, um sicherzustellen, dass die Summe der Überwachung das „für die freiheitlich-demokratische Grundordnung erträgliche Maß nicht überschreitet“.

Die FDP moniert, die Bundesregierung vermische die Befugnisse von Polizei und Nachrichtendiensten „bis zur Unkenntlichkeit“. Konstantin Kuhle, der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, sagt: „In Deutschland gibt es aus gutem Grund keine Geheimpolizei, sondern eine Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten.“ Mit der Ausdehnung des Staatstrojaners schleife die Bundesregierung nicht nur Bürgerrechte, sondern verschlechtere auch die IT-Sicherheit, weil die Behörden auf Sicherheitslücken in der digitalen Kommunikation angewiesen seien.

Vorerst keine Software zur Gesichtserkennung

Ebenfalls in der Abstimmung mit den anderen Ministerien hängt Seehofers IT-Sicherheitsgesetz 2.0 fest. Seehofer hatte nach dem Datenskandal im Januar 2019 ein baldiges Update des Gesetzes versprochen, als persönliche Informationen zahlreicher Bundestagabgeordneter in Umlauf kamen. Später wurde ein Gesetzesentwurf geleaked, der scharfe Kritik nach sich zog. So sah der Entwurf schärfere Sanktionen für Menschen vor, die den Sicherheitsbehörden ihre Online-Passwörter nicht verraten wollen. Die Sicherheitsbehörden sollten die digitale Identität eines Verdächtigen übernehmen können – „auch gegen den Willen der Beschuldigten“, hieß es. Welche Maßnahmen das Gesetz nun tatsächlich beinhalten wird, ist unklar. Bis zu einer Einigung könnte es noch Monate dauern.

Und dann ist da noch die Änderung des Bundespolizeigesetzes. Ein Punkt machte vergangene Woche Schlagzeilen: Seehofer wollte eigentlich an sicherheitsrelevanten Orten wie Bahnhöfen und Flughäfen Software zur Gesichtserkennung einsetzen. Er rückt aber davon ab, nachdem die „New York Times“ über das US-Unternehmen Clearview berichtete, dessen Software zur Gesichtserkennung bereits von zahlreichen Behörden in den USA verwendet wird. Das Programm gleicht Fotos mit über drei Milliarden Bildern aus dem Internet ab. Der Bericht sorgte für einen Aufschrei, da solche Software das Ende der Anonymität im öffentlichen Raum bedeuten kann.

Die Zeit drängt für Seehofer

Während es in der CDU Unmut gab, reagierte der Koalitionspartner SPD erleichtert auf Seehofers Ankündigung, vorerst auf Gesichtserkennungssoftware zu verzichten. In Bundestag wird vermutet, dass der Minister mit diesem Zugeständnis das Ziel verfolgt, den Entwurf endlich voranbringen und andere Sicherheitsbefugnisse für die Bundespolizei zu ermöglichen. Sie soll zum Beispiel ebenfalls verschlüsselte Kommunikation mithilfe von Quellen-TKÜ mitlesen können. Im Gesetzesentwurf heißt es, dass man so etwa Schleusern das Handwerk legen könne, wenn Lebensgefahr für die geschleusten Personen bestehe.

Für Seehofer sind die Verzögerungen unangenehm. Nicht nur, dass sie das Erfolgsbild trüben, das er gern von seinem Haus zeichnet. Beim Bundespolizeigesetz drängt die Zeit, weil es wegen veränderter Datenschutzbestimmungen angepasst werden muss. Und Seehofer weiß auch nicht, wie lange er noch Innenminister sein wird. Nachdem CSU-Chef Markus Söder Anfang des Jahres verkündete, das Bundeskabinett müsse erneuert und verjüngt werden, gilt Seehofer als potenzieller Austauschkandidat. Wenn Söder ernst macht, dann wäre Seehofer seinen Posten womöglich los.

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