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Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) beim öffentlichen Auftritt. Die Razzia-Infos gab es allerdings vertraulich und mit Sperrfrist.

© Kay Nietfeld/dpa

Umstrittene Regierungs-PR: So verriet Horst Seehofer die Hisbollah-Razzien an „Bild“ – und andere Medien

Das Innenministerium hatte einzelne Journalisten vorab über das Verbotsvorhaben informiert. Die Opposition im Bundestag sieht eine Gefährdung der Polizeiarbeit.

Eine Maßnahme von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zur Öffentlichkeitsarbeit beim Hisbollah-Verbot im vergangenen Frühjahr stößt auf scharfe Kritik im Bundestag. Wie erst kürzlich durch eine TV-Dokumentation bekannt wurde, hatte Seehofer den Chefredakteur der „Bild“-Zeitung Julian Reichelt drei Tage vor dem Schlag gegen die Islamisten in sein Ministerium eingeladen und in das Vorhaben eingeweiht. Die „Bild“ konnte daraufhin am 30. April 2020 ab frühmorgens von den Razzien in Berlin, Bremen, Münster und Dortmund berichten.

Politikerinnen und Politiker aller vier Oppositionsfraktionen kritisierten Seehofer für diese Vorab-Information und riefen dazu auf, das Vorgehen aufzuklären und rechtlich zu prüfen. Die Polizeieinsätze könnten dadurch gefährdet werden, hieß es. Zudem entstehe der Eindruck, der Minister wolle sich eine gefällige Berichterstattung über sein Handeln verschaffen.

Die mediale Live-Begleitung von Polizei-Aktionen ist auch in anderen Fällen umstritten, etwa 2008 bei der Durchsuchung im Privathaus des früheren Deutsche-Post-Chefs Klaus Zumwinkel wegen Verdachts der Steuerhinterziehung. Auch damals wurden Vorwürfe laut, die Staatsanwaltschaft selbst könne Medien vorab einen Tipp gegeben haben. In Justizkreisen ist die Zulässigkeit behördlicher PR-Arbeit in Ermittlungsverfahren ein Dauerthema.

Das gehört „zum Repertoire der Medienarbeit“, meint das Ministerium

In Seehofers Ministerium gibt es offenbar die Gepflogenheit, bestimmte Kontaktpersonen in Medien vorab über Vereinsverbote und damit verbundene Polizeimaßnahmen zu informieren. So bestätigte das Ministerium jetzt erstmals, es habe im April 2020 nicht nur „Bild“, sondern zwei Tage später, am 29. April, auch noch „mehrere unterschiedliche Medien“ über das Betätigungsverbot für die schiitische Hisbollah vorab in Kenntnis gesetzt. Die Angaben seien vertraulich gewesen und mit einer Sperrfrist versehen worden. Eine derartige „anlassbezogene Vorabinformation“ gehöre „zum Repertoire der Presse- und Medienarbeit des Bundesinnenministeriums“.

Bundeskanzleramt und Bundespresseamt betonten dagegen, sie hätten von einem solchen Vorgehen bisher keine Kenntnis gehabt, auch nicht im Fall des Hisbollah-Verbots. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärte, es sei damals nicht über Seehofers Handeln informiert gewesen. Auf Unverständnis trifft die Aktion offenbar bei der Berliner Innenverwaltung von Senator Andreas Geisel (SPD). Als regionale Vereinsverbotsbehörde, die am Hisbollah-Verbot nicht beteiligt war, legt sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit für das Land Berlin nach eigenen Angaben „größten Wert auf die Vertraulichkeit solcher Vorgänge“. Vorab-Verlautbarungen an Medien gebe es keine.

Seehofer hatte damals zwei Informationsschreiben zu Hintergründen des Hisbollah-Verbots und die bevorstehenden Razzien bei vier Hisbollah-nahen Vereinen per E-Mail an bestimmte Journalisten übermitteln lassen. Auf Anfrage wurden die Papiere jetzt auch an den Tagesspiegel herausgegeben. Ob ein Tagesspiegel-Vertreter schon damals zum Adressatenkreis gehört hat, wollte das Ministerium nicht mitteilen.

Dass der „Bild“-Chef mit einem TV-Team unterwegs war, wusste Seehofer nicht

Wie aus der seit Dezember angebotenen Doku-Serie des Pay-TV-Senders Amazon über die Boulevardzeitung („Bild.Macht.Deutschland?“) hervorgeht, kam es Seehofer ohnehin vorrangig auf die „Bild“ an. So bestätigte das Ministerium jetzt, die „Bild“ sei nicht nur als erstes Medium informiert worden, sondern habe als einziges Medium ein wörtliches Zitat des Ministers für seine Berichterstattung erhalten und exklusiv verwenden dürfen. Allerdings war Seehofer bei dem Termin am 27. April im Ministerium noch nicht bekannt, dass Chefredakteur Reichelt von einem TV-Team begleitet wurde, das vor den Türen wartete. Das hat das Ministerium nach eigenen Angaben erst aus der fertigen Dokumentation erfahren.

Weitere Angaben – insbesondere dazu, welche Details zu den Razzien an „Bild“ und andere herausgegeben wurden – verweigert das Ministerium bislang. Entweder hieß es, Erkenntnisse dazu lägen nicht vor oder die Vorgänge seien „nicht rekonstruierbar“, würden „nicht dokumentiert“ oder „nicht protokolliert“, könnten „nicht nachvollzogen“ werden oder würden „statistisch nicht erfasst“. Auch ein „Bild“-Sprecher wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Info-Schreiben mit Razzia-Plänen und Sperrfrist

In einem der vor den Razzien übermittelten Schreiben stellte das Ministerium „wesentliche Auszüge aus der Verbotsverfügung“ dar. Im zweiten wird im Frage-Antwort-Stil eines journalistischen Beitrags das Wirken der Hisbollah erläutert. Die Razzien nimmt das Ministerium dabei vorweg („Was wird den Vereinen, bei denen heute durchsucht wird, konkret vorgeworfen?“) und erklärt, dass „alle vier Vereine“ seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet würden. Zwei davon würden in den jeweiligen Berichten der zuständigen Landesämter ausdrücklich benannt.

Somit lagen im Vorfeld der Razzien Hinweise darauf vor, dass ein Polizeieinsatz in Bremen stattfinden würde, wo laut Landesverfassungsschutzbericht die örtlichen 50 Hisbollah-Anhänger im Verein „Al-Mustafa Gemeinschaft e.V.“ organisiert sind. Der Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen benennt das „Imam-Mahdi-Zentrum“ in Münster als „eine Plattform und Begegnungsstätte“ für Hisbollah-Anhänger in der Region. Damit war auch dieses Zentrum in Münster als Einsatzort wahrscheinlich.

„Bild“-Chefredakteur Reichelt persönlich erschien nach Darstellung der Amazon-Doku am Morgen des 30. April bei der Durchsuchung der Moschee des Al-Irschad-Vereins in Berlin-Neukölln. Der Sprecher der Berliner Polizei Thilo Cablitz erklärte, die Einsatzkräfte des Landes Berlin hätten von den Vorab-Informationen Seehofers an Medien ebenfalls nichts gewusst. Die Seehofer direkt unterstellte Bundespolizei, die bei dem Einsatz Amtshilfe leistete, lehnte eine Stellungnahme ab.

Grüne: „Ein Affront gegenüber dem Parlament“

Die Opposition im Bundestag äußert sich durchweg ablehnend zu Seehofers Vorgehensweise:

„Gerade im Rahmen von sicherheitsbehördlichen Maßnahmen, beispielsweise im Vorfeld von Durchsuchungen oder Vereinsverboten, besteht ein relevantes Risiko, den Erfolg der Maßnahmen durch Informationsweitergaben nachhaltig zu gefährden“, sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. Die Vorab-Information sei „juristisch fragwürdig“ und ein „Affront gegenüber dem Parlament“, dem die Regierung sonst allzu oft Informationen mit dem Argument des Geheimschutzes vorenthalte.

Ähnlich sieht es AfD-Parteivize Stephan Brandner. „Es kann nicht sein, dass wir als Parlamentarier aus der Presse von Exekutivmaßnahmen erfahren, während ,Bild‘-Redakteure vorab informiert werden“. So entstehe der Eindruck, als wolle sich das Ministerium als Gegenleistung für die Bevorzugung eine positive Berichterstattung erkaufen. Seehofers Vorgehen sei „erschreckend und gefährlich zugleich“.

Auch FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae verwies auf Risiken und die Restriktionen, die die Exekutive sonst gegenüber dem Parlament geltend macht. „Zudem besteht auch die Gefahr, dass eine selektive Informationsweitergabe und frühzeitige Berichterstattung zu rechtswidrigen Eingriffen in die Betroffenenrechte führt“, sagte er. Hier fehle es an gesetzlichen Vorgaben.

Linksfraktion will Seehofers Praxis grundsätzlich klären lassen

Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion Ulla Jelpke hält das Zusammenwirken mit der „Bild“ für ein „absolutes Unding“. Es dränge sich auf, dass Seehofer sich hier eine ihm genehme Hofberichterstattung schaffen wolle, sagte sie. Die Zeitungen des Springer-Verlags hätten sich seit längerem für ein Hisbollah-Verbot stark gemacht. „Es hat schon einen unangenehmen Beigeschmack, wenn die ,Bild‘ vom Bundesinnenminister für ihre propagandistische Vorbereitung dieses Verbots mit Exklusivinformationen über die geplanten Polizeieinsätze belohnt wird“. Ein Ausnahmefall sei das wohl nicht, Seehofer gebe via „Bild“ auch die Agenda beim Thema Geflüchtete vor: „Wir sollten diesen Vorfall als Anlass nehmen, um die Bundesregierung nach ihrer grundsätzlichen diesbezüglichen Praxis im Umgang mit Medien zu fragen.“

Die Koalitionsfraktionen von Union und SPD lehnten eine Stellungnahme zu den Fragen des Tagesspiegels ab.

Droht ein Ermittlungsverfahren?

Unklar ist, ob dem Innenministerium für eine solche Form der Öffentlichkeitsarbeit überhaupt eine Befugnis zusteht. Dies sei nicht geprüft worden, heißt es aus dem Innenministerium. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass Seehofers Verhalten noch in strafrechtlicher Hinsicht untersucht wird. Amtsträger machen sich in aller Regel wegen Geheimnisverrats strafbar, wenn Details zu Razzien an Medien durchgestochen werden. So klagte etwa die Berliner Staatsanwaltschaft einen Polizeikommissar an, weil er 2012 eine geplante Razzia im Rockermilieu an einen Journalisten von „Spiegel Online“ verraten haben sollte; das Verfahren scheiterte wegen fehlender Beweise. Polizisten stehen wegen solcher Vorwürfe häufiger unter Tatverdacht. Laut Landeskriminalamt hat es 2020 insgesamt 23 Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats gegen Ordnungshüter gegeben.

Auch ein Minister als oberster Verantwortlicher könnte in diesem Zusammenhang grundsätzlich einen Geheimnisverrat begehen, meint der frühere Strafrichter am Bundesgerichtshof und Strafgesetzbuch-Kommentator Thomas Fischer. Fischer bezweifelt allerdings, dass Seehofer durch die Vorab-Mitteilung der Razzien an Journalisten „wichtige öffentliche Interessen gefährdet“ habe, wie es das Gesetz für eine Strafbarkeit zwingend vorschreibt. Grund: Die Journalisten hielten zumeist dicht. „Die betreffenden Presseorgane und deren Mitarbeiter werden in der Regel die Geheimnisse bewahren, weil sie dauerhaft von der Bevorzugung profitieren und sich nicht zugunsten der Konkurrenz ausschließen wollen“, sagte Fischer. Gleichwohl sei der Sachverhalt „rechts- und medienpolitisch höchst bedenklich.“

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