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Malgorzata Gersdorf wehrt sich gegen ihre Pensionierung.

© Janek Skarzynski, AFP

Umstrittene Justizreform in Polen: EuGH soll im Streit um Richter-Pensionierungen entscheiden

Tausende haben in Polen gegen die Justizreform protestiert, die Betroffenen trotzen der Pensionierung. Jetzt ist ein Kompromiss in Sicht.

In Polen bahnt sich möglicherweise ein Kompromiss im Konflikt um die vorzeitige Pensionierung von Richtern an. Das Gesetz zur Herabsetzung des Ruhestandsalters von 70 auf 65 Jahre gehört zum umstrittenen Umbau des Justizwesens, mit dem die rechtspopulistische Regierung ihren Einfluss auf die Gerichte ausweiten möchte. Die Versetzung älterer Richter in entscheidenden Positionen in den Ruhestand würde es ihr erlauben, diese Posten mit politisch genehmem Nachwuchs zu besetzen.

Schritt zur Begrenzung

Nun hat Polens Oberstes Gericht nach einer Meldung des Radiosenders „tokfm“ entschieden, dass die neue Pensionierungsregelung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt werden müsse und bis zu dessen Entscheidung nicht angewandt werden dürfe. Das Urteil wirkt auf den ersten Blick wie eine Kampfansage des Gerichts an die Regierungspartei PiS („Recht und Gerechtigkeit“). Die Vorsitzende des Gerichts, Malgorzata Gersdorf, ist selbst betroffen von der vorgezogenen Pensionierung; sie hat bereits das 65. Lebensjahr vollendet.

Sie weigert sich aber, in den Ruhestand zu gehen mit der Begründung, dass sie den Posten unter der bisherigen Altersgrenze von 70 Jahren angetreten habe. Die PiS besteht hingegen darauf, dass sie nicht mehr im Amt sei und nur einen Ausweg habe, den das neue Gesetz vorsieht: Sie könne dem Staatspräsidenten Andrzej Duda mitteilen, dass sie trotz ihres Alters weiterarbeiten wolle und abwarten, ob er das genehmige oder nicht. Duda war 2015 als Kandidat der PiS zum Staatsoberhaupt gewählt worden.

Auf den zweiten Blick kann man das Urteil aber auch als Schritt zur Begrenzung des Konflikts interpretieren. Außenminister Jacek Czaputowicz, der zu den moderaten Kräften in der PiS-Regierung zählt, hatte vor wenigen Tagen einen ähnlichen Vorschlag gemacht. „Es ist vielleicht der geeignete Weg, diese Angelegenheit dem EuGH zu übergeben“, sagte er am Montag im staatlichen Fernsehsender TVP.

EU hat den Druck erhöht

Die EU-Kommission hatte im Dauerstreit um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz im Juli den Druck auf das Land erhöht und ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, zu dem Polen noch offiziell Stellung nehmen muss. Im Streit um das Pensionsalter geht es unter anderem um die Frage, ob hier eine Altersdiskriminierung vorliege, die dem EU-Recht zuwider laufe.

Die Kritiker argwöhnen zudem, die PiS wolle mit der im Juli eingeführten Absenkung des Pensionsalters für oberste Richter von 70 auf 65 Jahre missliebige Juristen loswerden. Brüssel argumentiert, das Gesetz verstoße gegen Polens Pflichten aus dem EU-Vertrag in Verbindung mit der Europäischen Grundrechtecharta.

Gerichte sollen effektiver werden

Die PiS-Regierung sieht sich im Recht. „Wir haben das Recht, das Justizsystem zu reformieren, die Reform entspricht den geltenden EU-Standards“, sagt hingegen Czaputowicz. Laut PiS soll das Gerichtswesen unabhängiger und effektiver werden. Die Partei argumentiert, viele Richter seien korrupt. Polen sei bereit, seine Rechte vor dem EuGH zu verteidigen, betonte Czaputowicz. Er schlug allerdings nicht vor, dass die Regierung sich sofort an den EuGH wenden solle, wie es das Oberste Gericht nun verlangt. Die Regierung solle sich diese Option vorbehalten, sagte der Außenminister. Zunächst wolle man beobachten, wie die Gesetze funktionierten. Sollten sich Befürchtungen Brüssels um die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit bestätigen, sei die PiS zu „eventuellen Änderungen“ bereit.

Die EU-Kommission erhebt seit mehr als zwei Jahren Bedenken gegen den Umbau der Justiz durch Polens Regierung. Im Dezember hatte sie erstmals in der Geschichte der EU ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge wegen möglicher Gefährdung von EU-Grundwerten gegen Polen gestartet.

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