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Ziel von US-Sanktionen: Das russische Verlegeschiff "Akademik Tscherski" im Hafen Mukran auf Rügen. Mit dem Spezialschiff wird die Pipeline Nord Stream 2 verlegt (Archivbild)

© Stefan Sauer/dpa

Umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2: Deutschlands Alleingang rächt sich jetzt

Berlin kann angesichts der US-Drohungen nicht auf die Unterstützung seiner europäischen Partner bauen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Kein europäischer Staat ist, ungeachtet seiner wirtschaftlichen Macht und seines politischen Einflusses, so sehr wie Deutschland auf die Kooperation mit den anderen Mächten des Kontinentes, aber auch auf Nordamerika angewiesen. Ohne die Opferbereitschaft dieser Länder, vom heutigen Russland bis zu den Vereinigten Staaten, hätte die Hitler-Diktatur nicht vernichtet werden können.

Ohne die nicht nur der Blockkonfrontation geschuldete Solidarität des Westens wäre die Rückkehr eines veränderten Deutschlands in den Kreis der demokratischen Nationen nicht denkbar gewesen. Ohne die Überzeugung dieser Partner in Ost und West, dass ein aus der DDR und der Bundesrepublik gebildeter, gemeinsamer Staat zu Frieden und Stabilität beitragen würde, hätte es keine Wiedervereinigung gegeben.

Angesichts dieser eigentlich jede Außenpolitik prägenden Erfahrungen ist es erstaunlich, dass Deutschland immer wieder meint, weitreichende Entscheidungen ohne Rückkoppelung mit seinen Partnern treffen zu können.

Und genauso überraschend wirkt, wie scheinbar unbelastet von jeder historischen Erfahrung wichtige Politiker, aber auch Bevölkerungsmehrheiten meinen, mit dem Gedanken an eine Umkehr der Allianzen und Partnerschaften spielerisch umgehen zu können. Die jüngsten Zerwürfnisse zwischen den USA und Deutschland zeigen das beispielhaft.

Das Vertrauen in das Amerika von Trump ist gesunken

Dabei kann es auf den ersten Blick kaum überraschen, dass eine Mehrheit der Deutschen nach den Erfahrungen mit dem Trump‘schen Amerika und den Attacken der letzten Monate gegen den Weiterbau der Erdgasleitung Nord Stream 2 zu diesem Bündnispartner wenig Vertrauen hat.

Das britische Meinungsforschungsinstitut YouGov stellte fest, dass 47 Prozent der Deutschen den vom US-Präsidenten angekündigten Truppenabzug aus Deutschland nicht etwa bedauern, sondern gut finden.

Zieht nicht mehr: Nachgebildete Freiheitsstatue auf der Pressekonferenz zum 55. Deutsch-Amerikanischen Volksfest 2015 in Berlin-Mitte.
Zieht nicht mehr: Nachgebildete Freiheitsstatue auf der Pressekonferenz zum 55. Deutsch-Amerikanischen Volksfest 2015 in Berlin-Mitte.

© Kai-Uwe Heinrich

Jeder vierte Bundesbürger meint sogar, sie sollten am besten ganz gehen. Und wenn die neue SPD-Spitze, dabei unterstützt vom Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich, fordert, die USA sollten ihre auf deutschem Boden lagernden Atombomben wegschaffen, finden das sogar zwei Drittel der Deutschen gut.

Das gleiche Institut fand bei einer Umfrage heraus, dass 41 Prozent der Deutschen glauben, dass von den USA die größte Gefahr für den Weltfrieden ausgeht.

Anti-Amerikanismus steigt stetig

Der aus diesen Daten sprechende, latente, Anti-Amerikanismus, reicht von der Rechten bis weit in die politische Linke hinein. Er ist nach der Wiedervereinigung noch gestiegen – eine Wiedervereinigung, die es ohne das vehemente Eintreten des damaligen US-Präsidenten George Bush Senior nie gegeben hätte. Der überzeugte die zögerliche britische Premierministerin Maggie Thatcher genauso wie den widerstrebenden französischen Präsidenten Francois Mitterand.

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Mit der Begeisterung über einen Abzug der US-Truppen steht das demoskopisch fassbare Deutschland in Mitteleuropa ziemlich alleine. Sowohl für Polen als auch für die baltischen Staaten ist die US-Präsenz in Deutschland so etwas wie eine Lebensversicherung gegen die anhaltenden russischen Übergriffe auf seine Nachbarstaaten.

Und die deutsche Außenpolitik spielt diese europapolitische Karte viel zu wenig. Dabei wäre das ein Musterbeispiel für politische Abstimmung innerhalb der Europäischen Union gewesen.

1982 hat man es besser gemacht

Ganz ähnlich stellt sich die Lage im erbitterten Streit um die Erdgasleitung Nord Stream 2 dar. Die Art und Weise, in der Präsident Donald Trump und jetzt auch drei republikanische Senatoren Deutschland und deutsche Unternehmen unter Druck setzen, ähnelt dem Verhalten einer Kolonialmacht und erinnert an die einstige Breschnjew-Doktrin von der begrenzten Souveränität der Staaten des Warschauer Paktes.

Diese so genannten extra-territorialen Sanktionen gegen Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen widersprechen dem Völkerrecht. Warum findet die deutsche Position in diesem Machtkampf nicht überall Unterstützung?

Weil in der Ägide des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder Planung und Bau vorangetrieben wurden, obwohl nicht nur Polen und die baltischen Staaten, sondern auch andere Länder Mittelosteuropas größte Bedenken hatten. Sie waren gegen eine Erdgasleitung, die Deutschland direkt beliefert und es damit Russland ermöglicht, alle Staaten dazwischen nach Gutdünken von russischen Energielieferungen abzuschneiden.

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Dass es auch anders gegangen wäre, und wie sich Deutschland die dann letztlich entscheidende Unterstützung anderer europäischer Länder hätte sichern können, zeigt eine Ausarbeitung von Markus Engels und Petra Schwarze über „Alliierte Vorbehaltsrechte“ aus dem Jahr 1995 (Alliierte Restriktionen für die Außenwirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Europarecht, Nomos, Baden-Baden).

Die Verfasser zeigen darin am Beispiel des Erdgasröhrengeschäftes aus dem Jahr 1982, wie die Bundesrepublik damals unter Beteiligung von insgesamt sechs EU-Staaten und von Japan Handelshemmnisse des damaligen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan aushebeln konnte. Auch Reagan hatte ein Embargo gegen alle Firmen verhängt, die sich am Bau der Leitung beteiligen wollten. Zu einer Zeit, in der es noch alliierte Vorbehaltsrechte gegen die volle Souveränität Deutschlands gab, war ein US-Einspruch wesentlich schwerer auszuräumen als heute.

Aber in dem offenen transatlantischen Konflikt stellten sich London und Paris auch unter Berufung auf den KSZE-Prozess auf die deutsche Seite. Am 22. November 1982 verkündete Reagan die Aufhebung der Sanktionen. Zu einer Zeit, zu der sich der heutige Konflikt noch nicht einmal abzeichnete, kamen die beiden Autoren in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass „die westeuropäischen Länder von den USA abweichende Interessen entwickelten und gemeinsam einem amerikanischen Druck standhalten konnten“.

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