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Der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

© IMAGO/HMB-Media/Schumacher

Umlage nur für Gaskunden: Solidarität geht anders

Die Rettung der Gasunternehmen dient auch dem Erhalt unserer Wirtschaft. Daher müssten die Kosten von allen getragen werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sidney Gennies

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat es selbst gesagt: Die Gasumlage sei „kein guter Schritt, aber ein notwendiger Schritt.“ Es gehe, das betont die Regierung immer wieder, um alles. Wenn Gashändler wie Uniper, die durch Verträge derzeit noch an niedrige Gaspreise gebunden sind, die hohen Kosten, die ihnen jetzt durch Importe entstehen, nicht zumindest in Teilen an die Kunden weitergeben dürfen, gehen sie pleite.

Gehen sie pleite, wäre das eine Katastrophe für die Wirtschaft. Wirtschaftskatastrophe heißt: weitere Pleiten, Kettenreaktion, Massenarbeitslosigkeit, gute Nacht, Deutschland. Es geht also um alle.

Nur: Warum müssen dann nicht alle dafür zahlen? Was die Bundesregierung in ihrer Abwägung „schwieriger“ (Habeck) Maßnahmen nicht einberechnet zu haben scheint, ist die Frage der Gerechtigkeit. So wie die Gasumlage jetzt angedacht ist, soll sie von Gaskunden bezahlt werden.

Ist das gerecht? Das Privileg, mit 200 Kilometer pro Stunde über die Autobahn zu fahren, wird per Tankrabatt von der Allgemeinheit finanziert. Die Reise nach Sylt wird aus Steuermitteln per 9-Euro-Ticket subventioniert. Und ausgerechnet den Zusammenbruch des gesamten Wirtschaftssystems, wie wir es kennen, sollen nur die Gaskunden durch ihre Zahlungen verhindern?

Niemand ist schuld daran, jetzt zufällig Gaskunde zu sein

Es ist ja wahr: Der Staat kann nicht für jeden alle Härten abfedern. Nicht alle entlasten. Aber zumindest die Last gleichmäßig verteilen, wäre nicht zu viel verlangt. Denn die wenigsten sind selbst schuld daran, nun zu den Gaskunden zu gehören. Millionen von Mietern haben gar keine Wahl.

Und Millionen von Eigenheimbesitzern nicht den Platz, die technischen Möglichkeiten oder das Geld, um umzurüsten. Zumal nicht in der Kürze der Zeit. Noch im Wahlkampf hatte Bundeskanzler Olaf Scholz eine Abhängigkeit von russischem Gas bestritten. Und da hätten die Bürger es besser wissen müssen? Gerecht ist das nicht.

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Wahr ist auch, dass Gas gespart werden muss. Die Gasumlage kann dazu ein zusätzlicher Anreiz sein. Schließlich macht sie Heizen teurer. Doch mittelfristig wird das Gas durch den Mangel auch ohne Umlage noch teuer genug. Da braucht die Politik keine Sorge haben.

Und überhaupt: Wer soll denn sparen? Wer arm ist und an Gas angeschlossen, muss ohnehin haushalten. Wer reich ist, verbraucht zwar überproportional viel, kann es sich aber eben auch leisten.

Die Mittelschicht bekommt keine Hilfen und wird zusätzlich geschröpft

Bleiben nur noch die Gaskunden der Mittelschicht. Die ist von Inflation und der drohenden Rezession schon genug gebeutelt, muss die höheren Energiepreise – anders als Geringverdiener – nahezu ohne staatliche Hilfe aufbringen. Und soll nun über die Umlage zusätzlich geschröpft werden? Gerecht ist auch das nicht.

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Ja, die Regierung muss schnell und entschlossen handeln. Die Gerechtigkeit darf sie bei allen notwendigen und notwendigerweise harten und schmerzhaften Maßnahmen aber nicht aus dem Blick verlieren. Wo keine Gerechtigkeit herrscht, da geht auch die Solidarität verloren. Und genau die braucht es jetzt besonders, wenn es die Gesellschaft nicht zerreißen soll; wenn sie die multiplen Krisen meistern soll.

Ohne Zusammenhalt geht es nicht. Die Wiedervereinigung Anfang der 90er Jahre und die Flüchtlingskrise 2015 haben gezeigt, was mit Solidarität möglich ist – und, was passiert, wenn sie bröckelt. Auch die Bankenkrise wurde nicht durch die Zahlungen der betroffenen Kunden überwunden, sondern durch gemeinsame Kraftanstrengungen.

Den Zusammenhalt in Europa hat Wladimir Putin mit seiner Gaspolitik schon empfindlich gestört. Vornehmste Aufgabe der Regierung muss es sein, ähnliches in Deutschland zu verhindern. Die Antwort auf die Krisen darf deshalb nicht sein: Jeder für sich. Was heute die Gaskunden betrifft, kann morgen die Ölkunden erwischen, wenn die Saudis ihre neue Machtposition ausnutzen wollen. Whatever it takes? Da geht noch was.

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