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Die islamfeindlichen Pegida-Bewegung feiert am Tag nach der Wahl den Erfolg der AfD auf dem Neumarkt in Dresden.

© Monika Skolimowska/dpa

Umgang mit Rechtspopulisten: Ein Beispiel aus Sachsen, von dem man lernen kann

Zu Risiken, Nebenwirkungen und Grenzen politisch heikler Kommunikation: Ein Erfahrungsbericht über den Umgang mit Rechtspopulisten.

Es war am 1. November 2013. Knapp 2000 Menschen protestierten in Schneeberg, einer schmucken Kleinstadt im Westerzgebirge, gegen eine geplante Asylunterkunft. Zum „Schneeberger Lichtellauf“ hatte ein Funktionär der NPD aufgerufen. Die zahlreich erschienenen Teilnehmer trugen Fackeln durch die abendliche Stadt. Viele riefen: „Wir sind das Volk.“ Ein NPD-Funktionär hielt eine bejubelte Ansprache: „Wir wollen und wir können die Probleme dieser Welt nicht hierher holen. Wer hierher kommt, wen wir befristet aufnehmen, der muss sich in unserem Land so verhalten, wie es in unserem Land üblich ist!“ Es gelang ihm, die angespannte Stimmung aufzuheizen. Die NPD kündigte an, ihre sogenannten Lichtelläufe von nun an wöchentlich durchzuführen.

Wenige Tage später fand eine Gegendemonstration statt. Bürgermeister Frieder Stimpel sprach zu den Bürgern. Er fand einfache und klare Worte gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Hass. Er warb um Mitgefühl und Verständnis für Flüchtlinge und Asylbewerber. Er erinnerte daran, dass viele Schneeberger am Ende des Krieges selbst als Flüchtlinge aus dem Osten nach Sachsen gekommen waren. Er sicherte zu, das Rathaus und seine Amtsstube offen zu halten für alle, die sich Sorgen um das friedliche Zusammenleben machten oder sich ängstigten vor zunehmender Kriminalität, vor fremden Krankheiten oder Lärmbelästigungen, die vom Asylbewerberheim ausgehen könnten. Er sei der Bürgermeister aller Einwohner Schneebergs, auch der ankommenden Flüchtlinge.

Professionelle Moderation hilft

Frieder Stimpel gelang es, die Einrichtung eines Polizeireviers auf dem Marktplatz von Schneeberg zu erwirken. Er bat mich, ich war damals Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen, gemeinsam mit der Stadtverwaltung Bürgerversammlungen zu organisieren und zu moderieren. Die Bürger sollten eingeladen werden, über die rechtlichen, die organisatorischen, die finanziellen, die politischen, die alltagspraktischen und die humanitären Aspekte von Flucht und Asylgewährung zu diskutieren.

Stimpel, meine Mitarbeiter, Juristen, Polizisten, Ärzte, Vertreter des Malteser-Hilfsdienstes und kommunale Angestellte stellten sich den Debatten mit der Bürgerschaft. Die erste Versammlung verlief hitzig und drohte zu eskalieren. Ortsansässige Mitglieder der NPD und ortsfremde Krakeeler versuchten, das Gespräch zu zerstören und die Atmosphäre zu vergiften. Durch professionelle Moderation konnte dies verhindert werden.

Die verängstigte Mehrheit muss gestärkt werden

14 Tage später fand die zweite Bürgerversammlung statt. Sie verlief deutlich ruhiger. Ihr folgten fünf weitere, in regelmäßigen Abständen. Alle waren gut besucht. Am Ende intensiver Beschäftigung und kontroverser Debatten hatte sich die Stimmung in der Bürgerschaft beruhigt, versachlicht und gedreht. Es war deutlich geworden, dass die von der NPD Aufgehetzten eine kleine Minderheit darstellten. Die nunmehr gut informierte, ernst genommene, angehörte und in demokratischer Manier diskutierende Mehrheit hatte gelernt, diese Störer zu identifizieren, zu isolieren und zu ächten. Die Lichtelläufe verloren an Zuspruch und wurden eingestellt.

Schneeberg liegt in Sachsen. Das Beispiel von Schneeberg beweist, dass die Sachsen anfälliger für ressentimentgeladene, fremdenfeindliche, rassistische und menschenverachtende Propaganda sind. Es beweist, dass es schwierig, aber keineswegs unmöglich ist, emotional aufgeladene Situationen aufzunehmen und zu versachlichen. Und das Beispiel Schneeberg zeigt auch, dass der Konfliktfall der Normalfall demokratischer Meinungs- und Willensbildung ist und sich ein besonders heftiger Konflikt dazu eignet, die Problemlösungsfähigkeit unserer freiheitlichen Ordnung besonders deutlich unter Beweis zu stellen.

Hoher Sockel autoritärer Denkmuster

Das Beispiel Schneeberg hätte also in ganz Sachsen Schule machen können. Bei ungeschönter Betrachtung der weiteren Entwicklung muss festgestellt werden, dass es dies offenbar nicht getan hat. Natürlich gab und gibt es neben Schneeberg andere gute Beispiele, auch in Sachsen. Aufs Ganze gesehen fällt die Bewertung allerdings negativ aus. Seit nunmehr drei Jahren demonstriert „Pegida“ Montag für Montag in Dresden. Immer wieder sind es Orte im Osten Deutschlands, die durch rechtsextremistisch motivierte Straftaten auf sich aufmerksam machen.

Der von der Sächsischen Staatsregierung in Auftrag gegebene Monitor zur Untersuchung der politischen Einstellungen – im November 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt – bestätigte einen hohen Sockel autoritärer Denkmuster in der sächsischen Bevölkerung. Nun belegen auch die Ergebnisse der Bundestagswahl unmissverständlich, dass sich ein im äußeren rechten Spektrum angesiedeltes, zum Teil nationalistisches Gedankengut festgesetzt hat. Es bleibt also die Frage, um deren Beantwortung man sich nicht drücken darf: Warum im Osten?

Ost und West unterscheiden sich graduell, nicht substanziell

Die islamfeindlichen Pegida-Bewegung feiert am Tag nach der Wahl den Erfolg der AfD auf dem Neumarkt in Dresden.
Die islamfeindlichen Pegida-Bewegung feiert am Tag nach der Wahl den Erfolg der AfD auf dem Neumarkt in Dresden.

© Monika Skolimowska/dpa

Eine unverzichtbare These dazu lautet: Die ursächlichen Probleme unterscheiden sich im Osten von denen im Westen Deutschlands nicht substanziell, sondern graduell. Jedes einzelne im Osten zu benennende Problem gibt es auch anderswo. Die Summe macht den Unterschied. Ein weiterer Hinweis zeigt in die Richtung einer noch (lange) nicht überwundenen Erfahrung, die viele Menschen im Osten Deutschlands nach 1990 machen mussten. Die Kränkung durch westdeutsche Dominanz reicht umso tiefer, als sich die Ostdeutschen stets eingestehen müssen, die Wiedervereinigung mit großer Mehrheit gewählt zu haben.

Das Sonntagswort „Wiedervereinigung“ bedeutete im Alltag den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, der den Ostdeutschen eine tief greifende Transformation ihrer Lebens- und Arbeitsverhältnisse bescherte. Hinzu kam die bis heute anhaltende Überschichtung der Gesellschaft durch Menschen, die aus Westdeutschland kamen und circa 75 Prozent der obersten Funktionsetagen in der Politik, der Wirtschaft, den Medien, der Kultur, der Verwaltung und der Wissenschaft übernahmen. Wenn man diesen Zustand im ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung noch akzeptieren konnte, so stellt seine Perpetuierung danach eine schwere Hypothek für die Aneignung und Akzeptanz der politischen und gesellschaftlichen Ordnung dar.

Spott hilft nicht gegen die Logik der Ausgrenzung

Weil die tatsächliche oder „nur“ gefühlte Überschichtung der Gesellschaft nun von einer tatsächlichen, „nur“ gefühlten oder eingebildeten Unterschichtung der Gesellschaft durch Flüchtlinge und Asylbewerber ergänzt wird, erscheint das einstmals Eigene vollständig verloren zu gehen. Wer aggressiv verkündet, „unser Land zurückholen“ zu wollen, trifft den Nerv vieler Ostdeutscher. All diese unvollständigen Erklärungsversuche entschuldigen nichts. Sie führen aber hin zu der Frage nach dem richtigen Umgang miteinander in Politik und Gesellschaft.

Dafür, dass sich die beschriebene Entwicklung in Schneeberg positiv gestaltete, waren bestimmte, hier folgende Kriterien ausschlaggebend: Die gewählten Repräsentanten der Bevölkerung mussten das gesellschaftliche Problem und den politischen Konflikt wahrnehmen, sich ihm stellen, die Prinzipien unseres demokratisch verfassten Gemeinwesens offensiv verteidigen und auf offener Bühne diskutieren.

Weil die Demokratie grundsätzlich auf Partizipation und Integration aller basiert, kann die Logik der Ausgrenzung, die einzelne Teile der Bevölkerung gegen andere betreiben, nicht mit derselben Logik der Ausgrenzung erwidert werden. Dass der Begriff „besorgter Bürger“ als herablassender Spott- und Ausgrenzungsausdruck verwendet wird, hat viele gekränkt, verhärtet und in die falsche politische Richtung getrieben. So mancher dieser Bürger hat sich in der Wahlkabine revanchiert. Und selbst die, die sich offensichtlich gesellschaftsfeindlich und ausgrenzend verhalten, bleiben Mitglieder der Gesellschaft.

Nur wer miteinander spricht, kann widersprechen

Die Gesellschaft kann sie weder aus ihrer Mitte entfernen, noch darf sie sie verloren geben. Sie müssen deutlich und konsequent zur freiheitlichen demokratischen Ordnung (zurück-)gerufen werden, zur besten Ordnung, die Deutschland jemals hatte. Es ist nicht möglich, mit jedem anderen Menschen, zu jeder Zeit, unter allen Umständen und zu jedem möglichen Thema ins Gespräch zu kommen. Unter bestimmten Umständen sind Gespräche weder möglich noch sinnvoll.

Ebenso gilt aber: Jeder kann mit (fast) jedem anderen, unter günstigen Umständen, die man gegebenenfalls professionell organisieren muss, bei ehrlichem Interesse, zu einem gemeinsam definiertem Thema und auf Augenhöhe ins Gespräch kommen. Ich kann glaubhaft nur demjenigen widersprechen, mit dem ich zuvor ins Gespräch gekommen bin. Wer von vornherein weiß, mit wem er – warum auch immer – nicht sprechen kann oder darf, irrt möglicherweise und verschenkt eine Chance, seiner Auffassung Geltung zu verschaffen.

Es geht um tragfähige Kompromisse, nicht absolute Wahrheiten

Die islamfeindlichen Pegida-Bewegung feiert am Tag nach der Wahl den Erfolg der AfD auf dem Neumarkt in Dresden.
Die islamfeindlichen Pegida-Bewegung feiert am Tag nach der Wahl den Erfolg der AfD auf dem Neumarkt in Dresden.

© Monika Skolimowska/dpa

Weil es im demokratischen Diskurs nicht um die Feststellung und Durchsetzung absolut geltender Wahrheiten geht – von den als unverhandelbar geltenden Menschenrechten abgesehen –, sondern um die Verständigung über gemeinsame Wege und tragfähige Kompromisse, gelten die Grundsätze der verbalen Kommunikation und des wechselseitigen Verstehens: Gesagt ist noch nicht gehört; gehört ist noch nicht verstanden; verstanden ist noch nicht einverstanden; einverstanden ist noch nicht überzeugt; überzeugt ist noch nicht getan. Verständigungsprozesse basieren nicht nur auf der Bereitschaft aller Beteiligten, sich auf die Positionen der jeweils anderen einzulassen. Sie brauchen vor allem Zeit und Geduld. Sie funktionieren nicht wie die elektronische Datenübermittlung auf digitaler Grundlage.

Darüber hinaus kann und muss man davon ausgehen, dass kein Gespräch ein für allemal beendet ist. Die ausgetauschten Worte, die persönlichen Eindrücke und Begegnungen wirken nach. Empathische und zum Perspektivwechsel fähige Gesprächspartner wirken stärker und länger aufeinander ein, als es vordergründig scheint. Politisch und gesellschaftlich Verantwortliche sollten sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass unsere informativ überbordende, hoch beschleunigte und technologisierte, oft anonymisierte, manchmal nur simulierte oder gar vergiftete Kommunikation der Korrektur bedarf.

Sie braucht Elementarisierung, Personalisierung und Reduktion. Natürlich gibt es niemanden, der die für alle richtige und dem friedlichen Zusammenleben zuträgliche Dosis an Kommunikation feststellen und anordnen könnte. Ich bin überzeugt, dass sich das gute und menschliche Maß am leichtesten im direkten Gespräch von Mensch zu Mensch bemessen lässt. Auch an eine weitere, im guten Sinne des Wortes menschlich-alltägliche Erfahrung muss erinnert werden. Selbst beim besten Willen aller Beteiligten können Gespräche und Verständigungsprozesse auch einmal scheitern. Kommunikation kann schiefgehen. Nicht-Kommunikation wird schiefgehen.

Man muss die Provokateure einhegen

Überzeugte Demokraten sollten trotz allem nicht naiv sein. Es gibt Störenfriede, die das Gespräch belasten. Darüber hinaus gibt es gezielte Provokationen und geschulte Provokateure, die es darauf absehen, die Verständigung zu stören und letztlich zu verhindern. Eingeübten Wortergreifungsstrategien erfolgreich zu begegnen, will und muss gelernt sein. Damit dies gelingt, muss die anfangs oft schweigende, bisweilen verängstigte, wohlmeinende, konstruktiv denkende Mehrheit interessiert, gewonnen und zusammengeführt werden.

Auf Dauer kann es nur dieser Mehrheit gelingen, die destruktiv denkende und handelnde Minderheit einzuhegen. Demokratische Parteien wollen und müssen sich in der Regel gegeneinander und in Abgrenzung voneinander profilieren. In Situationen, in denen die elementaren Prinzipien unseres Gemeinwesens angegriffen werden, müssen sie dies aber miteinander verteidigen.

"Wehret den Anfängen!" gilt weiterhin

Der aus der historisch-politischen Beschäftigung mit der Weimarer Republik und deren Scheitern abgeleitete Lehrsatz „Wehret den Anfängen!“ hat nichts von seiner Gültigkeit verloren. Leider gibt es zahlreiche Beispiele der Geschichtsvergessenheit, Beispiele dafür, dass der Widerstand gegen rechtsextremistische Denk- und Verhaltensmuster viel zu lange unterblieb, halbherzig ausfiel und sich manche Wegschauer und Weichspüler dem Verdacht aussetzten, insgeheim mit diesem Gedankengut zu sympathisieren. Die Art und Weise, wie der Propaganda der NPD in Schneeberg begegnet wurde, mag als gutes Beispiel gelten.

Die Vertreter dieser rechtsextremistisch argumentierenden Partei konnten die ungeordnet ablaufende Flüchtlings- und Asylpolitik nur kurz und vorübergehend für sich nutzen, weil sich die zuständigen Kommunal- und Landespolitiker ihnen entgegenstellten und sie dabei weder das Problembewusstsein noch die eindeutige politische Positionierung vermissen ließen. Da die politischen, rhetorischen und medialen Strategien derer, die es heute auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die offene Gesellschaft abgesehen haben, inzwischen zutage getreten sind, sollte und muss es den Demokraten gelingen, auch ihnen geschlossen entgegenzutreten und die erkennbare Gefahr abzuwenden.

Frank Richter am 17. September in einer ARD-Talkshow.
Frank Richter am 17. September in einer ARD-Talkshow.

© Wolfgang Borrs/NDR/dpa

Der Autor ist Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche Dresden. Bis Anfang dieses Jahres stand er als Direktor an der Spitze der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

Frank Richter

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