zum Hauptinhalt
Zu den Aufgaben von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gehört, Gesetze zu prüfen.

© Florian Gärtner / imago images / photothek

Umgang mit Gesetz gegen Hasskriminalität: Der Bundespräsident strapaziert die Verfassung, um die Politik zu schonen

Frank-Walter Steinmeier lässt diskret ein Gesetz reparieren, statt öffentlich die Ausfertigung zu verweigern. Das ist etwas Organtreue zu viel. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Manchmal wird er schwierig, der Job des Bundespräsidenten. Etwa, wenn ihm ein Gesetz vorliegt, das er unterschreiben soll, obwohl es mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.

Was soll er dann tun? Ein aktuelles Beispiel ist das Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität und Rechtsextremismus. Mit dem will die Regierung Menschen das Handwerk legen, die im Internet Hass verbreiten. Die großen Plattformen sollen Hasskommentare an das Bundeskriminalamt melden, das dann auf Daten ihrer Urheber bei den Netzanbietern zugreift. Pech, dass das Bundesverfassungsgericht diese Form der Bestandsdatenauskunft jüngst für verfassungswidrig erklärt hat. Nun stehen sie da, die schönen neuen Regeln, und sind überholt, bevor sie in Kraft treten könnten.

Ein Staatsoberhaupt hat hier nur zwei Möglichkeiten

Ein Staatsoberhaupt, das im Gesetzgebungsverfahren mit seiner Unterschrift den Schlussstein setzt, hat hier nur eine Möglichkeit: Es muss seine Unterschrift verweigern. Hält der Präsident das Gesetz dagegen für korrekt, hätte er ebenfalls nur eine Möglichkeit: Er muss es dann unterschreiben.

Frank-Walter Steinmeier scheint nun eine dritte Möglichkeit gefunden zu haben: Er setzt die sogenannte Ausfertigung aus und wartet auf eine zugesagte Änderungsregelung. Der Präsident erspart den mit ihm waltenden Verfassungsorganen Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat damit die Peinlichkeit, das Gesetz insgesamt zu stoppen, wie es nötig wäre. Er selbst sieht das als „verfassungsorgantreue Zusammenarbeit“.

Steinmeier gratuliert und kondoliert. Aber verkündet nicht, was er tut

Tatsächlich ist es wohl eher ein Beispiel dafür, wie ein Bundespräsident mit seiner Staatspraxis eine Vorschrift der Verfassung lockert. Die Aussetzung der Ausfertigung ist darin nicht vorgesehen, aus gutem Grund. Sie weicht die Pflicht des Staatsoberhaupts auf, korrekt erlassene Gesetze zu unterschreiben und in Kraft treten zu lassen. Steinmeiers Maßnahme könnte auch in nachfolgenden Fällen als reizvolle Alternative erscheinen, mit streitigen Vorhaben umzugehen. Einigkeit um jeden Preis; eine Überdosis Große Koalition.

Nicht dass deswegen jemand klagen würde. Vermutlich könnte es auch niemand, und Steinmeier tut damit auch niemandem weh. Aber anders als andere Präsidenten, die bei Zweifeln im Ausfertigungsverfahren die Öffentlichkeit suchten, geht Steinmeiers Organtreue so weit, dass er sein Handeln im staatlichen Binnenbereich beließ. In seinen öffentlichen Erklärungen seit Oktober wird dreimal gratuliert und einmal kondoliert. Er will kein Aufsehen und möchte damit nicht nur anderen, er möchte sich Kritik ersparen. So viel Treue verlangt niemand.

Zur Startseite