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Leere Betten: Wegen der Verschiebung planbarer Operationen haben viele Klinikärzte weniger zu tun.

© Fabian Sommer/dpa

Umfrage zu Folgen der Coronakrise: Klinikärzte bummeln derzeit Überstunden ab

Das Arbeitsaufkommen der meisten Klinikärzte ist in der Coronakrise gesunken. Doch eine Mehrheit sieht nach wie vor die Gefahr einer Systemüberforderung.

Seit dem Beginn der Coronakrise ist das Arbeitsaufkommen der meisten Ärzte in deutschen Krankenhäusern gesunken. Das ist das Ergebnis einer Befragung von Mitgliedern der Klinikärzte-Gewerkschaft Marburger Bund (MB), die heute veröffentlicht wurde. Nur 17,7 Prozent der Mediziner berichteten demnach von einer erhöhten Arbeitslast infolge der Pandemie. 57,2 Prozent dagegen gaben an, dass sie seit März weniger zu tun haben. Ein gutes Viertel der Befragten bezeichnete das Arbeitsaufkommen als unverändert. Und mehr als zwei Drittel der angestellten Ärzte sprachen sich dafür aus, in den Kliniken die Regelversorgung wieder aufzunehmen.

Das Ergebnis komme nicht überraschend, sagte Verbandschefin Susanne Johna. Seit Mitte März gebe es erheblich weniger planbare Operationen in den Krankenhäusern, auch das Notfallgeschehen sei zurückgegangen. „Gleichzeitig ist die Anzahl der Patienten, die an COVID-19 erkrankt sind, in den Kliniken niedriger geblieben als befürchtet.“ Vor allem Ärztinnen und Ärzte, die normalerweise an operativen Eingriffen beteiligt seien, hätten in den zurückliegenden Wochen weniger Arbeit als üblich gehabt. So habe ein Mediziner angegeben habe, nach zwölf Jahren im Beruf plötzlich wieder jeden Tag pünktlich nach Hause zu kommen. Normalerweise klagt der Marburger Bund über eine viel zu hohe Arbeitsbelastung von Ärzten in den Krankenhäusern. Angesichts von 65 Millionen Überstunden habe auch etwa die Hälfte der Befragten die Gelegenheit ergriffen, um Überstunden abzubauen, berichtete Johna.

Sorge um andere Patienten

In einigen Bereichen, vor allem in der Intensivmedizin, gebe es jetzt jedoch trotz des heruntergefahrenen Betriebs auch „vielerorts ein ganz anderes Bild“, relativierte die Verbandschefin. Diese „Spannbreite der Erfahrungen mit der Coronakrise“ in den vergangenen Wochen sei im Ergebnis der Umfrage abgebildet. Und die meisten Klinikmediziner machen sich allmählich auch Sorgen um andere Patienten, deren Behandlung wegen der Coronakrise aufgeschoben wurde.

So plädierten 69,5 Prozent der Ärzte dafür, in den Krankenhäusern wieder zum Regelbetrieb zurückzukehren - wobei eine Mehrheit vorsichtshalber ein behutsames Vorgehen favorisiert. 16,3 Prozent stemmen sich zum jetzigen Zeitpunkt noch dagegen, sie wollen es vorerst bei dem heruntergefahrenen Klinikbetrieb belassen. 14,2 Prozent haben dazu keine Meinung.

Weit auseinanderdriftende Einschätzungen

Weniger eindeutig fällt die Einschätzung der Mediziner zum weiteren Verlauf der Pandemie aus. Eine knappe Mehrheit – nämlich 44,1 Prozent – sieht nach wie vor die Gefahr, dass es zu einer Überforderung des Gesundheitswesens kommen könnte. 41,5 Prozent rechnen nicht mit einem solchen Szenario. Auch hier dürften Erfahrungen und eigenes Erleben aus den vergangenen Wochen eine wichtige Rolle gespielt haben, meint Johna. Ärzte, die stärker mit schwer erkrankten Corona-Patienten zu tun gehabt hätten, sähen möglicherweise eher die Gefahr einer größeren Ausbreitung und höherer Erkrankungszahlen. Unentschieden äußerten sich 14,3 Prozent.

Was Befürchtungen und politische Manöverkritik betrifft, geht offenbar ein ebensolcher Riss durch die Berufsgruppe der Krankenhausärzte wie durch die gesamte Gesellschaft. Exemplarisch dafür stehen die weit auseinanderdriftenden, mitunter geradezu gegensätzlichen Einschätzungen der Befragten. Wer erlebt habe, wie schnell sich der Gesundheitszustand von COVID-19-Patienten von einem auf den anderen Tag verschlechtere, warne auch stärker vor zu viel Leichtsinn im Umgang mit dem Coronavirus, sagte die Verbandschefin.  

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„Die Abläufe werden wohl über einen längeren Zeitraum erschwert sein durch weiterhin notwendige Isolierungsmaßnahmen, und es wird eine Herausforderung, das in den normalen Klinikalltag zu integrieren“, schreibt beispielsweise einer der Mediziner. „Kranke sollten Vorrang vor potentiellen, aktuell nur hypothetischen Patienten haben“, drängt ein anderer. „Die Lockdown-Maßnahmen in dem drastischen Ausmaß haben keinerlei medizinische Evidenz und waren in dieser generalisierten Art sicher nicht der richtige Weg“, lautet ein harscher Kommentar. „Ich denke, die Bevölkerung nimmt die Situation aufgrund der guten Zahlen in Deutschland nicht mehr ernst genug“, heißt es in der Replik. „Wichtig scheint mir unseren aktuellen Vorsprung nicht durch zu frühe Lockerungen wieder zu verspielen.“

„Die Stimmung ist gereizt“

Ansonsten ist in der Umfrage viel von schwierigen Arbeitsbedingungen die Rede. "Die Stimmung in unserer Klinik ist gereizt", notiert ein Teilnehmer. Die Situation bleibe „heikel, da bei uns das medizinische Personal nicht anders getestet wird als die Normalbevölkerung“, berichtet ein anderer. Es fehle an Schutzausrüstung, FFP-2 Masken würden wiederverwendet, FFP-3-Masken gebe es gar nicht, ärgert sich ein Mediziner. Er glaube, dass die Pandemie „eine massive Verschiebung/Verschlechterung der ärztlichen Weiterbildung, sowie der regulären Patientenversorgung“ zur Folge habe, orakelt ein weiterer.

Auf die Frage, wie sie ihre berufliche Perspektive für die nächsten Monate beurteilten, äußern sich rund 40 Prozent zuversichtlich. Die Skeptiker unter den Ärzten dagegen geben an, dass sie noch eine zweite oder dritte Infektionswelle befürchten oder dass die Pandemie das Land noch lange beschäftigen werde. Auch Angst vor Stellenabbau und Sorge um die finanzielle Situation der Krankenhäuser spielt bei den Antworten auf diese Frage eine Rolle.

Kurzarbeit in jeder zweiten Reha-Klinik

Rund zehn Prozent der Befragten gaben übrigens an, dass in ihren Häusern Kurzarbeit eingeführt worden sei. Betroffen sind davon vor allem Ärzte in Rehakliniken, dort liegt der Kurzarbeit-Anteil bei 54 Prozent. Die Arbeitszeit der Betroffenen wurde meist um bis zu 50 Prozent reduziert. Allerdings wurde nur in wenigen Fällen (4,1 Prozent) Druck auf die Mediziner ausgeübt, eine solche Vereinbarung zu unterzeichnen.

An der Online-Umfrage zwischen dem 29. April und dem 10. Mai nahmen insgesamt 8707 Ärzte teil. Ein Drittel davon ist in kommunalen Krankenhäusern beschäftigt. Jeweils rund 15 Prozent der Teilnehmer arbeiten in Uni-Kliniken, kirchlichen und privat betriebenen Krankenhäusern.

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