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Plädoyer für die Freiheit. Schamil Gimajevs Vorstellung von "Perestroika" - 2013 aufgenommen an der Berliner East Side Gallery.

© Kitty Kleist-Heinrich

Umbau autoritärer Staaten: Die gesammelte Erfahrung

Das Wissen, wie die Transformation zu modernen Demokratien gelingt, braucht ein institutionelles Archiv.

Von Caroline Fetscher

An welchen Hürden scheitern die Versuche, Staaten neu aufzubauen? Was braucht es, um Failed States oder Tyrannen-Regime in Demokratien umzugestalten? Das Wissen darüber ist enorm. Anders als oft angenommen, gibt es hierzu riesige Bestände an Erfahrungen, positiver wie negativer. Material und Wissen existiert unter anderem aus Deutschland und Japan nach 1945, aus Südkorea, Osttimor, aus Bosnien, dem Kosovo, dem Irak, aus dem Libanon, aus Albanien, aus Ruanda, aus Südafrika, aus Afghanistan.

Auch die Erfahrung aus der Transformation der postsowjetischen Gesellschaften zu Demokratien darf dieser Kategorie zugerechnet werden: Transformationswissen. Eine kostbare, immaterielle Ressource. Abertausende von Männern und Frauen haben an der Transformation von Gesellschaften zu demokratischen Rechtsstaaten mitgewirkt, von außen wie von innen, Diplomaten, Ingenieure, Ärztinnen, Finanzexperten, Juristinnen, Militärs, Soziologen, Bildungsforscher. Zahllose Engagierte stellten während der dynamischen Prozesse Wandels wichtige Weichen auf dem Weg vom Plan zur Praxis.

Die personelle Fluktuation in solchen Phasen ist meist enorm, in Ländern wie Irak und Afghanistan war sie besonders hoch. Leute mit wenig Erfahrung und Wissen kommen, Leute mit viel Erfahrung und Wissen gehen. Sie nehmen ihren Wissensschatz mit, etwa über soziale Ressourcen, Techniken der Improvisation, den Umgang mit kulturellen Irritationen.

Gefragt ist ein Archiv mit Training für die Praxis

Manche teilen ihren Nachfolgern mehr davon mit, andere weniger. Mitunter werden Ehemalige interviewt, wenn eine Krise eskaliert. Was fehlt? Ein institutionelles Gedächtnis. Wissen und Erfahrung müssten an einer Internationale Akademie für Studien zur Transformation konstant aufbereitet, aktualisiert, koordiniert und weitergereicht werden. Doch diesen Ort gibt es nicht. De facto fehlt das lebendige, verantwortungsvoll gehegte Archiv mit Training für die Praxis.

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Den Vorschlag für eine solche Akademie des konstanten, konkreten und supranationalen Austausches unter Demokratien machte die Verfasserin dieser Zeilen 2003 mit einer Konzeptskizze. Das Papier ging auch an die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die Bundestag und Regierung berät, und das Interesse für die Idee war groß. Es kam zu einer Einladung der SWP an die Spitzen involvierter Institutionen, Behörden und Organisationen, um das Konzept zu diskutieren, das der Einladung ohne einen Verfassernamen beigefügt war. Die Mehrzahl der Geladenen war damals mit Millionenbudgets in Afghanistan aktiv. Bis auf die dazu gebetene Urheberin des Konzepts waren Männer im Konferenzraum.

Alle begrüßten das Konzept, einige versicherten, für eine solche Institution arbeiten zu wollen. Doch kaum wurden im Gespräch Ideen konkret, schreckten alle davor zurück, sich in die Karten schauen zu lassen, in ihre Personalpläne, Rekrutierungen, Budgets, Honorare, Planungen. Hier haperte es schon auf der nationalen Ebene an Bereitschaft zur Kooperation. Wie würde das erst auf der internationalen Ebene sein. Solange nationale Egoismen der Demokratien das Hauptgewicht behalten, bleiben solche Institutionen ein Desiderat.

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