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Wie geht es für sie weiter? Mehr als 230 000 Geflüchtete aus der Ukraine sind inzwischen in Deutschland registriert.

© picture alliance / ASSOCIATED PR

Ukrainische Flüchtlinge in Deutschland: Integration leichter gemacht

Bei der Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine helfen die Strukturen seit 2015. Fehler von damals, so die Fachleute, sollte man vermeiden.

Mehr als 230 000 Geflüchtete aus der Ukraine sind inzwischen in Deutschland registriert, tatsächlich sind es vermutlich doppelt so viele. Wer nämlich privat unterkommt – und das sind viele – meldet sich erst einmal nicht bei den Behörden, die damit augenblicklich sowieso überfordert sind.

Was wird hier aus ihnen? Antworten auf diese Fragen suchten am Donnerstag Expertinnen und Experten auf einem Fachgespräch des „Mediendiensts Integration“. Vieles, was noch vor sechs bis acht Jahren die Versorgung und Integration der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge erschwerte, dürfte jetzt leichter werden. Die Leiterin der Integrationsabteilung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) verweist auf das, was damals entstand. Anders als 2015, sagt Uta Saumweber-Meyer, sei etwa ihre Behörde digital auf einem ganz andern Stand.

Das mache es nicht zuletzt möglich, die vielen Ehrenamtlichen unterstützen, die für eine große Zahl Geflüchteter oft der erste Kontakt mit Deutschland seien. Seinerzeit habe auch die Arbeitsmarktintegration erst einmal mit der Bundesagentur für Arbeit koordiniert werden müssen. „Jetzt haben wir einen regelmäßigen Jour fixe.“ Und obwohl noch niemand wisse, wie lange die Geflüchteten blieben, stehen ihnen jetzt alle Hilfsangebote offen, vom Sprachkurs bis zur Arbeitserlaubnis.

Der Königsteiner Schlüssel, der Türen verschließt

Dadurch, dass die Massenzustromrichtlinie der EU in diesem Krieg erstmals wirksam geworden ist, haben die Geflüchteten sofort einen sicheren Aufenthaltsstatus, wenn auch zeitlich begrenzt, und dürfen arbeiten. Der Migrationsökonom Herbert Brücker, Professor an der Berliner Humboldt-Universität und Abteilungsleiter im Forschungsinstitut (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit, macht darauf aufmerksam, dass das auch im Falle Syriens geholfen hätte: Es hätte Aufnahmebereitschaft und Kosten entkoppelt – Aufnahmestaaten können aus der Gemeinschaftskasse entlastet werden – die Geflüchteten hätten sich schon damals die Orte selbst suchen können, wo sie die meisten Chancen sahen, statt nach dem „Königsteiner Schlüssel“ in der Fläche verteilt zu werden.

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Eine Untersuchung von Brückers Abteilung bekam heraus, dass sich das bis heute messbar negativ auf die Arbeitsmöglichkeiten der syrischen Geflüchteten auswirkt. Brückers Team hat errechnet, dass ihre Beschäftigungsquote gerade in den wirtschaftsstarken Ländern Bayern und Baden-Württemberg um sechs Prozentpunkte höher gewesen wäre, hätten die keine Wohnsitzauflagen gemacht.

Und auch jetzt könnte der Königsteiner Schlüssel, der Flüchtlinge nach Wirtschaftskraft und Bevölkerungsstärke auf die Bundesländer verteilt, ihnen wieder einige Türen verschließen, fürchtet der Forscher. Inzwischen nämlich wird er wieder angewendet, damit die Metropolen nicht überlastet werden – unter anderem Berlin und Hamburg rufen um Hilfe. Brückers Vorschlag: Königstein ergänzen, etwa um das Kriterium Betreuungsinfrastruktur. Kitas und Freizeitangebot seien gerade für die große Zahl von Frauen wichtig, die jetzt kämen, weil sie anders nicht arbeiten könnten.

Auch hochbetagte Holocaust-Überlebende unter den Flüchtlingen

Dass es auch davon vor allem in den großen Städten mehr gibt, dafür aber der Wohnraum knapper ist - und die Großen damit ein Problem haben werden, weiß auch Forscher Brücker: „Das wird den Kommunen nicht gefallen.“ Er rät aber, die Mehrkosten fürs Wohnen hinzunehmen im Blick auf den langfristigen Beschäftigungs- und Integrationserfolg der Geflüchteten – der ja auch wieder Entlastung öffentlicher Kassen bedeutet.

Eine weitere Großbaustelle: Die Schulen. Mit den Frauen kommen ältere, teils gebrechliche Menschen – und viele Junge. Kinder und Jugendliche machen etwa die Hälfte der Geflüchteten aus und sollten eigentlich in Kita oder Schule gehen. Für sie wollen nach einer Umfrage des Mediendiensts immerhin elf der 16 Länder so genannten Willkommensklassen einrichten, doch Schulen und Betreuungseinrichtungen kämpfen bundesweit mit einem „eklatanten“ Mangel an Personal, wie die Soziologin Juliane Karakayali von der Evangelischen Hochschule in Berlin erinnert.

Es sei unklar, sagt Karakayali, wer die Willkommensklassen unterrichten soll, wie auch, wie sie aussehen. Mancherorts bedeutet das einfach zeitweise getrennten Deutsch-Unterricht für die Neuen, anderswo Trennung auf Dauer von den deutschen Schüler:innen. Ein Irrweg, sagt die Soziologie-Professorin, nicht nur weil sowieso Personal fehlt: „Separierung bedeutet oft Stigmatisierung, so gibt es auch weniger Gelegenheit, mit deutschen Kindern Deutsch zu sprechen.“ Getrennte Klassen würden oft zur Dauereinrichtung, warnt sie: „Im Fall der syrischen Kinder führte das zu oft qualitativ minderwertigem Unterricht, diesen Fehler sollten wir nicht wiederholen.“

Der Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Aron Schuster, weist auf ein weiteres Problem hin, das ihn und seine Mitstreiter:innen gerade stark beschäftigt: das der vielen alten Menschen, die sich nach Deutschland retten konnten – oder gerettet werden. Die jüdische Community, sagt Schuster, muss sogar hochbetagte, teils bettlägrige Holocaust-Überlebende aus dem Krieg holen, etliche aus Moldawien, dem ärmsten Land Europas, das durch die Flucht aus der Ukraine stark belastetet ist. Für den einzigen Korridor von dort nach Deutschland brauche es 36 bis 48 Stunden.

Altenbetreuung am Rande ihrer Möglichkeiten

Wer es geschafft hat, stellt die Regeleinrichtungen in Deutschland, so Schuster, vor „extreme Herausforderungen“. Alten- und Behindertenheime seien sehr hilfsbereit, aber selbst durch Personalmangel am Rande ihrer Möglichkeiten. „Und die hohen Standards, Betreuungsschlüssel und Auflagen, machen es vielen sehr schwer, die letzten Gästezimmer verfügbar zu machen.“

Schuster appelliert an die Politik, „vorübergehend, ich sage bewusst vorübergehend, von diesen Standards abzusehen“. Ein Problem für die Einrichtungen sei überdies: Geimpft wurde in der Ukraine viel weniger als hierzulande.

Kein Problem ist dagegen die Sprache in der jüdischen Community: „45 Prozent haben ukrainische Wurzeln“. Man spricht Ukrainisch. Gerade deswegen, so Schuster, geht den deutschen Jüdinnen und Juden der Krieg auch besonders nahe.

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