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Ein undiplomatischer Diplomat: Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Berlin, verteilt gern Noten an seine Gastregierung und provoziert regelmäßig Debatten.

© Nassim Rad/Tagesspiegel

Update

Ukraines Botschafter löst Eklat aus: Israel beschuldigt Melnyk der Verharmlosung des Holocaust

Er ist das „Enfant terrible“ des diplomatischen Corps. Nun provoziert die Geschichtsklitterung Melnyks erst Polen und Deutschland und jetzt auch Israel.

Von Hans Monath

Der streitbare ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, hat mit einer Verteidigung des ukrainischen Nationalistenführers Stepan Bandera eine Krise zwischen seinem Land und dem Nachbarn Polen ausgelöst. Auch Israel reagierte kurz danach empört und warf Melynk eine Verharmlosung des Holocaust vor. 

„Die Aussagen des ukrainischen Botschafters sind eine Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocausts und eine Beleidigung derer, die von Bandera und seinen Leuten ermordet wurden“, erklärte die israelische Botschaft in Berlin am Freitag auf Twitter. Melnyks Darlegungen „untergraben auch den mutigen Kampf des ukrainischen Volkes, nach demokratischen Werten und in Frieden zu leben“.

Das ukrainische Außenministerium distanzierte sich von Melnyks Aussagen. Auch in Deutschland provozierte die Behauptung des Diplomaten Widerspruch, wonach es keine Belege für die Beteiligung von Bandera an der Ermordung von Juden gebe. Die historische Wahrheit nämlich sieht anders aus. Melnyk ist als Verehrer Banderas bekannt, hatte unter anderem dessen Grab in München besucht.

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Die Meinung, die Melnyik in dem Interview mit einem deutschen Journalisten geäußert habe, „ist seine eigene und spiegelt nicht die Position des Außenministeriums der Ukraine wider“, teilte das Ministerium in Kiew mit. Der Botschafter bezeichnete Bandera in dem Interview mit Tilo Jung als ukrainischen „Freiheitskämpfer“ und bestritt dessen Verantwortung für Massaker an Juden und Polen im Zweiten Weltkrieg.

„Er hat keinen Befehl gegeben, Juden zu vernichten“, sagte Melnyk. Es gebe keine Belege dafür, dass „Bandera-Truppen hunderttausende Juden ermordet haben“, fügte er hinzu. „Das ist dieses Narrativ, das die Russen bis heute durchsetzen und das in Deutschland und auch in Polen und in Israel auch Unterstützung findet.“ Er wehre sich dagegen, Bandera „alle Verbrechen der Welt“ in die Schuhe zu schieben.

Viele Ukrainer verehren Stepan Bandera als Vorkämpfer ihres Nationalstaats. Der KGB ermordete ihn 1959.
Viele Ukrainer verehren Stepan Bandera als Vorkämpfer ihres Nationalstaats. Der KGB ermordete ihn 1959.

© picture alliance / dpa

Bandera ist eine der umstrittensten Figuren der ukrainischen Geschichte, für viele in der Ukraine ist er bis heute ein Nationalheld. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er als Anführer ukrainischer Nationalisten gegen die sowjetische Herrschaft, Historiker werfen ihm jedoch seine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten vor.

„In der gesamten Westukraine kam es zu grausamen anti-jüdischen Pogromen, bei denen ukrainische Nationalisten und Milizen eine Schlüsselrolle spielten“, urteilte etwa die Osteuropahistorikerin Franziska Davies von der Universität München auf Twitter über die Zeit nach dem Überfall von Deutschland auf die Sowjetunion im Juni 1941.

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Melnyk nahm Bandera auch gegen diesen Vorwurf in Schutz. „Was heißt kollaboriert? Kollaborateure gab es in ganz Europa – in Frankreich, in Belgien, also in jedem Staat“, sagte er. Bandera saß später mehrere Jahre im Konzentrationslager Sachsenhausen, nachdem er sich gegen die Nazis gewendet und einen unabhängigen ukrainischen Staat ausgerufen hatte.

Bandera wurde 1959 in München von Agenten des sowjetischen Geheimdienstes KGB aufgespürt und mit einer Blausäure-Pistole ermordet. Bemerkenswert an dem Mord ist der Umstand, dass der Einsatz von Gift durch den russischen Geheimdienst wie etwa im Fall Alexej Nawalnys in einer langen Tradition steht, die auf sowjetische Vorläuferorganisationen zurückgeht.

Polens Vizeaußenminister Marcin Przydacz nannte Melnyks Äußerungen am Freitag „vollkommen inakzeptabel“. „Wir wissen genau, wie die polnisch-ukrainischen Beziehungen waren und was in den Jahren 1943 und später in Wolhynien und Ostgalizien geschah“, fügte er mit Blick auf die von ukrainischen Ultranationalisten verübten Massaker hinzu. Warschau sei aber „an der Position der ukrainischen Regierung interessiert, nicht an der von Einzelpersonen“.

In der westukrainischen Stadt Lviv steht eine Statue des ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera. Unter dem Namen Lemberg war das heutige Lviv die östlichste Großstadt des Habsburgerreiches.
In der westukrainischen Stadt Lviv steht eine Statue des ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera. Unter dem Namen Lemberg war das heutige Lviv die östlichste Großstadt des Habsburgerreiches.

© Gleb Garanich/REUTERS

Scharfe Kritik aus Israel

Das ukrainische Außenministerium würdigte in seiner Stellungnahme zum Melnyk-Interview ausdrücklich die Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen und dankte dem Nachbarland für seine „beispiellose Unterstützung im Kampf gegen die russische Aggression“. Beide Länder seien sich einig, dass es notwendig sei, „angesichts gemeinsamer Herausforderungen die Einheit zu wahren“.

Auch in der ukrainischen Gesellschaft gibt es Versuche, die eigene Geschichte kritisch aufzuarbeiten, die Melnyk aber offenbar unbekannt sind. So schrieb der ukrainische Historiker Wolodymyr Malsiychuk schon vor Jahren in einem Artikel für die Heinrich-Böll-Stiftung über die Ende 1942 von von Banderas OUN- Flügel gegründete Ukrainische Aufständische Armee (UPA): „Hervorzuheben ist die Beteiligung der UPA am Holocaust und an Massakern an der polnischen Zivilbevölkerung in Wolhynien, bislang eine von den ukrainischen Nationalisten nur ungern und ambivalent eingestandene Tatsache.“ Bandera, so der Historiker weiter, sei schon zu Lebzeiten zu einem Symbol des Kampfes insbesondere gegen die Sowjetmacht geworden.

Vor diesem Hintergrund fordert Volker Beck, Geschäftsführer des Tikvah-Instituts zur Bekämpfung von Antisemitismus: „Die taktische Kumpanei von Bandera mit NS-Deutschland und die Rolle der OUN bei der Ermordung von Juden dürfen nicht verleugnet werden.“ Es sei zwar im Krieg als Angegriffener besonders schwierig, kritisch auf die eigene Geschichte zu schauen.

Trotzdem gelte: „Die Ukraine wird sich ihrer Vergangenheit stellen müssen.“ Die Aussagen zur Ukraine änderten „nichts daran, dass es hauptsächlich und zuerst bei der Shoah immer um die deutsche Verantwortung gehen muss“, sagte der langjährige Grünen-Politiker dem Tagesspiegel

Auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA besuchte der ukrainische Botschafter den Stand der Firma Diehl und informiert sich über das Luftverteidigungssystem IRIS-T SLS (im Hintergrund). 
Auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA besuchte der ukrainische Botschafter den Stand der Firma Diehl und informiert sich über das Luftverteidigungssystem IRIS-T SLS (im Hintergrund). 

© Wolfgang Kumm/dpa

Melnyk zeigt sich allerdings uneinsichtig. Auf Vorhaltungen des jüdischen Pianisten Igor Levit („Schämen Sie sich!“) auf Twitter reagierte der Diplomat patzig. „Die Ukrainer brauchen keine postkolonialistischen Geschichte-Tipps aus Deutschland, das für 10 Millionen Opfer der Nazi-Terrorherrschaft verantwortlich ist“, entgegnete er im gleichen Medium. Statt die NS-Verbrechen gegen Zivilisten endlich aufzuarbeiten, habe man „lieber Bandera als Zielscheibe gewählt“.

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Verwunderung rief bei Twitter-Nutzern der Umstand hervor, dass Christiane Hoffmann, Vizesprecherin der Bundesregierung, das Interview mit Melnyk dort als „Sehenswert!“ empfahl. (mit Agenturen)

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