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Arkadi Babtschenko wird vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko (li.) empfangen. Ebenfalls anwesend:  Generalstaatsanwalt Juri Luzenko und Geheimdienstchef Wassyl Hryzak (v.r.).

© Mykola Lazarenko/Ukrainian Presidential Press Service /REUTERS

Ukraine-Experte Andreas Umland: "Die Ukraine hat Initiative und Phantasie gezeigt"

Die Reaktionen auf den inszenierten Mord an Arkadi Babtschenko in der Ukraine sind vorwiegend positiv, sagt Politologe Andreas Umland. Sie gelten als legitime Gegenmaßnahme im hybriden Krieg mit Russland. Ein Interview.

Von Oliver Bilger

Der inszenierte Mord des russischen Journalisten Arkadi Babtschenko in Kiew verblüfft die Welt. Nachdem er als Mordopfer betrauert wurde, tauchte er plötzlich bei einer Pressekonferenz des ukrainischen Geheimdiensts auf. Der hatte den Anschlag inszeniert, um nach eigener Darstellung Anschlagspläne des russischen Geheimdienstes zu enttarnen. Ein Interview mit dem Ukraine-Experten Andreas Umland.

Der ukrainische Geheimdienst SBU und der russische Journalist haben mit dem fingierten Mord viele Menschen an der Nase herumgeführt. Wie wird die Aktion in der Ukraine bewertet?

Die Reaktionen in der Ukraine sind vorwiegend positiv. Die Aktion wird als Erfolg des ukrainischen Geheimdienstes gefeiert. Es gibt erheblichen Stolz der Bürger, dass die Ukraine hier Initiative und Phantasie gezeigt hat. Die Regierung, die bisher nur auf Provokationen aus Russland reagierte, hat in diesem Fall einmal agiert. Dies wird als legitime Gegenmaßnahme im hybriden Krieg betrachtet, die niemand - insbesondere Russland nicht -  vorhersehen konnte.

Ukraine-Experte Andreas Umland.
Ukraine-Experte Andreas Umland.

© Privat

Schadet die Inszenierung nicht der Glaubwürdigkeit der Ukraine?

Der Schaden für die Öffentlichkeit wird in der Ukraine geringer eingeschätzt als im Westen, wo man den gesamten Krieg in der Ukraine weit weniger wahrnimmt. Westeuropäern ist meist nur ein Bruchteil der hybriden Kriegsführung, also die offenen und verdeckten antiukrainischen militärischen und nicht-militärischen Maßnahmen Moskaus bekannt. Ukrainer sind dagegen permanent mit dem Krieg und seinen Folgen konfrontiert: mit der Propaganda bis zu allwöchentlichen Toten und Verletzten in der Ostukraine. Deshalb wird das unorthodoxe Vorgehen des Geheimdienstes zur Verhinderung eines Mordkomplotts als erfolgreiche Aktion gewertet. Das größere Ziel rechtfertigt hier die vergleichsweise milden Mittel.

Momentan gibt es viele offene Fragen: Welche Beweise hat die Ukraine? Wieso hat der Geheimdienst eine solche ungewöhnliche Aktion gewählt? Wer war in die Aktionen eingeweiht? Glauben Sie, dass der Geheimdienst weitere Antworten liefert?

Das ist bisher schwer einzuschätzen. Es wird nun offenbar einen Gerichtsprozess gegen den gefassten Drahtzieher des geplanten Mordes geben. Ist der öffentlich, dürften weitere Details zum Vorschein kommen. Ein interessantes Detail hat übrigens der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin erwähnt: Nach den ersten Meldungen über den Mord gab erstaunlich rasche Stellungnahmen aus Moskau. Die scheinbare Andeutung des Ministers: Moskau hatte Babtschenkos Tod erwartet.

Ukrainische Journalisten wollten auf dem Kiewer Unabhängigkeits-Platz um Babtschenko trauern. Stattdessen feierten sie den lebendigen Kollegen. seine Auferstehung.
Ukrainische Journalisten wollten auf dem Kiewer Unabhängigkeits-Platz um Babtschenko trauern. Stattdessen feierten sie den lebendigen Kollegen. seine Auferstehung.

© Sergei SUPINSKY/AFP

Angeblich existiert eine Liste mit Russen in der Ukraine, die der Kreml ausschalten will.

Wenn das stimmt, wäre dies ein weiteres Argument, welche die Aktion rechtfertigt: Denn in diesem Fall wäre nicht nur ein geplanter Mord an Babtschenko verhindert worden, sondern mögliche weitere Attentate. Es ist im russisch-ukrainischen Krieg nicht unplausibel, dass Killer für mehrere Morde angeworben werden. Das Töten passiert ja ohnehin allmonatlich in der Ostukraine.

Kann die Ukraine die Sicherheit für die Russen in der Ukraine gewährleisten?

Prominente Russen, die als politische Emigranten in der Ukraine leben, zeigten sich gestern erleichtert darüber, dass der ukrainische Geheimdienst zu solch ungewöhnlichen Aktionen fähig ist. Sie glauben offenbar, dass durch derart unerwartete Gegenmaßnahmen die Bedrohung für ihr eigenes Leben in der Ukraine sinkt. Es heißt, der angeheuerte Killer soll den Geheimdienst informiert haben. Er wurde damit offenbar zum Doppelagenten. Wer künftig wieder einen Anschlag in der Ukraine plant, kann nun nicht mehr sicher sein, dass dies auch gelingt.

Was bedeutet der Vorfall für das Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland?

Da ist sowie nicht mehr viel Schaden anzurichten. Die Beziehungen sind extrem angespannt. Aber erstmals hat die Ukraine im hybriden Krieg auf ihrer Seite ein Element der Unberechenbarkeit geschaffen. Das wird hier positiv gesehen. In der Ukraine ertrinken die Menschen täglich in einem Strom von manipulierten Nachrichten. Nun hat Kiew den Speer mit Erfolg umgedreht.

Arkadi Babtschenko auf der Pressekonferenz des ukrainischen Geheimdiensts.
Arkadi Babtschenko auf der Pressekonferenz des ukrainischen Geheimdiensts.

© Valentyn Ogirenko/REUTERS

Hat die Ukraine Russland mit dem Vorgehen nicht einen Bärendienst erwiesen? Moskau weist Anschuldigungen gerne als anti-russische Verschwörung ab. Der Fall Babtschenko liefert nun neue Argumente.

Das ist schwer einzuschätzen. Es gibt ja ständig Verfälschungen und Fake News aus Russland. Der Unterschied ist: Die Ukraine hat diesmal selbst kurzzeitige Verwirrung produziert und dies kurz darauf offengelegt. Ich glaube deshalb nicht, dass dies ein großer Gewinn für künftige Strategien des Kremls in anderen Fällen sein wird. 

Hat die Inszenierung und die Kooperation mit dem Geheimdienst Folgen für Babtschenko als Journalist?

Harsche Worte kamen vor allem von ausländischen Kollegen, die sagen, Babtschenko ist als Journalist unglaubwürdig und somit beruflich erledigt. In der Ukraine ist er für viele zum Star geworden. Die Menschen hier sehen die Frage nach journalistischer Ethik viel weniger kritisch. Babtschenko ist einer der entschiedensten russischen Kritiker des Kremls, der besonders radikale Ansichten vertritt, zum Beispiel, dass auch Russland einen Aufstand wie den Euromaidan 2013-2014 in der Ukraine brauche. Das gefällt vielen Ukrainern. Das gestrige Theater passt zu Babtschenkos früher schon militanter Rhetorik und der Stimmung im Land: Im Kampf gegen den Kreml sind alle Mittel recht.

Andreas Umland ist seit 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Euro-Atlantische Kooperation in Kiew und Herausgeber der Buchreihe Soviet and Post-Soviet Politics and Society beim ibidem-Verlag Stuttgart. Er hat Russisch, Geschichte und Politikwissenschaft studiert. Forschungsaufenthalte führten ihn nach Stanford, Cambridge und Harvard, er lehrte in Jekaterinburg, Oxford und Eichstätt. Umland lebt seit 2002 in der ukrainischen Hauptstadt.

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