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Missbraucht. Der achtjährige Moses im Jahr 2004. Er ist eines von zehntausenden Kindern, die von Joseph Kony (unten im Jahr 2006) zu Kindersoldaten gemacht wurden.

© picture-alliance/ dpa

Uganda: Steckbrief im Internet

Ein Filmproduzent macht per Youtube Jagd auf Afrikas brutalsten Rebellenchef Joseph Kony – das ist umstritten.

Als Erste kamen die Leibwächter aus dem hohen Gras, ausnahmslos Teenager in übergroßen Stiefeln. Schweigend bildeten sie einen Kreis um die Lichtung im Busch und entsicherten ihre Waffen. Dann kam er selbst: Hager und eingefallen, aber mit einem frisch gestärkten Hemd trat der Führer der „Widerstandsarmee des Herrn“ (LRA) aus dem Busch – und schaute verwirrt auf die Menschentraube, die ihn neugierig erwartete. Die Nervosität hatte gute Gründe: Nach über 20 Jahren im Busch gab Joseph Kony damals, im Juli 2006, seine erste und bislang einzige Pressekonferenz.

So plötzlich wie er damals aufgetaucht war, verschwand der geheimnisumwitterte Mann dann aber auch wieder von der Bildfläche. Die Friedensgespräche mit der Regierung von Uganda versandeten – und Kony fuhr mit dem Handwerk fort, das er am besten versteht: dem Töten und Verstümmeln unschuldiger Zivilisten. Die wahren Hintergründe seines Treibens sind unklar, auch wenn er vorgibt, für einen Gottesstaat im Norden Ugandas zu kämpfen, der auf den Zehn Geboten der Bibel fußt. Tatsächlich ist die LRA wenig mehr als eine Terrorbande, die sich darauf verlegt hat, Zehntausende von Kindern zu entführen und diese später als Kämpfer oder Konkubinen zu missbrauchen.

Joseph Kony.
Joseph Kony.

© REUTERS

Seit Jahren gehört der Krieg im Norden des ostafrikanischen Landes zu den vergessenen Konflikten in Afrika. Ausgerechnet ein 30-minütiges Video hat die Gräueltaten Konys nun jedoch in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit getragen. Der Produzent des Films, Jason Russell, verfolgt Kony seit zehn Jahren. Damals lernte der Filmemacher eines jener Kinder kennen, die Konys Soldaten einst in den Busch verschleppt hatten. Seitdem sammelt Russells Hilfsorganisation „Invisible Children“ Spenden und betreibt Öffentlichkeitsarbeit, um die Menschen weltweit auf die Notlage in der Region hinzuweisen. Mit dem jüngsten Film ist dem Produzenten dies über alle Erwartungen gelungen: das Video hat weltweit einen wahren Hype ausgelöst. In nur drei Tagen wurde es auf Youtube mehr als 30 Millionen Mal angeklickt. Inzwischen wächst der Druck auf die Politik, Kony sofort das Handwerk zu legen. Dabei führt der Rebellenführer seinen sinnlosen Krieg bereits seit 25 Jahren. Auch war er der Erste, den der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) 2005 wegen seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagte. Doch nahm kaum jemand davon Notiz.

Ausgangspunkt der mörderischen Kampagne Konys war der Norden Ugandas, wo sich der Rebellenchef zu einer Art Messias stilisierte und behauptete, mit dem Heiligen Geist zu kommunizieren. Zunächst erhielt er deshalb auch regen Zulauf, zumal der 1986 in Uganda an die Macht gelangte Präsident Yoweri Museveni den Norden des Landes und auch Konys Volksgruppe der Acholi wenig umwarb. Obwohl der Rebellenführer vorgab, im Namen Gottes zu kämpfen, war seine Rebellion nie ein klassischer Aufstand, sondern ein bizarrer Kult, dessen Ziel die permanente Ausübung von Gewalt war. Als sich deshalb immer weniger Menschen der LRA anschlossen, begann Kony mit der Entführung und Zwangsrekrutierung von Kindern.

Wie viele Kinder dieses Schicksal erlitten, ist unbekannt. Es dürften aber mehrere Zehntausend gewesen sein. Mädchen wurden als Sexsklavinnen missbraucht. Kony selbst soll über einen Harem von 80 Frauen verfügen, mit denen er die Herrenrasse der „New Acholi“ begründen möchte. Insgesamt sind in den vergangenen 25 Jahren fast zwei Millionen Menschen in Ost- und Zentralafrika vor Kony geflüchtet.

Lange Zeit operierte Konys LRA vor allem aus dem an Uganda angrenzenden Süden des Sudan, wo sie wenig mehr als eine Söldnertruppe für den arabischen Nordsudan waren. Während Ugandas Präsident Museveni die südsudanesischen Rebellen der SPLA unterstützte, wurde Kony von Sudans Zentralregierung in Khartum finanziell und materiell gefördert. Als der Norden und der Süden des Sudan 2005 einen Friedensvertrag schlossen und die LRA dadurch ihre Rückzugsgebiete verlor, versuchte Kony, mit der ugandischen Regierung ins Gespräch zu kommen. Die Verhandlungen scheiterten jedoch 2008, weil Uganda Kony nicht garantieren konnte, dass der Haftbefehl gegen ihn vor dem ICC aufgehoben wird.

Seitdem befindet sich Kony mit einem harten Kern von Soldaten in Zentralafrika auf der Flucht. Niemand weiß mit Sicherheit, wo er sich zurzeit aufhält. Beobachter vermuten jedoch, dass der vermutlich 49-Jährige sich irgendwo im unwegsamen Busch der Zentralafrikanischen Republik versteckt hält. Erst vor sechs Monaten entsandte US-Präsident Barack Obama 100 US-Militärberater nach Uganda, die der dortigen Armee beim Aufspüren Konys helfen sollen. „In den vergangenen Monaten ist eine ganze Anzahl seiner Soldaten übergelaufen oder entkommen“, sagte kürzlich der US-Unterstaatssekretär für Afrika, Karl Wycoff. Auch die Zahl der Entführungen und Angriffe auf Zivilisten habe spürbar abgenommen. „Entscheidend ist nun, dass die Militärs eng zusammenarbeiten, um den Druck auf Kony aufrechtzuerhalten“, sagt Wycoff.

Der Film könnte dabei helfen: Das erklärte Ziel der Aktion „Kony 2012“ besteht darin, Kony bis zum Jahresende zu fassen – und vor ein Gericht zu stellen. Umso mehr verwundert die herbe Kritik an dem Video. Die Organisation von Jason Russell habe zu viel Geld für die Filmproduktion verwendet und zu wenig für Hilfsprojekte. Afrikanische Kritiker geißeln hingegen die „Weltenretter-Attitüde“ des weißen Videoproduzenten – und wollen in seinem Vorgehen „neokoloniale Motive“ erkennen.

Dabei könnte gerade die von dem Film geschaffene Aufmerksamkeit eine Dynamik entfachen, die Konys blutigem Treiben endlich ein Ende setzt. Es scheint jedenfalls keine schlechte Idee zu sein, alle Hilfsanstrengungen auf die Verfolgung Konys zu richten, zumal seine Armee ohne ihn vermutlich sofort zerfallen würde. Schließlich endete 2002 auch der Bürgerkrieg in Angola mit dem Tod des nicht minder brutalen Rebellenchefs Jonas Savimbi.

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