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Hat die Arztfunktionäre in Bayern entmachtet: Ministerpräsident Markus Söder.

© Peter Kneffel/AFP

„Übergriff“, „Panikreaktion“, „Brechstange“: Warum Ärztefunktionäre wütend auf Söder sind

Markus Söder hat der Kassenärztlichen Vereinigung in Bayern die Verantwortung für die Patientenversorgung entzogen. Das sorgt für heftigen Streit.

Mit einem „Notfallplan Corona-Pandemie“ hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bayerns überraschend die Zuständigkeit für die ärztliche Versorgung im Land entzogen – und die Mediziner-Funktionäre heftig erbost. Einen derartigen Eingriff in die Selbstverwaltung habe es seit dem Krieg nicht gegeben, hieß es in der Münchner KV. 

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, sprach von einer inhaltlich unsinnigen „Panikreaktion“. Und auch der Bundesvorsitzende der niedergelassenen Ärzte im Virchowbund (NAV), Dirk Heinrich, gab sich hellauf empört. „Anstatt die eigenen, staatlichen Verpflichtungen zu erfüllen, wird der Freistaat übergriffig und versucht durch eine Politik mit der Brechstange, Handlungsfähigkeit zu beweisen“, schimpfte er.

Söders Notfallplan, der mit der Verkündung am vergangenen Freitag auch sofort in Kraft getreten ist, ordnet pro Landkreis beziehungsweise kreisfreie Stadt die Einsetzung eines sogenannten „Versorgungsarztes“ an„Zur Aufrechterhaltung der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie ist in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt bei der Führungsgruppe Katastrophenschutz (FüGK) ein Versorgungsarzt einzusetzen,“ heißt es in dem Erlass des Innen- und Gesundheitsministeriums. 

Diese medizinischen Koordinatoren verfügen auf Wunsch der Politik hin über umfassende Befugnisse, sie sind damit quasi der KV übergeordnet. Auf ihre Anforderung hin müssen sich die Haus- und Fachärzte der Region beispielsweise nicht nur selber zur Verfügung halten, sie haben auch geeignetes Personal an Corona-Schwerpunktpraxen und örtliche Testzentren abzutreten.

Notfalls auch per Anordnung

Möglich ist dieser Eingriff in die Selbstverwaltung durch den Katastrophenfall, den Söder bereits am 16. März ausgerufen hat. In Bayerns KV sprach man gleichwohl von einem „Überraschungscoup“. Und einem gewagten Blindflug: Momentan wisse keiner, wie die Kooperation vor Ort laufen solle. Man hoffe, dass die Politik nun wenigstens schlau genug sei, hierfür „das Knowhow derer zu nutzen, die sich seit Jahr und Tag mit Patientenversorgung beschäftigen“.

Infrage kämen für den Job des Versorgungsarztes nur Mediziner „mit langjähriger beruflicher, insbesondere vertragsärztlicher Erfahrung“ und abgeschlossener Facharztausbildung, heißt es in der Verordnung. Ihre Aufgabe sei es, für die Dauer des Katastrophenfalls „eine ausreichende Versorgung im jeweiligen Zuständigkeitsbereich mit ärztlichen Leistungen und entsprechender Schutzausrüstung zu planen und zu koordinieren“.

Soweit möglich sollten die Versorgungsärzte ihre Aufgaben im Konsens mit den niedergelassenen Ärzten vor Ort und den ärztlichen Standesorganisationen erfüllen, sagte Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). Im Fall der Fälle müssten die nötigen Maßnahmen aber auch mittels Anordnung umgesetzt werden können. 

Die Ministerin erläuterte: „Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn vor Ort keine Einigung über die Festlegung von Schwerpunktpraxen für die Untersuchung und Behandlung von Covid-19-Patienten möglich ist oder sich auf freiwilliger Basis nicht ausreichend Personal zum Betrieb von Schwerpunktpraxen, örtlichen Testzentren oder für die Aufrechterhaltung der ärztlichen Grundversorgung gewinnen lässt.“

KBV-Chef Gassen prophezeit Versorgungschaos

Es handle sich um einen Eingriff in die Selbstverwaltung, den er „nicht für möglich gehalten hätte“, sagte KBV-Chef Gassen dem Tagesspiegel Background Gesundheit. Mit seinen Versorgungsärzten stelle Söder die bisherige Aufgabenteilung auf den Kopf und konterkariere alles, was bisher mühselig aufgebaut worden sei und relativ gut funktioniere. Für die Engpässe bei der Schutzausrüstung könne man schließlich nichts. Die Vorsorge für den Pandemiefall sei Sache der Länder, die „hier in toto versagt“ hätten.

Er sei froh, jetzt nicht in Bayern leben zu müssen, betonte der KBV-Vorsitzende. Dem Freistaat drohe nun eine Chaotisierung der medizinischen Versorgung. „Kleinteiliger, als Bürgermeistern und Landräten die Einsetzung von Versorgungsärzten zu übertragen, geht es nicht.“ Eine föderale „Hitparade“ von Corona-Bekämpfern nütze den Patienten überhaupt nichts, so Gassen. In einer Epidemie profitierten sie viel eher von abgestimmten Lösungen. Weil sich das aber erst in einigen Monaten zeigen werde, sei es gut möglich, dass der bayerische Weg nun auch noch Nachahmer finde.

„Völlig unnötig und demotivierend“

NAV-Chef Heinrich nannte den bayerischen Erlass „völlig unnötig und demotivierend“. Was ihn daran vor allem empöre, sei die „Zwangsverpflichtung von Kassenärzten“ zum Einsatz in Testzentren. „Wir werden bei der Behandlung von Covid-19-Patienten dringender benötigt als bei der Testung von derzeit rund 90 Prozent negativ getesteter Nicht-Corona-Patienten“, sagte Heinrich. Das Testen sei „keine Aufgabe der Vertragsärzteschaft, sondern des öffentlichen Gesundheitsdienstes“.

Gleichzeitig warf der Ärztefunktionär der Politik vor, „diesen Sektor jahrelang vernachlässigt zu haben“, was durch solche Vorstöße nun offensichtlich „kaschiert“ werden solle. Heinrich plädierte dafür, die ambulante Versorgung lieber „denen zu überlassen, die davon etwas verstehen. Wie staatliche Stellen mit der Organisation von beispielsweise Schutzmaterialien umgehen können, sehen wir leidvoll seit einigen Wochen.“

Bayerns Funktionäre äußern ihre Kritik nur vorsichtig

In Bayern dagegen hört man laute Kritik nur noch hinter vorgehaltener Hand. Offiziell mühen sich die KV-Funktionäre, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. „Dass man von staatlicher Seite nun statt auf Freiwilligkeit auf eine Zwangsrekrutierung setzt, ist ein unnötiger Ausdruck des Misstrauens gegenüber der hoch leistungsfähigen und -willigen Ärzteschaft“, heißt es zwar pflichtschuldig in einer abgestimmten Stellungnahme des Vorstands, bestehend aus Wolfgang Krombholz, Pedro Schmelz und Claudia Ritter-Rupp. Gleichzeitig betont das Trio jedoch: „Es ist jetzt nicht an der Zeit, um über Kompetenzen und grundsätzliche Regularien in unserem Gesundheitssystem zu diskutieren.“

Der derzeitige Katastrophenfall stelle „eine absolute Ausnahmesituation dar, die nur mit Bündelung aller Kräfte bewältigt werden kann“, so die örtlichen KV-Funktionäre. Klare Zuständigkeiten und abgestimmte Prozesse seien von entscheidender Bedeutung, ein eigener bayerischer Notfallplan für die ärztliche Versorgung insofern sinnvoll. Und auch wenn die Verantwortung für die Corona-Bekämpfung nun bei Landräten und Oberbürgermeistern liege: Um die Maßnahmen zum Erfolg zu führen, werde sich Bayerns KV „weiter mit voller Kraft einbringen“.

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