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Waffenstarrend. In dem nordafrikanischen Land kämpfen nach wie vor viele Milizen gegeneinander.

© REUTERS

Übergangsregierung soll Libyen einen: Freie Wahlen statt Gewalt

Nach zehn Jahren Chaos und Gewalt soll eine Übergangsregierung in Libyen für freie Wahlen im Dezember sorgen. Experten sind pessimistisch.

Selten waren die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf ein Ereignis in Libyen so einmütig und so positiv. Politiker von den USA bis Russland und von Deutschland bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten haben die Bildung einer Übergangsregierung in dem nordafrikanischen Land begrüßt und Unterstützung zugesichert. Ein Ministerpräsident und ein dreiköpfiger Präsidialrat sollen das Land in den kommenden Monaten regieren und freie Wahlen im Dezember vorbereiten. Die UN-Diplomatin Stephanie Williams, die monatelange Verhandlungen zwischen den Gruppen leitete, spricht von einem „historischen Moment“ nach zehn Jahren Chaos und Gewalt. Doch Experten sind pessimistisch, ob die neue Führung das Land einen kann – und ob sie es überhaupt will.

Nach dem Sturz von Diktator Muammar al Gaddafi 2011 zerbrach die staatliche Einheit Libyens an Kämpfen zwischen rivalisierenden Milizen. Seit Jahren ist das Land zwischen der von den UN eingesetzten Regierung in der Hauptstadt Tripolis und dem Machtbereich des Parlaments und einer Gegenregierung im ostlibyschen Tobruk geteilt. Seit dem Herbst gilt eine Waffenruhe, die von den UN genutzt wurde, um eine Versammlung aus 75 Vertretern aller Landesteile einzuberufen. Dieses Gremium wählte dann in Genf die neue Führung.

Das Ergebnis der Wahl war eine Überraschung. Als neuen Premier bestimmten die Delegierten den Geschäftsmann Abdelhamid Dabeiba, Vorsitzender des Präsidialrates ist der frühere Botschafter Mohammed al Menfi. Sie verdanken ihren Erfolg vor allem der Tatsache, dass sich das zunächst favorisierte Gespann um Innenminister Fathi Baschagha und den Präsidenten des Parlaments in Tobruk, Agila Saleh, viele Feinde im Wahlausschuss gemacht hatte. Dabeiba und Menfi gelten als Partner der Türkei, die seit 2019 auf der Seite der Regierung militärisch in dem Konflikt mitmischt. Ägypten, das den Militärchef der Gegenregierung, Chalifa Haftar, unterstützt, hatte auf Parlamentspräsident Saleh gesetzt.

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Dabeiba, ein reicher Unternehmer aus der westlibyschen Hafenstadt Misrata, verspricht den Libyern schon für die kommenden Monate eine stabile Stromversorgung. Bisher müssen die rund sieben Millionen Bewohner trotz des Ölreichtums ihres Landes mit vielen Stromausfällen leben. Zudem will Dabeiba das Gewaltmonopol des Staates durchsetzen, was angesichts der vielen verschiedenen bewaffneten Gruppen und 20.000 ausländischen Kämpfer illusorisch erscheint.

Rivalen gratulieren der neuen Führung

Der designierte Premier hat drei Wochen Zeit, ein Kabinett zusammenzustellen. Eine Zustimmung des Parlaments ist unsicher, weil die Volksvertretung seit Jahren nicht mehr gemeinsam getagt hat. Rivalen gratulierten der neuen Führung, doch wie viel diese Lippenbekenntnisse wert sind, muss sich erst zeigen.

Schon im Jahr 2015 hatten die Vereinten Nationen eine Regierung eingesetzt, die vom Parlament in Tobruk jedoch abgelehnt wurde: Der Krieg ging weiter. Auch stellt sich die Frage, wie die ausländischen Akteure im Libyen-Konflikt reagieren werden, wenn sie durch Entscheidungen der neuen Regierung ihre Interessen gefährdet sehen.

Die Machtbasis der Dabeiba-Regierung sei sehr schmal, schreiben die Libyen-Experten Emadeddin Badi und Wolfram Lacher in einer Analyse für die US-Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace. Die Regierungsbildung habe die korrupte Elite Libyens keineswegs von den Schalthebeln der Macht vertrieben, wie die UN das angestrebt haben: Durch die Vereinbarung werde der Zugang der politischen Klasse zu den Pfründen lediglich neu verteilt, sind Badi und Lacher überzeugt. Für Mitglieder der Regierung könnte sich daraus der Anreiz ergeben, „den Fortschritt hin zu Wahlen zu blockieren“.

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