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In der Kürze liegt die Würze: Twitter genehmigt 280 Zeichen.

© AFP

Twitternde Politiker: Mehr Respekt für Probleme!

Wer sich per Tweet zu komplexen Sachverhalten äußert, trägt zur Ansicht bei, Kurznachrichten an sich seien ein geeignetes Kommunikationsmittel dafür. Das sind sie aber nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Lieber einen guten Freund verlieren, als einen Witz auslassen, heißt die Devise der harten Sprücheklopfer. Es ist das rücksichtslos auf die Spitze getriebene Hier-und-jetzt-Prinzip, denn wer weiß schon, ob es ein Morgen gibt, und falls ja, was mich der Freund morgen noch schert.

Es ist eine Devise, die ein lange gewachsenes Beziehungsgeflecht dem Spontantriumph unterordnet. Das ist genauso unsympathisch, wie es sich anhört. Die Devise starb darüber aber nicht aus, sondern pflanzte sich fort – auch in die Kommunikationsstrategieabteilungen vieler Politiker. Dort wurde sie zu „Lieber eine Komplexität ignorieren, als einen Tweet auslassen“.

Als wüssten sie es nicht besser, twittern auch hochrangige Mitglieder des Politbetriebs zu facettenreichen Themen und Problemlagen simple Botschaften. Ob es um Streitthemen wie Asylpolitik geht, wo Akteure für „wahnsinnig“ erklärt werden, empörte Blitzkommentare zu Ereignissen, die erst in Umrissen bekannt geworden sind, oder kaum verhohlen sexistische Bemerkungen über die Arbeit von gern attraktiven Frauen. Meist fahren die Absender ebenso blitzschnell Lob und Widerspruch ein, manchmal verschwinden besonders umstrittene Kurznachrichten wieder aus dem Netz.

Was sich in 280 Zeichen lösen lässt, war kein wirkliches Problem

Aber das Hauptproblem ist damit nicht vom Tisch: Alle, die sich per Tweet zu komplexen Sachverhalten äußern, halten die Annahme aufrecht, dass eine 280-Zeichen-Nachricht an sich ein geeignetes Kommunikationsmittel dafür sei. Das ist sie aber nicht. Die allermeisten politischen und gesellschaftlichen Problemlagen sind kompliziert. Sie bestehen aus Abstufungen, aus Uneindeutigkeiten, aus Fürs und Widers. Sich mit ihnen in ernstzunehmender Weise auseinanderzusetzen – und das möchte die Politik doch bitte, oder etwa nicht? –, erfordert Zeit und Platz, erfordert Nachdenken und Ausholen, erfordert Geduld und Konzentration. Das ist – leider – anstrengend. Nichts davon vermittelt ein Tweet. Der wird habituell lässig und nebenbei abgesondert. Das ist so ignorant wie ein „und sonst so?“ als Reaktion auf eine Lebenskrisenbeichte.

Tweets bringen schnelle und messbare Reaktionen, das ist praktisch für die Tätigkeitsbilanzen der Kommunikationsstrategen, zugleich rauben sie jedoch auf nicht messbare Weise den debattierten Problemen ihre Existenzberechtigung. Was sich in 280 Zeichen erklären, beurteilen oder gar lösen lässt, kann kaum wirklich problematisch sein.

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