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Der Grünen-Politiker Cem Özdemir spricht im Bundestag über den Besuch Erdogans.

© dpa/Annette Riedl

Türkischer Staatsbesuch: Erdogans schärfster Kritiker

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir hat den türkischen Staatspräsidenten immer wieder kritisiert. Nun trifft er beim Staatsbankett auf Erdogan. Ein Porträt.

Als Hoffnungsträger der türkischen Community hat Cem Özdemir in der Politik angefangen, inzwischen wird er als „Türkenfeind“ beschimpft: Der Ex-Parteichef der Grünen, Sohn türkischer Gastarbeiter, ist in den vergangenen Jahren zu einem der schärfsten Kritiker von Recep Tayyip Erdogan geworden. Zuletzt warnte er wegen der aktuellen Menschenrechtslage davor, die Fußball-Europameisterschaft 2024 an die Türkei zu vergeben. Am Staatsbankett mit dem türkischen Präsidenten nimmt der 52-jährige Grüne dennoch teil: Er wolle Erdogan an die „unangenehmen Themen“ erinnern und das Signal in die Türkei und an die deutsch-türkische Gemeinschaft senden, dass in Deutschland die Opposition ein fester und notwendiger Bestandteil der Demokratie sei, sagt Özdemir: „Er muss mich aushalten.“

Auf der Straße wurde er schon öfter angepöbelt

Mit seiner hartnäckigen Kritik an Erdogan und dessen autokratischem Politikstil hat Özdemir sich in Deutschland Ansehen erarbeitet, auch bei Teilen der Deutschtürken, in Politikerrankings landete er zwischenzeitlich auf Platz eins. Aber für seine Äußerungen hat er auch einen Preis gezahlt: Wegen massiver Morddrohungen erhielt er immer wieder Personenschutz. So auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang dieses Jahres, wo er im selben Hotel wie die türkische Delegation untergebracht war. In Kreuzberg, wo er mit seiner Frau und den beiden Kindern lebt, wird er öfter mal auf der Straße angepöbelt. Und in die Türkei ist er schon länger nicht mehr gereist.

Dabei waren ihm die Sympathien vieler Deutschtürken zugeflogen, als er 1994 als erster Abgeordneter mit türkischen Wurzeln in den Bundestag einzog. Bei einer Telefonaktion der Zeitung „Hürriyet“ mit dem frisch gewählten Parlamentarier riefen damals Hunderte an, Özdemir erhielt in den ersten Wochen unzählige Briefe. Doch schon bald begann der Grüne anzuecken, etwa als er die Kurdenpolitik der Türkei oder den Umgang mit religiösen Minderheiten kritisierte. Auch die vorher so stolze „Hürriyet“ ging ihn hart an, und damit die Zeitung, welche die Kollegen seines Vaters in der Fabrik lasen. Seine Eltern hätten durch sein politisches Engagement durchaus Freunde und Bekannte verloren, erzählte Özdemir einmal.

Özdemir war Initiator der Armenien-Resolution

Besonders aggressiv wurden die Vorwürfe von türkischer Seite, als der Bundestag 2016 eine Resolution verabschiedete, in der erstmals der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich beim Namen genannt wurde. Özdemir war es, der die fraktionsübergreifende Initiative angestoßen hatte. Zum Gedenken an den 100. Jahrestag des Massakers reiste er damals auch nach Armenien. Özdemir sagte, es gehe ihm nicht darum, „mit dem Finger auf die Türkei zu zeigen“, sondern darum, dass Deutschland sich wegen des damaligen Wegschauens des deutschen Kaiserreichs auch zu seiner eigenen Verantwortung und Mitschuld bekenne. Erdogan ließ sich durch solche Argumente nicht besänftigen: Er beschimpfte Özdemir als Türken, dessen Blut „verdorben“ sei. Und die Kleinstadt Pazar, aus der sein verstorbener Vater stammt, entzog ihm die Ehrenbürgerschaft.

Aufgewachsen ist Özdemir im schwäbischen Bad Urach. Seine Eltern waren Anfang der 60er Jahre nach Deutschland gekommen, sein Vater aus der Provinz Tokat, seine Mutter aus Istanbul. Er sei „Produkt des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens“, sagte Özdemir einmal. Noch heute betreibt seine Mutter im Schwäbischen eine Änderungsschneiderei. Dass er es als Arbeiter- und Einwandererkind in Deutschland bis zum Parteivorsitzenden brachte, erfüllt ihn mit Stolz.

Beinahe wäre er Minister geworden

Bei der Bundestagswahl 2017 zog Özdemir als Spitzenkandidat für seine Partei in den Wahlkampf. Seine persönliche Geschichte passte gut in die Zeit: Er konnte glaubwürdig darüber reden, wie Integration gelingen kann. Als die Grünen nach der Wahl mit Union und FDP über eine Jamaika-Koalition verhandelten, sahen manche in Ödzemir schon den nächsten Außenminister Deutschlands. Der Gedanke, dass ein türkischer Amtskollege ihn dann hätte empfangen müssen, muss ihn damals gereizt haben. Doch als die FDP die Gespräche platzen ließen, war es auch mit dem Ministertraum vorbei.

Eine Weile liebäugelte Özdemir mit dem Gedanken, sich als Chef der Bundestagsfraktion zu bewerben. Doch es gab nicht genügend Abgeordnete, die bereit gewesen wären, dafür die bisherigen Vorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter zu stürzen. Den Parteivorsitz wollte er nach neun Jahren an der Spitze abgeben, das hatte er schon vor der Bundestagswahl deutlich gemacht. Seit Ende Januar ist er nun Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. Der Mobilitätsbereich sei „der Lackmustest“ dafür, ob man Wirtschaft und Umwelt zusammenbringen könne, sagte er zu seiner neuen Aufgabe. Doch der Erdogan-Besuch zeigt auch: Mit Verkehrspolitik allein ist es für Özdemir nicht getan.

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