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Eine Hand zeigt den "Wolfsgruß" vor türkischen Flagge in München 2016.

© Peter Kneffel/dpa

Türkische Rechtsextreme in Deutschland: Linke hoffen nach Bundestagswahl auf Verbot der Grauen Wölfe

Die türkisch-rechtsextremen "Grauen Wölfe" sind eine Bewegung und in Deutschland in vielen Vereinen organisiert. Ist deshalb ein Verbot unwahrscheinlich?

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags nährt in der Opposition die Hoffnung, dass die Grauen Wölfe doch noch verboten werden. Das Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt, legt indirekt dar, dass türkische Rechtsextreme "verfassungsfeindliche Ziele in kämpferisch-aggressiver Weise verwirklichen wollen" - was ein Verbotsgrund wäre.

In dem Gutachten vom 10. September werden Gründe für Organisationsverbote erörtert, wenn etwa "der Zweck oder die Tätigkeit des Vereins geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen". Dies sei bei den Grauen Wölfen der Fall, sagte die Abgeordnete Evrim Sommer, und verweist auf schon erfolgte Verbote islamistischer Vereine. Die Linken-Politikerin aus Berlin hatte das Gutachten in Auftrag gegeben.

"Die Bundesregierung muss endlich ihre Vogel-Strauß-Politik gegenüber dem organisierten türkischen Rechtsextremismus in Deutschland beenden", sagte Sommer. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dürfe das Votum des Bundestags nicht ignorieren, der sich 2020 fraktionsübergreifend für ein Verbot ausgesprochen hat: "Es muss umgehend eine Verbotsverfügung gegen die wichtigsten Dachorganisationen der Grauen Wölfe in Deutschland erlassen."

In der Türkei bekennen sich viele Graue Wölfe zur MHP. Die rechtsnationalistische Partei koaliert mit der islamistischen AKP von Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Dennoch ist "Graue Wölfe" ein Sammelbegriff für türkische Faschisten allgemein, bezeichnet also eine Bewegung, mitunter nur ein Bekenntnis zu einer antisemitischen, antikommunistischen, zuweilen islamistischen Idee eines Großtürkentums.

Verfassungsschutz sieht "Affinität zu Waffen" bei Grauen Wölfen

Unter Grauen Wölfen ist das Ziel eines großtürkischen Reichs, "Turan" genannt, verbreitet: Turksprachige Völker sollten sich vom Balkan bis nach Westchina vereinen. Als Feinde gelten Griechen, Armenier, Juden, Kurden, öfter auch Aleviten. Immer wieder sind Graue Wölfe außerhalb der Türkei aktiv, so in Syrien.

In Deutschland zählte der Bundesverfassungsschutz 2019 mehr als 11.000 türkische Rechtsextreme. Von denen gehörten die meisten weitgehend "gesetzeskonformen" Vereinen an, teilte das Amt mit. "In der freien türkisch-rechtsextremistischen Szene" verzeichne man jedoch "höhere Gewaltbereitschaft" und "Affinität zu Waffen". Unter Exilanten und Kennern der Szene vermuten einige, dass Graue Wölfe hinter den jüngsten Angriffen auf türkische Oppositionelle in Deutschland stecken.

Graue Wölfe sind in Deutschland in 200 lokalen Vereinen organisiert, die unterschiedlich extrem ausgerichtet sind. Auch das macht es Innenminister Seehofer schwer, ein generelles Verbot auszusprechen. Womöglich können die Bundesländer besonders radikale Vereine in ihrem Amtsbereich verbieten.

Bundesweit sind drei Dachverbände bedeutsam: die "Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu", die mit ADÜTDF abgekürzte Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland; die "Avrupa Türk-Islam Birligi" (ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa) sowie die "Avrupa Türk Kültür Dernekleri Birligi" (ATB - Europäisch-Türkische Union). Sollte es in diesem Herbst keine Verfügung mehr geben, hofft Linken-Politikerin Sommer darauf, dass sich nach der Wahl die neue Bundesregierung dem Verbot dieser Vereine widmet.

Die wichtigsten Tagesspiegel-Artikel zur Bundestagswahl 2021:

Im Januar hatte die Bundesregierung auf eine FDP-Anfrage erklärt, türkische Rechtsextreme versuchten verstärkt Einfluss auf die Meinungsbildung in Deutschland zu nehmen. So seien Graue Wölfe bemüht, "über die Nähe zu politischen Entscheidungsträgern und Parteien" den Diskurs in der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu beeinflussen. Insbesondere in der Lokalpolitik versuchen türkische Rechtsextreme für "Akzeptanz- und Reputationsgewinne" breite "interkulturelle Gesprächsformate zu besetzen". Schwerpunkt ist dabei Nordrhein-Westfalen.

Vereine türkischer Rechtsextremisten so verfolgen wie die Hisbollah?

Die Berliner Abgeordnete Sommer verweist nun auch auf das Verbot der radikalislamischen Hisbollah 2019; seitdem sind Aktivitäten zugunsten der Schiiten-Miliz untersagt. Auch deren Fahne (ein grünes Gewehr auf gelbem Grund) darf nicht gezeigt werden. Und noch 2021 hatte Seehofer vermeintlich karitative Vereine verboten, die in Deutschland als Unterstützer der im Südlibanon herrschenden Hisbollah eingestuft wurden.

Frankreichs Regierung verbot Verbände der Grauen Wölfe 2020: Zuvor fielen türkische Rechtsextreme durch Angriffe auf Franzosen armenischer Herkunft auf, deren Vorfahren nach dem Völkermord 1915 nach Frankreich geflohen waren. Die österreichische Regierung wiederum verbot 2019 die Symbole der Grauen Wölfe, also den mit zwei gespreizten Fingern gezeigten Wolfsgruß und die drei Halbmonde. Es gelten Strafen von bis zu 4.000 Euro.

In Deutschland wurden Graue Wölfe auf Kundgebungen der Union Internationaler Demokraten (früher UETD), die Erdogans AKP nahesteht, sowie des Moscheeverbandes DITIB gesehen. Beide Organisationen verfolgen politisch aber einen eigenen Kurs. Symbole der Grauen Wölfe und namhafte türkische Rechtsextreme wurden auch bei den "Osmanen" gesichtet. Die rockerähnliche Rotlicht-Truppe hatte Innenminister Seehofer nach zahlreichen Gewalttaten 2018 verbieten lassen.

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