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Studenten demonstrierten am Osterwochenende vor dem Parlament in Pristina gegen die Entführung von Erdogan-Gegnern aus dem Kosovo in die Türkei.

© Chris Huby/Imago/Le Pictorium

Türkische Festnahmen im Kosovo: Streit unter Freunden

Mit dem kosovarischen Geheimdienst hat die Türkei die Verschleppung von Gülen-Anhängern aus dem Kosovo geplant. Wie groß ist ihr Einfluss auf dem Westbalkan?

Niemand will es gewusst haben: Nach der von der Türkei orchestrierten Festnahme angeblicher Anhänger der Gülen-Bewegung geben sich Kosovos Regierung und Präsident überrascht. Und sofort entbrannte Streit nicht nur zwischen Ankara und Pristina; auch in der Regierung des Kosovo macht sich Endzeitstimmung breit. Die historische Freundschaft gegenüber der Türkei lasse sich keineswegs in ein „Vasallenverhältnis“ eintauschen, richtete sich Vizepremier Fatmir Limaj erzürnt an den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Niemand außer Kosovos Volk habe das Mandat, seine Regierungen zu wählen – und auszutauschen, sagte der Chef der mitregierenden Nisma-Partei: „Niemand sollte der Regierung und dem Premier des Kosovos drohen. Kein Land, kein Führer – egal wie mächtig – kann uns beherrschen.“

Gleich am Tag der Unabhängigkeitserklärung hatte die Türkei Kosovo am 18. Februar 2008 als einer der ersten Staaten anerkannt. Doch seit der Verhaftung und Deportation von sechs vermeintlichen Gülen-Anhängern am vergangenen Donnerstag ist das Verhältnis der Bruderstaaten jetzt nachhaltig getrübt: Die Abschiebung wurde von Ankara inszeniert und gemeinsam mit Kosovos Geheimdienst AKI organisiert.

Erdogan lobt – und grollt: Er sei Kosovos Präsident Hashim Thaci für die Verhaftung der „wichtigsten Vertreter“ der Gülen-Bewegung auf dem Balkan „dankbar“, sagte Erdogan nach der Abschiebung von fünf Lehrern und einem Mediziner in die Türkei. Gleichzeitig wütete er am Wochenende über Kosovos Premier Ramush Haradinaj, der wegen der mit ihm nicht abgestimmten Deportationen den Innenminister und den Geheimdienstchef gefeuert hatte. Haradinaj sei eine „Marionette, deren Fäden von anderen gezogen“ werden, tobte Erdogan über dessen „historischen Fehler“. Die beiden hätten „nur ihre Arbeit gemacht“: „Wie kannst du so gegen die Türkei arbeiten? Was für eine Politik ist das? Ich weiß, dass meine kosovarischen Brüder gegen diese Entscheidung sind. Du wirst dafür zur Rechenschaft gezogen: Die Karriere des Premiers wird zu Ende gehen.“

Die innenpolitische Lage im Kosovo ist ohnehin schwierig

Tatsächlich scheinen die Amtstage von Haradinajs wackeliger Vierparteienkoalition angesichts zunehmender Spannungen gezählt: Seit dem vorläufigen Regierungsabschied der Partei der serbischen Minderheit in der vergangenen Woche verfügt sein angeschlagenes Kabinett über keine eigene Parlamentsmehrheit mehr. Allerdings sind es weniger Erdogans Wut als die als rechtloses „Kidnapping“ kritisierten Abschiebungen, die die Rufe nach Neuwahlen verstärken. Dass nach Haradinaj nun auch der Erdogan-Freund Thaci beteuert, vorab nicht unterrichtet gewesen zu sein, lässt nicht nur die Opposition die Frage stellen, wer Kosovo eigentlich regiere.

Wer in der Staatsführung nicht wisse, was sich im eigenen Land abspiele, sei auf dem „falschen Posten“, ärgert sich Bilal Sherifi, Generalsekretär der mitregierenden Nisma-Partei. Die „skandalösen“ Abschiebungen hätten gezeigt, dass Premier Haradinaj weder die Kontrolle über die Regierung noch über die Polizei und andere Institutionen habe, meint Avdullah Hoti, Chef der Oppositionspartei LDK: Klar sei, dass Staatschef Thaci erneut seine Kompetenzen übertreten habe – „und das nicht zum ersten Mal“. Der gescholtene Staatschef lässt Rücktrittsforderungen resolut abprallen und lenkt die Aufmerksamkeit auf die linksnationalistische, vor der Spaltung stehende Oppositionspartei „Vetevendosje“ (Selbstbestimmung): Deren Aktivisten würden in der Türkei geschult und von Iran und Putin finanziert.

Auf der europäischen Dauerbaustelle Kosovo sind noch etwa 4000 Soldaten, darunter 411 der deutschen Bundeswehr, im seit 1999 laufenden Kfor-Einsatz unter Führung der Nato stationiert. Doch der EU schwindet auf dem Westbalkan die Kontrolle – sowohl Moskau als auch Ankara positionieren sich als konfliktfreudige und unberechenbare Störfaktoren für die Brüsseler Stabilisierungsbemühungen: Während Russland in Serbien und im bosnischen Teilstaat der Republika Srpska auf diplomatische und mediale Offensive setzt, versucht die Türkei ihren Einfluss in den überwiegend muslimisch bewohnten Staaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo und auch Serbien auszubauen.

Innenpolitisch rüsten sich die Parteien im Kosovo vor einer Sondersitzung des Parlaments an diesem Dienstag für eine Neuwahl. Ausgerechnet Erdogans Ausfälle aber einten am Wochenende Regierung und Opposition. Der Parlamentsvorsitzende Kadri Veseli, Chef der größten Regierungspartei PDK, erklärte Kosovos Institutionen für „souverän“. LDK-Chef Hoti wurde noch deutlicher: „Wir werden nicht zulassen, dass die Türkei Kosovo kommandiert.“

Thomas Roser

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