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Konflikt um Macht und Bodenschätze: In Libyen kämpfen viele Gruppen und Staaten um Einfluss.

© Reuters/Ayman Al-Sahili

Türkei will Truppen nach Tripolis schicken: Libyen wird zum internationalen Schlachtfeld

In Libyen kämpfen zwei Regierungen. Immer mehr Mächte greifen ein, es geht um Bodenschätze und Einfluss. Nun droht eine Konfrontation Russlands mit der Türkei.

Offiziell gilt für Libyen ein UN-Waffenembargo – tatsächlich aber wird das nordafrikanische Land immer mehr zum Schauplatz eines internationalen militärischen Konflikts. Am Himmel sind Drohnen aus der Türkei, Italien, den USA, Frankreich und Russland im Einsatz. Ende November zerstörten russische Geschosse nach US-Angaben eine amerikanische Beobachtungsdrohne in der Nähe der Hauptstadt Tripolis. Am Boden werden russische Söldner, türkische Militärfahrzeuge und jordanische Militärausbilder aufgeboten.

Nun könnte sich der Konflikt noch erheblich ausweiten. Die türkische Regierung erwägt, Bodentruppen nach Libyen zu entsenden, um der international anerkannten Regierung in Tripolis gegen den Angriff des Rebellen-Generals Chalifa Haftar zu helfen. Die Türken könnten dabei auf russische Kämpfer treffen, die auf Haftars Seite stehen. Acht Jahre nach dem Sturz von Diktator Muammar Gaddafi droht in Libyen eine Eskalation mit Auswirkungen bis nach Europa und Syrien.

Der UN-Gesandte für Libyen, Ghassan Salame, beklagte vor Kurzem die zunehmende Einmischung ausländischer Mächte in Libyen. Die Suche nach einer Lösung für das Land sei ein „Wettlauf mit der Zeit“, berichtete Salame dem UN-Sicherheitsrat. Salames Warnungen dürften nicht viel Eindruck gemacht haben: Wichtige Mitglieder des obersten Gremiums der Weltorganisation mischen selbst in Syrien mit und hoffen auf Einfluss und eine Beteiligung am libyschen Ölreichtum.

Sarradsch schmäht Gegenspieler Haftar als Verbrecher

In Libyen bekämpfen sich zwei Regierungen – die international anerkannte Führung unter Ministerpräsident Fayiz al Sarradsch im Westen des Landes um Tripolis und eine Gegenregierung im Osten, in der General Haftar der starke Mann ist. Haftar verdammt die Sarradsch-Regierung als Islamisten-Truppe. Sarradsch bezeichnet dagegen seinen Gegner Haftar als Verbrecher.

Um diese Lager haben sich rivalisierende internationale Gruppen gebildet. Russland, Frankreich, Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate stehen hinter Haftar. Die USA hatten im Frühjahr zunächst Haftars Angriff auf Tripolis gutgeheißen, fordern inzwischen jedoch ein Ende der Offensive und der russischen Einmischung. Die Türkei und Katar unterstützen die Regierung von Sarradsch, der in den vergangenen Wochen zweimal die Türkei besuchte, zuletzt am Sonntag.

Der Premier braucht dringend Hilfe. Haftars Attacke auf Tripolis steckte monatelang in den Vororten der Hauptstadt fest, was unter anderem an der türkischen Militärhilfe für die mit Sarradsch verbündeten Milizen lag. Seit Neuestem erhält Haftar jedoch neuen Rückenwind: Am vergangenen Donnerstag verkündete er den Beginn des Schlussangriffs auf die Hauptstadt. Der Libyen-Experte Frederic Wehrey vom Institut Carnegie Endowment for International Peace in Washington berichtete, ein wichtiger Grund für Haftars neue Stärke sei die Ankunft von rund 100 russischen Söldnern und Scharfschützen sowie der Einsatz moderner russischer Geschosse.

Um Haftars Durchmarsch zu verhindern, wandte sich Sarradsch an die Türkei. Ankara sagte Hilfe zu, verlangte aber eine Gegenleistung: die libysche Zustimmung zu einem Seeabkommen, das Ankaras Position im Streit um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer stärkt. Sarradsch erfüllte den Wunsch, und so erklärte sich die Türkei zur verstärkten Militärhilfe bereit. Dazu gehört eine mögliche Truppenentsendung. Sein Land werde Sarradschs Regierung „jede nötige Unterstützung“ zukommen lassen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag in einem Fernsehinterview. Das türkische Parlament soll laut Medienberichten an diesem Mittwoch den Vertrag mit Libyen ratifizieren.

Truppen für Rohstoffe: Der türkische Präsident Erdogan beim Treffen mit Libyens Ministerpräsidenten Sarradsch
Truppen für Rohstoffe: Der türkische Präsident Erdogan beim Treffen mit Libyens Ministerpräsidenten Sarradsch

© dpa/Turkish President Press Office

Erdogan und Putin werden im Januar über Libyen reden

Die regierungstreue Zeitung „Takvim“ meldete am Montag, die türkische Armee halte schon jetzt Landungsschiffe für den Truppentransport nach Libyen bereit. Gedacht werde an eine Entsendung von Elitetruppen mit Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und Drohnen.

Ein Militäreinsatz der Türkei in Libyen könnte die Lage dort erheblich eskalieren lassen. Zudem wären Erschütterungen für die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland zu erwarten, die in den vergangenen Jahren besonders in Syrien eine enge Zusammenarbeit entwickelt haben. Die Türkei ist in Syrien auf das Wohlwollen des Kreml angewiesen und könnte durch eine Konfrontation mit Russland in Libyen in Schwierigkeiten kommen.

Erdogan versuchte deshalb vorige Woche in einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, Moskau von der Parteinahme für Haftar abzubringen, offenbar ohne Erfolg. Das Thema Libyen dürfte bei einem Türkei-Besuch von Putin am 8. Januar eine wichtige Rolle spielen.

Merkel müht sich um gemeinsame Haltung der EU

Eine neue Eskalation in Libyen könnte auch Folgen für die EU haben. Deutschland plant für Januar eine Friedenskonferenz für Libyen, weil der Krieg den Versuch erschwert, den Zuzug von Flüchtlingen von Libyen nach Südeuropa aufzuhalten. Selbst ohne neue Kämpfe mit ausländischer Beteiligung in dem nordafrikanischen Land ist es schwierig genug, das Treffen zustande zu bringen. Spannungen gibt es auch innerhalb der EU, weil Frankreich und Italien gegensätzliche Interessen in Libyen verfolgen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht deshalb derzeit vor allem, das Lager der EU zusammenzuhalten. Vor wenigen Tagen rief sie gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem italienischen Regierungschef Giuseppe Conte die Konfliktparteien in Libyen zur Deeskalation auf. Ob Putin, Erdogan und die anderen Akteure darauf hören werden, ist aber unwahrscheinlich.

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