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Der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan drohen bei den Kommunalwahlen heftige Verluste.

© Aris Messinis/AFP

Türkei: Opposition wittert vor Kommunalwahlen Betrug

Bei den Kommunalwahlen Ende März drohen Erdogans AKP große Verluste. Die Opposition sieht schon jetzt klare Zeichen für Betrug.

Das Haus in der Habazoglu-Gasse Nummer 34 im nordostanatolischen Artvin ist ein Trümmerhaufen. Der Putz ist von den Wänden geblättert, die Fenster sind zerborsten oder ganz herausgerissen, in den Zimmern liegt Schutt. Anil Öztürk von der Oppositionspartei CHP ist gekommen, um einen seiner Meinung nach klaren Wahlbetrug aufzudecken:

Obwohl das Haus unbewohnbar ist, sind hier 35 Wähler für die Kommunalwahlen im März gemeldet, sagt Öztürk in einem Video, das er auf Facebook veröffentlichte – 35 von mehreren Tausend Wählern, die offenbar nur auf dem Papier existieren. Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan befürchten bei den Wahlen groß angelegte Manipulationen.

Presse spricht von „Phantom-Wählern“

Neue Fälle von „Phantom-Wählern“, wie sie in der Presse genannt werden, findet die Opposition fast jeden Tag. Zu ihnen gehört die angebliche Erstwählerin Ayse Ekici im zentralanatolischen Kayseri – sie wurde den Unterlagen zufolge der Wahlbehörde vor 165 Jahren im Osmanenreich geboren. Insgesamt habe seine Partei 6400 registrierte Wähler im Alter zwischen 100 und 165 Jahren gefunden, erklärte CHP-Vizechef Onursal Adigüzel.

In Cankiri nordöstlich von Ankara hat sich die Zahl der Wähler seit der Parlaments- und Präsidentschaftswahl vor einem halben Jahr mysteriöserweise fast verdoppelt. In Istanbul fand die Opposition heraus, dass 43 „Phantom-Wähler“ als Bewohner einer Baustelle gemeldet sind.

Im südosttürkischen Sirnak ist eine einzige Wohnung angeblich groß genug für 713 Wähler. Auch Viehställe, ausgebrannte Wohnungen und Fußballstadien sind als Adressen registrierter Wähler verzeichnet. Insgesamt gehen die Wahlbehörden Einsprüchen bei über hunderttausend Einträgen in den Wählerlisten nach.

Auch in Istanbul könnte es knapp werden für die AKP

Die Opposition sieht ein klares Muster hinter den verdächtigen Wählerregistrierungen: Erdogans AKP wolle sich gegen unangenehme Überraschungen bei der Kommunalwahl am 31. März absichern. Umfragen zufolge muss die sieggewohnte Regierungspartei unter anderem in der Hauptstadt Ankara mit einer Niederlage rechnen. Auch in Istanbul könnte es knapp werden für die AKP.

Schon bei einer Volksabstimmung vor zwei Jahren erklärte die Wahlbehörde am Wahltag überraschend, dass auch Wahlzettel ohne offizielle Verifizierung der Wahlkommissionen gültig seien. Die AKP gewann knapp. Als nach der Kommunalwahl von 2014 bei der nächtlichen Auszählung der Stimmen in Teilen von Ankara unerklärlicherweise der Strom ausfiel, erklärte die Regierung, eine Katze habe sich in ein Trafohäuschen geschlichen und einen Kurzschluss ausgelöst. Die AKP konnte ihre Herrschaft in der Hauptstadt damals mit nur einem Prozentpunkt Vorsprung verteidigen.

Schwäche des türkischen Meldesystems

Erdogans Partei weist damals wie heute den Vorwurf der Mauschelei zurück. Die Opposition suche lediglich nach einer Ausrede für eine erneute Niederlage an der Urne. Tatsächlich könnten sich hinter vielen Beschwerden über „Phantom-Wähler“ am Ende lediglich die Schwächen des türkischen Meldesystems verbergen. Denn auch die AKP ist betroffen: Erdogan sagte kürzlich, seine Partei vermisse mehrere Hunderttausend Mitglieder, deren Namen nicht mehr in den Wählerverzeichnissen ihrer Wohnorte zu finden seien. Wahrscheinlich seien sie umgezogen, ohne der Partei Bescheid zu geben.

Oppositionsvertreter glauben jedoch nicht, dass alle Parteien im selben Boot sitzen. Der CHP-Repräsentant beim Wahlleiter, Mehmet Hadimi Yakupoglu, nannte in der Zeitung „Evrensel“ ein nach seiner Beobachtung typisches Beispiel: Auf den Istanbuler Prinzeninseln wurde kürzlich innerhalb weniger Wochen ein plötzlicher Zuzug von 1200 Wählern verzeichnet – die AKP hatte die Kommunalwahl 2014 auf den Inseln mit einem Vorsprung von nur 800 Stimmen für sich entschieden.

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